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"Â… wo Kinder auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen"

Wenn Kinder unser höchstes Gut sind, warum lassen wir ihnen nicht das Maximum an wissenschaftlich fundierter Förderung angedeihen? Das fragte das Gremium der Magdeburger Bundesgartenschau vor mehr als acht Jahren. Die Antwort findet man heute im blühenden Elbauenpark der Landeshauptstadt: das Spielhaus. Nach dem Konzept der Dozentin Ramona Stirtzel entstand ein einzigartiges Erlebnisparadies für Kinder mit wissenschaftlicher Begleitung der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Ramona Stirtzel
Frau Stirtzel, in der Partizipationspädagogik hat Ihr Projekt des Spielhauses für Furore gesorgt. Hierbei partizipieren auch Erwachsene aus vielen Arbeitsfeldern ...

Ja, das Spielhaus ist etwas ganz Besonderes. Das Spielhaus ist im Rahmen der kommunalen Partizipation der Stadt Magdeburg entstanden – zur Bundesgartenschau 1999. Denn im Rahmen der Bundesgartenschau spielte das Thema »Spielen« eine ganz große Rolle. Es sollte sich auf dem Gelände der Bundesgartenschau ein Spielareal befinden, sodass die Bundesgartenschau nicht nur für die Besucher, die sich Blumen und Bäume und Landschaftsgestaltung anschauen wollen, sondern eben auch für Kinder interessant wird. Auch in unserer Organisationsform sind wir einmalig in Deutschland: durch die Verbindung der personellen Betreibung und wissenschaftlichen Begleitung durch die Hochschule sowie der städtischen Trägerschaft.

... und nicht zu vergessen: die Kinder.

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das Spielhaus sollte ein Haus werden, das von Kindern für Kinder geplant wird. Aufgrund dessen haben wir Kinder von Anfang an hundertprozentig beteiligt. Sie waren von vornherein in die gesamte Planungsspirale eingebunden, also von der ersten Idee, der Vorlaufphase, bis hin zum Planungszirkel, einer Zukunftswerkstatt. In dieser Zukunftswerkstatt mussten wir den Kindern auch deutlich machen, dass man manche Dinge schlicht nicht bauen kann; dass zum Beispiel ein begehbarer Teddy ganz wunderbar aussieht, aber eben bautechnisch sehr schwierig umzusetzen ist. Es ist also ganz wichtig, dass man bei der Beteiligung von Kindern pädagogisch auch so vorgeht, sie nicht zu überfordern, aber sie schon als Experten in eigener Sache wahrzunehmen.

Und waren die Kinder zufrieden mit ihrem Werk?

Bei dieser Frage muss ich spontan an die Eröffnung der Bundesgartenschau denken. Als ich die Kinder im Spielhaus begrüßte, kam ein Junge auf mich zu und sagte: »Frau Stirtzel, das Haus ist genauso geworden, wie ich immer davon geträumt habe!« Obwohl er gar nicht mehr hier in Magdeburg gewohnt hat, ist er zur Eröffnung gekommen. Nun haben wir pro Jahr um die 16 000 Kinder – meist von 0 bis 14 Jahren – in unserer Einrichtung.

Wie setzen Sie den Partizipationsgedanken im Spielhaus um?

Wenn die Kinder als Gruppe, zum Beispiel als Kita- oder Hortgruppe, zu uns ins Spielhaus kommen, begrüßen wir sie mit den Worten: »Wir freuen uns, dass ihr hier seid. Dieses Haus ist euer Haus. Erwachsene sind hier nur Gäste. Ihr dürft jetzt dieses Haus erst einmal ergründen, und dann treffen wir uns gleich wieder, und ihr sagt uns, was ihr gerne in diesem Haus tun möchtet.« Wir vertreten also keine Angebotspädagogik. Es gibt zwar Anregungen von unserer Seite, aber wir wollen die Kinder fördern, indem wir ihre eigene Kreativität anstacheln. Wir stellen fest, dass es für die Kinder wundervoll ist, wenn sie einfach erstmal durch das ganze Haus toben und alles erkunden können – ohne viele Verbote.

Im Spielhaus bestimmen die Kinder also, was gespielt wird?

Das ist für die Kinder ganz wichtig, manchmal aber auch schwierig, weil sie es leider oftmals in ihrem bisherigen Alltag gar nicht gewöhnt sind. Kinder werden in der Regel sehr selten gefragt, was sie eigentlich tun möchten. Wer aber länger im Partizipationsbereich arbeitet, wird merken, dass Partizipationspädagogik ein Gewinn ist, denn wenn man Kinder anregt, kreativ zu sein und sich zu entfalten, geben sie uns Erwachsenen sehr viel zurück – und das ist für uns ein ganz, ganz wunderbares Gefühl.

Die Kinder können also aus sich selbst heraus aktiv werden. Doch wie bringt man das mit konkreten Lernzielen in Verbindung?

Da ich den Bereich der frühkindlichen Pädagogik vertrete, bedeutet Lernen für mich Selbstverständnis, im Sinne von Selbstbildungsprozessen. Wir haben im Spielhaus das Ziel, die Kinder in ihren Selbstbildungsprozessen unterstützen, ihnen also Gelegenheit zur Erfahrung ihres eigenen Handelns zu geben. Die Kinder lernen im Spielhaus, auf ihre eigenen Ressourcen zurückzugreifen. Sie sind Experten in eigener Sache. Erwachsene machen oft einen ganz großen Fehler. Wir trauen unseren Kinder viel zu wenig zu. Sie können so viel. Und sie brauchen uns Pädagogen als Unterstützung, aber sie brauchen uns nicht als jemanden, der ihnen ständig vorschreibt, was sie zu machen oder zu lernen haben. Ich weiß, dass ich da sehr offensiv bin, aber Partizipationspädagogik kann nur funktionieren, wenn man auch selbst bereit ist, immer wieder mit den Kindern gemeinsam zu lernen, als gleichberechtigte Partner.

Das klingt nicht nach klassischen pädagogischen Ansätzen. Machen Sie auch manchmal negative Erfahrungen mit Pädagogen oder Eltern?

Wenn Kinder zu uns kommen, verbleibt die Aufsichtspflicht bei den begleitenden Erwachsenen, also meist den Großeltern, Eltern oder begleitenden Erzieher und Erzieherinnen. Die haben mitunter enorme Probleme, sich auf die Freiheit im Spielhaus einzulassen. Partizipation wird häufig als Machtverlust empfunden, mindestens ist sie ungewohnt und neu. Pädagogen tragen eine hohe Verantwortung, wenn sie mit Kindern unterwegs sind. Wenn sie selbst mit dem Partizipationsgedanken nicht so vertraut sind, dann ist es schwierig, sich darauf einzulassen – diese Ängste darf man nicht unterschätzen.

Die Fragen stellten Mandy Junge und Anne Petzold, Studentinnen des BA-Studiengangs Philosophie-Neurowissenschaften-Kognition an der Universität Magdeburg.

Kontakt:
Spielhaus (Elbauenpark)
Tessenowstr. 5a
39114 Magdeburg
Tel.: 0391/5957274
info@elbauenpark-md.de

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