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Der Mathematische Monatskalender: Edmund Landau (1877–1938)

Landau hat die heute allgemein übliche Notation mit dem kleinen und dem großen O in die Mathematik eingeführt ("Landau-Kalkül").
Edmund Landau (1877 – 1938)

Edmund Georg Hermann Yehezkel Landau wird 1877 als Sohn des angesehenen und wohlhabenden Berliner Gynäkologen Leopold Landau und seiner aus der Bankiersfamilie Jacoby stammenden Frau Johanna geboren. Für Leopold Landau ist es kein Widerspruch, in politischen Fragen einen deutsch-nationalen Standpunkt einzunehmen und gleichzeitig überzeugter Zionist zu sein.

Bereits im Alter von 16 Jahren legt Edmund die Abiturprüfung am Französischen Gymnasium ab und nimmt das Studium der Mathematik an der Berliner Universität auf. Mit 22 Jahren promoviert er mit einer nur 14 Seiten umfassenden zahlentheoretischen Arbeit mit dem Titel Neuer Beweis der Gleichung \( \sum_{k=1}^\infty \frac{\mu(k)}{k}=0\), die von Ferdinand Georg Frobenius und Lazarus Immanuel Fuchs betreut wird. Dabei steht \(\mu\) für die Möbius-Funktion, die in Abhängigkeit von der Anzahl und der Vielfachheit der Primfaktoren von \(k\) nur die Werte 0, 1 und –1 annehmen kann.

1901 habilitiert er sich mit einer Arbeit über ein Thema aus der analytischen Zahlentheorie, das sein ehemaliger Doktorvater Frobenius für unwichtig einschätzt, was aber den selbstbewussten Edmund Landau in keiner Weise irritiert. Zunächst als Privatdozent, ab 1905 als außerordentlicher Professor übernimmt er die Vorlesungen zur Zahlentheorie und zusätzlich Anfängervorlesungen (wozu er eigentlich nicht verpflichtet ist).

Nach dem plötzlichen, frühen Tod von Hermann Minkowski im Jahr 1909 wird Landau als dessen Nachfolger zum ordentlichen Professor in Göttingen ernannt, wo er zusammen mit David Hilbert und Felix Klein erfolgreich dazu beiträgt, das weltweite Ansehen der Göttinger Universität zu stärken. Bis zu seiner Berufung nach Göttingen hat Landau bereits 70 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht.

Von den insgesamt über 250 Abhandlungen und Büchern Landaus sind insbesondere hervorzuheben: Handbuch der Lehre von der Verteilung der Primzahlen (1909, zwei Bände), das unter anderem seinen 1903 veröffentlichten "einfachen" Beweis des Primzahlsatzes enthält. Weiter: Vorlesungen über Zahlentheorie (1927, drei Bände), Grundlagen der Analysis (1930) sowie Einführung in die Differential- und Integralrechnung (1934).

Landau entwickelt dabei einen für ihn typischen Stil. Viele Mathematiker haben in der Folge versucht, diesen Landau-Stil zu übernehmen: eine endlos erscheinende Definition-Satz-Beweis-Folge mit sorgfältig ausgefeilten Formulierungen und kurz gefassten, aber vollständigen Argumentationen ohne Anmerkungen oder Hinweisen, wie oder warum man zu dieser Abfolge von Gedanken gekommen ist.

Für Darstellungen in der Analysis entwickelt Landau eine Schreibweise des Zahlentheoretikers Paul Bachmann weiter; diese sogenannte Landau-Notation wird auch heute noch verwendet. Beispielsweise kann die Näherung der Exponentialfunktion durch das quadratische Polynom \( 1+x+\frac{1}{2}x^2\) (in einer hinreichend kleinen Umgebung von \(x = 0\) ) mithilfe von \( e^x = 1+x+\frac{1}{2}x^2+\mathcal{O}(x^3)\) beschrieben werden. Bei der Grenzwertbestimmung für \(x \to 0\) kann oft die Anwendung der Regel von de l'Hôpital durch den sogenannten Landau-Kalkül ersetzt werden, zum Beispiel:

\( \frac{\sin(x)-x}{x\cdot(1-\cos(x))}=\frac{-\frac{1}{6}x^3+\mathcal{O}(x^5)}{x\cdot(\frac{1}{2}x^2+\mathcal{O}(x^4))} = \frac{-\frac{1}{6}+\mathcal{O}(x^2)}{\frac{1}{2}+\mathcal{O}(x^2)} \to -\frac{1}{3}\)

Auf Anschauung legt Landau keinen Wert. Deshalb interessiert er sich auch nie für Fragestellungen der Geometrie; die Zahl \(\pi\) führt er als kleinste positive Nullstelle der Sinusfunktion ein, wobei er diese durch \( \sin(x)=\sum_{m=0}^\infty \frac{(-1)^m}{(2m+1)!}x^{2m+1} \) definiert.

Gegenüber Kollegen, die sich auch für die Anwendung von Mathematik interessieren, bringt er kaum Verständnis auf; so bezeichnet er die theoretische Forschungsarbeit von Strömungsmechanikern spöttisch als Schmieröl-Mathematik.

Seine Veröffentlichungen finden schnell internationale Anerkennung. 1912 wird er eingeladen, auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Cambridge einen der Hauptvorträge zu halten (Gelöste und ungelöste Probleme aus der Theorie der Primzahlverteilung und der Riemann'schen Zetafunktion). Er nennt dabei vier Themen, die als Landau-Probleme in die Literatur eingehen und weiterhin ungelöst sind: Goldbach-Vermutung (Jede gerade Zahl, die größer als 2 ist, lässt sich als Summe zweier Primzahlen darstellen), Legendre-Vermutung (Für alle natürlichen Zahlen \(n\) gilt: Zwischen \(n^2\) und \( (n+1)^2\) existiert mindestens eine Primzahl), die Vermutung, dass es unendlich viele Primzahlzwillinge gibt, und die Vermutung, dass unendlich viele Primzahlen der Form \(n^2+1\) existieren.

Zur Eröffnung der Hebräischen Universität in Jerusalem im Jahr 1925 hält der seinen jüdischen Glauben praktizierende Mathematiker einen Vortrag in hebräischer Sprache. 1927/28 übernimmt er dort eine Gastprofessur, auch um die Arbeitsbedingungen auszutesten. Das Leben in Palästina erweist sich als wenig komfortabel; seine Familie vermisst den von zu Hause gewohnten Luxus (auch seine Frau stammt aus einer vermögenden Familie; sie ist die Tochter des Medizin-Nobelpreisträgers Paul Ehrlich). Außerdem entspricht die personelle Ausstattung des Fachbereichs nicht Landaus Vorstellungen. Landau wird gefragt, ob er bereit sei, das Amt eines Rektors der Universität zu übernehmen.

Er erfährt, dass Albert Einstein und Chaim Weizmann einen anderen Kandidaten favorisieren, und da er die zu erwartende personelle Auseinandersetzung scheut, kehrt er wieder auf seinen Göttinger Lehrstuhl zurück.

Landaus fachliche Qualifikation steht außer Zweifel, aber durch sein gelegentlich arrogantes Verhalten verschafft er sich nicht nur Freunde. Sein üblicher Spruch Mein Haus in Göttingen können Sie nicht verfehlen – es ist das schönste in der Stadt gehört dabei zu den harmloseren Sätzen. Normalerweise ist ein Wissenschaftler erfreut, wenn ein anderer auf eine eigene Publikation Bezug nimmt. Landau versieht solche Bezüge aber allzu oft mit Kommentaren wie "unnötig kompliziert" oder gar "überflüssig". So kommentiert er auch Veröffentlichungen von Wilhelm Blaschke, Ordinarius in Hamburg, und Ludwig Bieberbach, Nach-Nachfolger von Frobenius in Berlin. Ein Brief von Blaschke an Bieberbach aus dem Jahr 1921 schließt mit Haben Sie nicht Lust, Göttingen von Landau zu befreien? (Beide Mathematiker erweisen sich später als Unterstützer des NS-Regimes.)

Landaus Freund Fritz Rathenau, Abteilungsleiter im Preußischen Innenministerium und Bruder des 1922 ermordeten Außenminister des Deutschen Reichs, ahnt bereits 1932 die Gefahren, die auf die jüdischen Bürger zukommen, wenn die NSDAP an die Macht kommt. Er befürchtet, dass dann die Juden in Konzentrationslager deportiert werden. Landau nimmt das nicht ernst und spottet: "In einem solchen Fall würde ich mir ein Zimmer mit Balkon in Südlage reservieren lassen."

Nur fünf Wochen nach der Machtergreifung tritt das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft. Für Landau, der seine Stelle vor 1914 angetreten hatte, bedeutet dies den vorzeitigen Ruhestand. Bevor die konkrete Verfügung eintrifft, bittet ihn der Dekan der Universität in vorauseilendem Gehorsam, sich im darauffolgenden Sommersemester durch seinen Assistenten vertreten zu lassen. Als Landau aber dann im Wintersemester 1933/34 seine Vorlesung wieder selbst halten will, werden seine Hörer von studentischen SA-Mitgliedern unter Anführung von Oswald Teichmüller daran gehindert, den Hörsaal zu betreten. (Bieberbach sieht in dem inszenierten Vorgang seine Theorie bestätigt, dass Vertreter unterschiedlicher Rassen nicht zusammenarbeiten können. Die Studenten hätten offensichtlich ein Gespür dafür entwickelt, dass Landau undeutsche Positionen vertritt.) – Teichmüller erklärt anschließend seinem Lehrer Landau, dass er ihn als Mathematiker zwar sehr schätze, er es aber ablehne, dass dieser noch einmal eine Anfängervorlesung hält.

Landaus kurzfristig gestellter Antrag, im laufenden Semester für Gastvorlesungen an der niederländischen Universität in Groningen beurlaubt zu werden, wird genehmigt. Anfang Februar 1934 erfolgt dann die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand. Der zuvor äußerst aktive Gelehrte kommt mit seiner zwangsweisen Zurruhesetzung nicht zurecht. Auch weitere Gastvorlesungen in Cambridge und Brüssel können ihn nicht davon ablenken, dass und wie er daran gehindert worden ist, sein Lebenswerk fortzusetzen. 1938 stirbt er infolge eines Herzinfarkts. Die meisten seiner 33 Doktoranden, wie zum Beispiel Harald Bohr, Erich Kamke und Alexander Ostrowski, übernehmen bedeutende Lehrstühle an verschiedenen Universitäten Europas und tragen so mit dazu bei, dass das Werk Landaus nicht in Vergessenheit geraten ist.

Edmund Landau (1877 – 1938)

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