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Der Mathematische Monatskalender: Georges-Louis Leclerc Buffon (1707–1788): Feind der Kirche

Der französische Mathematiker Georges-Louis Leclerc Buffon sorgte für großen Wirbel in der Wissenschaftswelt des 18. Jahrhunderts. Durch seine Erkenntnisse zur Naturgeschichte zog er den Zorn der Kirche auf sich. Ganz nebenbei lieferte er elementare Beiträge zur Wahrscheinlichkeitstheorie.
Glücksfall

Georges-Louis Leclerc Comte de Buffon wird am 7. September 1707 in Montbard (Burgund) als Georges-Louis Leclerc geboren. Als er zehn Jahre alt ist, erbt seine Mutter ein großes Vermögen, darunter auch Ländereien in Buffon und Montbard; der Familienname wird um den Titel »de Buffon« ergänzt. Nach dem Besuch einer Jesuitenschule in Dijon studiert er auf Wunsch des Vaters mit nicht allzu großem Interesse die Rechtswissenschaften, obwohl er sich lieber mit Mathematik, Medizin und Biologie beschäftigen würde. Im Laufe der Jahre verlagert er jedoch die Schwerpunkte seines Studiums auf die ihn mehr interessierenden Fächer. Mit 20 Jahren entdeckt er (unabhängig von Newton) den Binomischen Lehrsatz.

\((a+b)^n=\binom{n}{0}\cdot a^n b^0 + \binom{n}{1} \cdot a^{n-1} b{1} + ...+\binom {n}{n} \cdot a^0 n^n\)

Er korrespondiert mit dem Schweizer Mathematiker und Physiker Gabriel Cramer (1704–1752) über Probleme der Mechanik, der Geometrie, der Zahlentheorie, der Differential- und Integralrechnung sowie über das Petersburg-Paradoxon der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Kann man beim Roulette-Spiel einen sicheren Gewinn erzielen, wenn man fortlaufend den Einsatz verdoppelt? (Nach Cramer ist die sogenannte Cramersche Regel benannt, eine Formel, mit deren Hilfe man unmittelbar aus den Koeffizienten eines Gleichungssystems die Lösungen berechnen kann.)

Als er im Alter von 25 Jahren das Vermögen seiner Mutter erbt, muss er sich um die Landgüter in Montbard kümmern; andererseits verschafft ihm sein Reichtum den Zugang zum gesellschaftlichen Leben in den höchsten politischen Kreisen in Paris. Die wissenschaftliche Gesellschaft beeindruckt er durch Fachkenntnisse: Als Botanikexperte berät er den Marineminister bei der Auswahl geeigneter Holzarten für den Neubau von Kriegsschiffen. 1733 veröffentlicht er einen mathematischen Beitrag »Mémoire sur le jeu de franc-carreau«, der dazu führt, dass er bereits im Alter von 26 Jahren als Mitglied in die Königliche Akademie der Wissenschaften gewählt wird.

Buffon übersetzt Isaac Newtons »Method of Fluxions and Infinite Series« ins Französische, schreibt ein umfangreiches Vorwort dazu (Veröffentlichung im Jahr 1740). Nachdem er 1739 vom französischen König zum Verwalter des Königlichen Botanischen Gartens in Paris ernannt wird, konzentriert er sich stärker auf Fragen der Naturgeschichte – im Laufe der Jahre vergrößert er den königlichen Park erheblich (heute noch als »Jardin des Plantes« zu besichtigen) und legt eine einzigartige Sammlung, das »Cabinet d'Histoire Naturelle du roi« an.

Zusammen mit Louis Jean-Marie Daubenton (1716–1800) verfasst er eine auf 50 Bände angelegte »Histoire naturelle, générale et particulière« (Allgemeine Historie der Natur), die sich mit der Entstehung der Erde, der Mineralien, der Entwicklung der Organismen und insbesondere der verschiedenen Tierarten beschäftigt. Die ersten Bände erscheinen 1749, drei Jahre später bereits in deutscher Übersetzung.

Mit der Kirche gerät er in Konflikt, als er die Theorie aufstellt, dass die Erde aus der Kollision eines Kometen mit der Sonne entstanden ist und die Bewegungen der Planeten nicht durch göttliche Einwirkung, sondern alleine durch die Gesetze der Mechanik zu erklären sind. Buffon stellt die Hypothese auf, dass sich alle Lebewesen aus kleinsten Teilchen entwickelt haben und die Entwicklungen durch klimatische Veränderungen beeinflusst werden.

Nach vergleichenden Untersuchungen der Anatomie vermutet er unter anderem, dass Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben. Aufgrund seiner Untersuchungen schätzt er das Alter der Erde auf 75 000 Jahre; die Kirche hatte bis dahin – gemäß den Angaben der Bibel – ein Erdalter von 6000 Jahren verkündet.

Zu seinen Lebzeiten werden 36 Bände der Enzyklopädie veröffentlicht; sie gehören zu den meistverbreiteten Schriften der Epoche der Aufklärung und verschaffen ihm internationales Ansehen. Aufgrund seiner Verdienste verleiht ihm der König 1773 den Titel eines Comte. Wegen des von ihm gepflegten Sprachstils nimmt ihn die Académie française im Jahr 1753 als Mitglied auf; bis ins 20. Jahrhundert werden seine Texte in französischen Lesebüchern abgedruckt. Kritiker, wie beispielsweise der Mathematiker und Physiker Jean-Baptist le Rond d'Alembert(1717–1783), bezeichnen ihn als »großen Phrasendrescher«.

Mit Kritik geht er jedoch zeit seines Lebens gelassen um – nach dem Prinzip, dass die Kritik auf die Kritiker selbst zurückfällt. Buffon heiratet zweimal. Sein einziger Sohn, von dem er hofft, dass er seine Arbeit fortsetzen wird, enttäuscht ihn; er endet 1794 in den Wirren der französischen Revolution unter der Guillotine.

1777 erscheint Buffons Beitrag »Essai d'Arithmétique Morale« in einem Ergänzungsband zu seiner »Histoire naturelle«, in dem er sich mit Fragen der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt. Aus einer umfangreichen Sammlung von Daten über Geburts-, Heirats- und Todesfälle in Paris entwickelt er unter anderem Sterbetafeln, die eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit ermöglichen, dass eine \(n\) Jahre alte Person noch weitere \(x\) Jahre lebt. Schwierigkeiten im Verständnis von Wahrscheinlichkeitsaussagen werden deutlich, wenn er einerseits \( \frac{1}{10000} \) als Wahrscheinlichkeit dafür angibt, dass ein 56-jähriger im Laufe eines Tages stirbt, andererseits sich ein solcher Wert seiner Meinung nach nicht von der Wahrscheinlichkeit \(0\) unterscheiden lässt.

Ausführlich setzt er sich mit dem Petersburg-Paradoxon auseinander, hält das Problem jedoch für unrealistisch, weil es praktisch nicht durchführbar ist. Im Übrigen lehnt er grundsätzlich Glücksspiele ab – auch solche mit fairen Spielregeln.

Als erster Mathematiker hat sich Buffon bereits in seinem Beitrag von 1733 mit Zufallsversuchen beschäftigt, die zu so genannten geometrischen Wahrscheinlichkeiten führen; dies erweitert er in seinem Buch aus dem Jahr 1777: Beim Spiel franc-carreau geht es darum, eine Münze mit Radius \(r\) zufällig auf ein Feld mit quadratischem Fliesenmuster zu werfen (\(c\) = Seitenlänge der Quadrate).

Der eine Spielteilnehmer wettet darauf, dass die Münze vollständig in einem quadratischen Feld liegen bleibt, der andere, dass mindestens eine der Trennlinien zwischen den quadratischen Feldern von der Münze bedeckt wird. Gefragt ist, bei welcher Fliesengröße beide Spieler gleiche Gewinnchancen haben. Buffon legt dar, dass es bei der Bestimmung der Gewinnwahrscheinlichkeiten auf die Größe von Flächen ankommt: Liegt der Mittelpunkt der Münze innerhalb des (grau) markierten inneren Quadrats, dann gewinnt der erste Spieler. Wenn also die graue Fläche und die restliche (weiße) Fläche der quadratischen Fliese gleich groß sind, also \((c-2r)^2 = frac{1}{2} \cdot c^2\), das heißt wenn das Verhältnis \(c/r = 4+\sqrt{8}\approx 6,8\) ist, dann handelt es sich um ein faires Spiel.

Buffon variiert die Aufgabenstellung auch für Fliesenmuster, die aus gleichseitigen Dreiecken oder Sechsecken bestehen. Außerdem überlegt er, wie die Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden können, wenn man nicht eine Münze, sondern anders geformte Gegenstände, wie beispielsweise quadratisch geformte Plättchen, Stäbe oder Nadeln zufällig auf unterschiedliche regelmäßige Bodenmuster wirft: Eine Nadel der Länge \(a\) werde zufällig auf parallel geschnittene Holzbretter der Breite \(b\) geworfen \((a < b)\).

Die Lage der Nadel ist dann eindeutig durch den Abstand \(x\) des Mittelpunktes der Nadel zur nächstliegenden Geraden und den Winkel \(\alpha\) bestimmt. Um die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis \(E\)zu bestimmen, dass die Nadel die Gerade schneidet, muss der Mittelwert der für den Nadelmittelpunkt günstigen Strecke \(f(α) = \frac{1}{2} \cdot a \cdot sin (\alpha)n\) im Verhältnis zur möglichen Strecke \(b/2\) im Bereich \(α \in [0 ; \pi [\) bestimmt werden.

Die gesuchte Wahrscheinlichkeit ergibt sich also mithilfe einer Methode der Integralrechnung; sie ist \(P(E) = 2a/b\pi\). Der Buffonsche Nadelversuch kann im Prinzip dazu genutzt werden, einen Näherungswert für die Kreiszahl \(\pi\) zu bestimmen; jedoch ist die Genauigkeit wegen des entsprechenden Streuverhaltens von Zufallsversuchen für die Praxis unbrauchbar. Die Lösung des von ihm erdachten und nach ihm benannten Buffonschen Nadelproblems löst heftige Diskussionen unter den Mathematikern seiner Zeit aus, führt aber schließlich zu einem erweiterten Verständnis des Wahrscheinlichkeitsbegriffs; Pierre Simon Laplace integriert die Buffonschen Ansätze in sein Werk »Théorie analytique des probabilités« (erschienen 1812).

September 2007

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