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Erde 3.0: Das Gewächshaus im Wolkenkratzer

Nahrungsmittelanbau in eigens dafür errichteten Hochhäusern spart Wasser und fossile Energie, meint der amerikanische Visonär Dickson Despommier. Die Umgebung bleibt von landwirtschaftlichen Schadstoffen verschont, und Städter können Salat und Äpfel direkt beim Erzeuger um die Ecke kaufen.
Das Gewächshaus im Wolkenkratzer
Langfristig sieht Despommier in seiner Idee der "vertikalen Farm" die einzige Lösung für das globale Nahrungsproblem. In der April-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft rechnet er vor: Die 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde nutzen für Ackerbau und Viehzucht schon heute eine Fläche, die der Größe von Südamerika entspricht. Für 2050 sagen Demographen gar 9,5 Milliarden Erdbewohner voraus. Da jeder mindestens 1500 Kalorien pro Tag benötigt, wird die Menschheit, falls sie ihre Landwirtschaft weiter so betreibt wie heute, dann zusätzlich ein Areal von der Größe Brasiliens kultivieren müssen. Doch soviel neuer Ackerboden existiert einfach nicht.

Zudem verbraucht die Landwirtschaft zur Bewässerung 70 Prozent des weltweit verfügbaren Süßwassers; danach ist es mit Düngemitteln, Pestiziden, Herbiziden und Schlamm kontaminiert und lässt sich nicht mehr trinken. Wenn das so weitergeht, wird sauberes Wasser in vielen dicht besiedelten Regionen bald Mangelware sein. Außerdem verschlingt die Landwirtschaft Unmengen an fossilen Treibstoffen. Besorgniserregend sind dabei nicht nur die emittierten Treibhausgase, sondern auch die mit dem Ölpreis steigenden Nahrungsmittelpreise; allein dadurch ist das Essen zwischen 2005 und 2008 vielerorts ungefähr doppelt so teuer geworden.

Nun gut, aus vielen Gründen braucht die stetig wachsende Weltbevölkerung eine Alternative zum Land fressenden Ackerbau. Aber sind Gewächshochhäuser in Städten eine praktische Möglichkeit?

Jawohl, meint Despommier, denn Nahrungsanbau unter Dach ist längst gängige Praxis. Drei Verfahren werden weltweit mit Erfolg genutzt: Tropfbewässerung, Aeroponik und Hydrokultur. Bei der Tropfbewässerung wurzeln die Pflanzen in Mulden aus leichtem, inertem und jahrelang verwendbarem Material, zum Beispiel Vermiculit, Tierliebhabern als Katzenstreu bekannt. Aus kleinen Röhren über den Pflanzen tropft nährstoffreiches Wasser gezielt auf jeden einzelnen Stängel; dadurch wird die sonst übliche Wasserverschwendung vermieden. Bei der Aeroponik hängen die Pflanzen in der mit Wasserdampf und Nährstoffen angereicherten Luft. Auch hier wird keine Erde benötigt. Und in modernen Hydrokulturen werden die Pflanzen so fixiert, dass ihre Wurzeln in Trögen ohne Erde liegen und von Wasser mit gelösten Nährstoffen umspült werden.

Wolkenkratzer-Treibhäuser auf leer stehenden städtischen Grundstücken sowie mehrstöckige Gewächshäuser auf ungenutzten Dächern können das ganze Jahr hindurch Nahrung liefern. Sie verbrauchen dabei viel weniger Wasser, produzieren kaum Abfall und benötigen keine fossilen Treibstoffe für Landmaschinen oder für den Transportverkehr mit entlegenen ländlichen Bauernhöfen. Zudem würde uns das Essen besser schmecken: Obst und Gemüse wären immer frisch.

Große Hydrokultur-Anlagen findet man schon heute, unter anderem in den Niederlanden, in Großbritannien, Dänemark, Deutschland und Neuseeland – allerdings meist weit außerhalb der urbanen Ballungsräume. Despommier plädiert mit guten Gründen dafür, 30 Stockwerke hoch gestapelte Treibhäuser inmitten großer Städte anzusiedeln. Seine Argumente beginnen bei Stadtplanern und Ökologen Gehör zu finden.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, April 2010
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