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Familien: Machen Kinder glücklich?

Warum verzichten Paare bewusst auf Nachwuchs? Viele fürchten offenbar, mit Kindern bleibe das persönliche Glück auf der Strecke. Ob dem wirklich so ist, hängt von vielem ab – auch von der Familienpolitik eines Landes.
(Un-)Happy Family

War etwa alles umsonst? Milliarden flossen in den vergangenen sieben Jahren ins Elterngeld, doch die Deutschen bekommen trotzdem viel zu wenig Kinder. Das jedenfalls legt der jüngste Report des Statistischen Bundesamts vom November 2013 zu den Geburtentrends nahe: "Immer mehr Frauen bleiben kinderlos", heißt es da. Unter den 40- bis 49-jährigen Akademikerinnen verzeichnet man einen deprimierenden Tiefstand. In den alten Bundesländern hat jede dritte bis vierte keinen Nachwuchs. Bundesweit dümpelt die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau seit Jahren unter 1,5 – um die Einwohnerzahl ohne Zuwanderung konstant zu halten, wären 2,1 notwendig.

Doch wie viele dieser kinderlosen Frauen haben freiwillig auf Familie verzichtet? Das ist gar nicht so leicht zu erfassen. Nach einer 2007 veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach wollten nur acht Prozent der 25- bis 59-jährigen Frauen und Männer in Deutschland explizit keinen Nachwuchs. Letztere scheuten sich dabei häufiger. Oft wird die Familiengründung aber lange und schließlich zu lange hinausgeschoben, oder der Kinderwunsch ändert sich. Je älter, desto mehr Kinderlose erklären auch, gar keine Kinder zu wollen. Unter den 35- bis 37-Jährigen sagte das laut der Langzeitstudie Pairfam mindestens jeder Fünfte.

Warum aber entscheiden sich so viele Menschen früher oder später bewusst gegen Kinder? Verschiedene Argumente werden angeführt, je nachdem, wen man fragt – ob Kinderlose oder Eltern, Verheiratete, Menschen in einer Fernbeziehung, Ältere oder Jüngere. Den einen fehlt der geeignete Partner, andere scheuen die Kosten, befürchten berufliche Nachteile oder meinen, Kinder hätten in unserer Welt keine gute Zukunft. Studien belegen klar, dass besonders Paare mit geringen Einkommen Angst vor dem sozialen Abstieg haben. Dass die Ärmeren das 2007 eingeführte Elterngeld kaum motivieren kann, war abzusehen: Wer vor der Geburt des Kindes kaum verdient, bekommt danach nur wenig. Mit dem über 24 Monate ausgezahlten Erziehungsgeld, das es früher gab, waren Geringverdiener also besser dran. Aber auch hochqualifizierte Frauen, die eigentliche Zielgruppe des Elterngelds, reagierten nicht so euphorisch wie erhofft. Denn Elterngeld hin oder her – ihnen droht der Karriereknick, wenn sie dem Arbeitgeber nicht mehr Vollzeit zur Verfügung stehen.

Nur kein Stress!

Viele Menschen verbinden mit Kindern offenbar eher Probleme. Bei einer Forsa-Umfrage von 2010 an rund 1000 kinderlosen Deutschen zwischen 25 und 45 Jahren erklärten 79 Prozent, das Leben sei ohne Kinder schon anstrengend genug. Mehr als 80 Prozent gaben an, sie wären auch ohne Nachwuchs zufrieden. Das erstaunt, erklärten uns Evolutionspsychologen nicht immer, der Mensch strebe vor allem nach Fortpflanzung? Viele Paare nehmen erhebliche medizinische und psychische Strapazen auf sich, um Kinder zu bekommen. Für sie gehört die Familiengründung zu einem erfüllten Leben.

(Un-)Happy Family | Nachwuchs ist eine Zukunftsinvestition, auch was das Glück betrifft: Kinder zu haben, zahlt sich oft erst im Alter durch höhere Lebenszufriedenheit aus.

Aber machen uns Kinder wirklich glücklich – oder glauben viele Kinderlose ganz zu Recht, ohne Nachwuchs seien sie besser dran? Diese Frage führt zu hitzigen Diskussionen, im Bekanntenkreis, in Internetforen und auch unter Forschern. Kinder, so versichern Betroffene, das heißt in jedem Fall "große Gefühle", positive wie negative: Intensive Glücksmomente, aber auch schlimme Ängste, Stolz und Wut, starke Verbundenheit. Die Befriedigung, gebraucht zu werden, etwas von sich weiterzugeben auf der einen Seite, auf der anderen der Schmerz des Loslassens und Verlassenwerdens.

Ungeachtet der Komplexität des Phänomens, ist aber die Frage berechtigt: Was bleibt – unterm Strich – als Lebensgefühl, wenn man Kinder großzieht? Wie glücklich sind Eltern mit ihrem Leben? Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen finden keinen eindeutigen Glückseffekt für Eltern. Demnach steigern Kinder nicht die Lebenszufriedenheit, eher im Gegenteil: Eltern seien öfter gestresst als Kinderlose und die Qualität der Partnerschaft sinke, so dass Ergebnis einiger Studien. Auch die Gefahr von Depressionen scheint erhöht. Noch dazu ziehen viele Eltern aus dem Zusammensein mit ihren Kindern offenbar wenig Freude.

Glücklich, weil verheiratet?

Eine Studie aus Texas hatte 2004 ergeben, dass zumindest berufstätigen Eltern Fernsehen, Einkaufen oder Kochen mehr Spaß machte, als sich mit ihren Kindern zu beschäftigen. 2013 wollten Forscher um Sonja Lyubomirsky von der University of California in Riverside einen Kontrapunkt setzen: "Zur Verteidigung der Elternschaft" nannten sie ihre Publikation. Die von ihnen interviewten Eltern erlebten nämlich nach eigenen Angaben mehr positive Gefühle, wenn sie sich mit ihren Kindern beschäftigen.

Außerdem befanden sich die mehrmals täglich befragten Eltern und insbesondere Väter auf einem höheren Glückslevel und empfanden mehr Sinn im Leben als Kinderlose. Ein Team um den Psychologen George Loewenstein stand aber schon in den Startlöchern, um das Ergebnis zu zerpflücken. Die Wissenschaftler von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh reichten umgehend eine Neuanalyse ein. Demnach beruhte der Glückseffekt vielmehr darauf, dass die betrachteten Eltern verglichen mit den Kinderlosen von anderen bekannten Glücksfaktoren profitierten. Sie waren zum Beispiel öfter verheiratet – was statistisch stark mit der Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Lyubomirsky räumte bereits in ihrer Originalveröffentlichung ein, eventuell würden sich glücklichere Menschen eher fürs Kinderkriegen entscheiden.

Immerhin, so antwortet die vierfache Mutter auf Loewensteins Kritik, zeige ihre Studie: Eltern können "trotz" Kindern glücklich sein! Es kommt eben auf die Umstände an, meint Lyubomirsky, die gelte es künftig genauer zu untersuchen. Rachel Margolis und Mikko Myrskylä vom Rostocker Institut für demografische Forschung haben damit bereits begonnen. Sie werteten die Angaben von mehr als 200 000 Befragten aus 86 verschiedenen Ländern aus. Auch hier waren die Eltern insgesamt zufriedener. Doch wiederum galt es zu beachten, was es ausmacht, verheiratet oder sozial besser gestellt zu sein. Berücksichtigte man diese beiden Glücksfaktoren, verkehrte sich der Effekt ins Negative. Kinder senkten demnach das Wohlbefinden im Durchschnitt.

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In der 2011 publizierten Studie fanden sich aber noch mehr interessante Zusammenhänge. Erstens sind jüngere Eltern unglücklicher als ältere. Dabei gilt, je betagter Mama und Papa, desto zufriedener werden sie – und siehe da: Die über 40-jährigen Eltern sind dann sogar (trotz Berücksichtigung anderer Effekte) ein kleines bisschen glücklicher als Kinderlose! Dies ist vermutlich weniger dem höheren Alter geschuldet als der Tatsache, dass die Sprösslinge schon aus dem Gröbsten raus sind. Bei den jungen Eltern unter 40 sinkt dagegen die Zufriedenheit mit jedem Kind, beim vierten manchmal sogar sprunghaft. Offenbar kippt dann das Vermögen, den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden.

Zweitens: Der Effekt hängt entscheidend davon ab, wo man lebt. In Italien und Spanien scheinen junge Eltern ab vier Kindern überdurchschnittlich belastet zu sein, meinen die Forscher, wohl, weil die südeuropäischen Staaten mit der finanziellen Familienhilfe so knauserten. In "Wohlfahrtsstaaten" wie Dänemark oder Schweden dagegen, in denen die finanzielle Unterstützung mitunter sehr großzügig ausfällt, ist der Glücksunterschied zwischen Kinderreichen und Kinderlosen deutlich geringer. In Entwicklungsländern wiederum sind Kinder die wichtigste Altersvorsorge: Das erklärt, warum insbesondere dort die älteren Eltern eher glücklicher sind als Kinderlose.

Auch in Deutschland blieb das Elterngeld nicht wirkungslos. Myrskylä und Margolis werteten die Antworten von mehr als 1000 Menschen aus, die zwischen 2003 und 2010 ihr erstes Kind bekamen. Das aktuelle Ergebnis: Bei jenen, die noch höchstens die mageren 300 Euro Erziehungsgeld erhalten hatten, sank die Lebenszufriedenheit nach einem anfänglichen kleinen Hoch relativ schnell unter den Wert vor der Geburt. Wer dagegen Elterngeld bezog, segelte noch im zweiten Jahr auf höherer Glückswelle.

Zusammenhang von Glück und Alter | Allenfalls Eltern über 40 sind eher glücklicher als Kinderlose – der Nachwuchs ist dann vermutlich schon aus dem Gröbsten raus.

Ob die Gleichung Kinder = Glück aufgeht, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Matthias Pollmann-Schult vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung fasste 2013 die aktuellsten Ergebnisse der Pairfam-Studie zusammen. Geld allein macht Eltern demnach nicht glücklich: Vor allem solche mit mittlerem Einkommen sind in den ersten Jahren nach der Geburt eher glücklicher. Bei jenen mit hohem Einkommen ist der Zusammenhang schwächer. Hier arbeiten oft beide Elternteile viel, was schnell zu Problemen führt. Im Gegensatz zu vollerwerbstätigen Müttern sind nichterwerbstätige Mütter deutlich zufriedener als kinderlose Frauen.

Erfolgsmodell Belgien?

Die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Deutschland offenbar wirklich ein Knackpunkt. Künftig sollen das seit 2013 gültige Recht auf einen Krippenplatz und mehr Ganztagsschulen Frauen zur Mutterschaft motivieren. Ein im Dezember 2013 veröffentlichter Ländervergleich des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung nährt diese Hoffnung. Die Bewohnerinnen der deutschsprachigen belgischen Kantone Eupen und Malmedy bekommen nämlich mit durchschnittlich 1,9 Kindern deutlich mehr Nachwuchs als ihre westdeutschen Nachbarinnen (mit nur 1,4 Kindern pro Frau). Größter Unterschied zwischen den beiden kulturell vergleichbaren Gruppen: Die Belgierinnen können seit vielen Jahren auf eine lückenlose Kinderbetreuung bauen.

Ländereffekte | Der Einfluss der sozialen Rahmenbedingungen zeigt sich am deutlichsten bei steigender Kinderzahl: Junge, kinderreiche Familien sind insbesondere in Entwicklungsländern und in Südeuropa deutlich unglücklicher als Kinderlose. Im Alter kehrt sich dieser Effekt um. In Ländern mit "konservativer" Sozialpolitik ist der Unterschied geringer – hier unterstützt der Staat Familien per Definition schon stärker. Gezeigt ist jeweils die Abweichung vom Glücksniveau der Kinderlosen im selben Land.

Aber ob mehr Krippen und Horte die Geburtenrate wirklich so stark ankurbeln werden? Hier zu Lande stehen viele der Fremdbetreuung der Kleinsten kritisch gegenüber (siehe Artikel "Immer Stress mit der Krippe"). Einmal abgesehen von der leidigen Diskussion, was eine "gute Mutter" auszeichnet: Wer den Sprössling wochentags länger als zwei, maximal drei Stunden wach erleben will, kann kaum Vollzeit arbeiten. Gerade Eltern, die sich viel mit ihren Kindern beschäftigen, sind laut Forschern um Claire Asthon-James von der Universität Amsterdam aber glücklicher. Ihre ebenfalls 2013 publizierte Studie ergab: Je engagierter sich Elternteile um ihr Kind kümmern, desto mehr Befriedigung ziehen sie aus der Elternschaft.

Trotz Kita und Ganztagsschule, Frauen (und auch Männer!) müssen sich in Deutschland nach wie vor entscheiden – Zeit fürs Kind oder Karriere? Dass es auch anders geht, zeigt etwa Schweden, es hat mit 1,9 Kindern pro Frau die zweithöchste Geburtenrate in Europa. Im skandinavischen Wohlfahrtsstaat wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit Jahrzehnten sehr großgeschrieben. Unternehmen bieten dort Männern wie Frauen weit flexiblere Möglichkeiten hinsichtlich Arbeitszeit und -gestaltung. Führungspositionen werden häufig aufgeteilt; an Mitarbeiter, die vom Homeoffice oder vom Spielplatz aus telefonieren, hat man sich längst gewöhnt. Fazit: Familie haben kann schön sein – wenn die Gesellschaft Eltern den Spielraum lässt, das Leben mit ihren Kindern nach eigenen Vorstellungen zu gestalten!

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  • Quellen

Bhargava, S., Kassam, K. S., Loewenstein G.: A Reassessment of the Defense of Parenthood. In: Psychological Science 25, S. 299–302, 2014

Buhr, P., Kuhnt, A.-K.: The Short-Term Stability of Fertility Intentions of Childless People in Eastern and Western Germany: an Analysis With the First Two Waves of the German Family Panel. In: Zeitschrift für Familienforschung, 24, Sonderheft 9, S. 275–297, 2012

Klüsener, S., Neels, K., Kreyenfeld, M.: Family Policies and the Western European Fertility Divide: Insights From a Natural Experiment in Belgium. In: Population and Development Review 39, S. 587–610, 2013

Margolis, R., Myrskylä, M.: A Global Perspective on Happiness and Fertility. In: Population and Development Review 37, S. 29–56, 2011

Myrskylä, M., Margolis, R: Parental Benefits Improve Parental Well-Being: Evidence From a 2007 Policy Change in Germany. MPIDR Working Paper WP-2013–010, 38 Seiten, Rostock, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, 2013

Myrskylä, M. et al.: New Cohort Fertility Forecasts for the Developed World: Rises, Falls, and Reversals. In: Population and Development Review 39, S. 31–56, 2013

Nelson, S. K. et al.: In Defense of Parenthood: Children are Associated With More Joy than Misery. In: Psychological Science 24, S. 3–10, 2013

Pollmann-Schult, M.: Elternschaft und Lebenszufriedenheit in Deutschland. In: Comparative Population Studies – Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 38, S. 59–84, 2013

Sütterlin, S., Hoßmann, I.: Kinderwünsche in Deutschland. In: Ungewollt kinderlos. Was kann die moderne Medizin gegen den Kindermangel in Deutschland tun? Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, S. 18–21, 2007

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