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Geodynamik: Wenn Beben in Schwärmen kommen

Erbebenregionen Deutschlands
Etwa alle acht Jahre ist es in der Region Vogtland/Nordwestböhmen wieder so weit. Zuletzt vor drei Jahren: Zwischen Oktober und November 2008 spürten die Bewohner der Region gleich eine ganze Serie von Erdstößen. Seismologen registrierten gar einige tausend Erschütterungen. "Schwarmbeben" nennen Forscher das Phänomen, bei dem innerhalb kurzer Zeit und am selben Ort viele Erdstöße etwa derselben Stärke auftreten.

Erbebenregionen Deutschlands | Karte der Erdbebenepizentren in Deutschland (mit Randgebieten) für die Jahre 800 bis 2006. Dargestellt sind alle bekannten Erdbeben mit Magnituden größer als 2,0 oder oberhalb der Spürbarkeitsgrenze. Das Rechteck markiert die deutsch-tschechische Grenzregion, in der Schwarmbeben vorkommen.
Beobachten lässt es sich vor allem in vulkanisch aktiven Regionen. Warum insbesondere das Vogtland im Grenzgebiet von Bayern, Thüringen, Sachsen und Nordwestböhmen so stark betroffen ist, war Forschern aber lange unklar. "Die Region Vogtland ist eine der seismisch aktivsten Regionen in Deutschland", so Geophysiker Thomas Plenefisch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Doch Vulkanismus kommt als Ursache nicht in Frage. Denn die letzten Vulkane in der Region erloschen bereits vor 300 000 Jahren. Auch liegt das Gebiet weit entfernt von Plattengrenzen, deren Bewegungen die weitaus häufigste Ursache von Erdbeben darstellen.

Viele der Erdstöße gehen unbemerkt vorüber

Trotzdem erreichten die Erdstöße beim Schwarmbeben von 2008 Magnituden bis zu 4,0. 1908 und 1985 wurden in der Region sogar Werte bis knapp unter 5 gemessen. Zu großen Schäden führen die Beben allerdings nicht: Die meisten Stöße erreichen nicht einmal die Magnitude 3,0 und bleiben damit unterhalb der Spürbarkeitsgrenze.

Dieser Film aus der ARD-Sendung W wie Wissen vom 11.11.07 dokumentiert die seismischen Ereignisse im Vogtland.

Den Herd der wiederholt auftretenden Erdbeben haben die Forscher längst lokalisiert. Er liegt in sechs bis 14 Kilometern Tiefe unter dem tschechischen Ort Novy Kostel. "Die Erdkruste ist hier sehr heterogen und besitzt viele Schwächezonen", erklärt Plenefisch. "Im Bereich des Vogtlands kreuzt die in Nord-Süd-Richtung verlaufende Marienbader Verwerfungszone den Egergraben."

Die Auffälligkeiten im Untergrund machen sich auch in erdbebenfreien Zeiten bemerkbar: durch vermehrten Gasaustritt an der Erdoberfläche, eine Art Atem der Tiefe. Die Gegend ist sogar berühmt für ihre heilsamen Mineralquellen, aus denen unaufhörlich Gasblasen blubbern. Das Gas, das hier entweicht, besteht zu mehr als 99 Volumenprozent aus Kohlendioxid (CO2). Über 100 solcher Austritte, berichtet Karin Bräuer vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) aus Leipzig-Halle, seien in der Region bereits untersucht worden. Hinzu kommen so genannte trockene Mofetten, die sich unter anderem durch die bräunliche Verfärbung der umgebenden Vegetation bemerkbar machen können.


Aus vielen der Mineralquellen und Mofetten im Dreiländereck Vogtland/Nordwestböhmen/Oberpfalz blubbert unablässig Kohlendioxid. Es stammt vermutlich von einer magmatischen Kammer im Untergrund der Region. Die Aufnahmen stammen von André Künzelmann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

Seit 20 Jahren schon erforscht Bräuer die aus der Erde entweichenden Fluide und die mit ihnen in Zusammenhang stehenden geodynamischen Prozesse. Von Fluiden spricht sie, weil die Gase während ihrer kilometerlangen Wanderung durch die Erde auch in den flüssigen Aggregatszustand wechseln. Der Schlüssel zur Klärung der Frage, wie die Vogtländer Schwarmbeben entstehen, liegt für die Geochemikerin in der Zusammensetzung des Gases. Neben dem CO2 finden sich darin nämlich unterschiedliche Anteile der Helium-Isotope Helium-3 und Helium-4.

Das Gas untersucht Bräuer vor Ort: "Wir haben vor rund 20 Jahren mit den Untersuchungen in der Region begonnen", berichtet sie. Zu ihren Mitstreitern zählen der Geologe Horst Kämpf vom Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) und ihr Kollege Gerhard Strauch, der wie Bräuer am UFZ arbeitet. In der Erdkruste, so ist schon lange bekannt, wird das relativ häufige Helium-4 durch radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium ständig produziert. Das seltenere Helium-3 hingegen stammt aus größeren Tiefen; hier im Erdmantel sammelte es sich bereits während des Entstehungsprozesses der Erde vor 4,5 Milliarden Jahren. "Das Verhältnis der beiden Heliumisotope gibt daher Auskunft über den Ursprung des aufgestiegenen Gases", veranschaulicht Bräuer.

Messwerte wie sonst nur beim Ätna

"Bis zu 90 Prozent des Heliums in den Entgasungen stammen aus dem Erdmantel", schließt die Geochemikerin aus ihren Messungen. Im Langzeittrend seit 1994 zeigte sich zudem ein Anstieg des Heliums aus dem Mantel. An einer der von ihr untersuchten Mofetten stieß die Forscherin gar auf ein Isotopenverhältnis, das den Vergleichswert in Luft um das 6,2-fache überstieg. Das ist der höchste Wert, der jemals in Mitteleuropa verzeichnet wurde – derlei Werte erreichen sonst nur Ausgasungen aktiver Vulkane wie des Ätna.

Zusammen mit dem hohen Kohlendioxidgehalt der Mofettengase lasse sich daraus ein eindeutiger Schluss ziehen, so Bräuer: "Wir müssen einen aktiven magmatischen Prozess im Untergrund der Region haben." Das kohlendioxidreiche Gas, so bestätigt auch Plenefisch, "steigt entlang der Störungen und Risse, die durch die Verwerfungszone entstehen, aus heißen aktiven Magmablasen in etwa 30 Kilometer Tiefe nach oben auf."

Direkt über dem Erdbebenherd in Novy Kostel finden sich allerdings keinerlei Entgasungsstellen, aus denen Kohlendioxid aus dem Erdinneren entweicht. "Es scheint in einer bestimmten Tiefe eine abdichtende Schicht zu existieren, eine Art Pfropf, durch die sich der Druck stetig erhöht", führt Bräuer aus – so lange, bis das Gestein bricht und es zu Beben kommt. Plenefisch ergänzt: "Wenn das Kohlendioxid aus dem Erdmantel nach oben steigt, erhöht sich der Porendruck in der Verwerfungszone." Der Porendruck begünstigt das Entstehen einer Scherspannung, sodass sich zwei Blöcke an ihren Grenzflächen leichter gegeneinander verschieben – es kommt zum Bruch mit monatelangem Schwarmbeben im Untergrund.

Jetzt müssen die Forscher nur noch die Magmenkammer finden, die das Vogtland nicht zur Ruhe kommen lässt. Doch selbst mit tomografischen Untersuchungen ließ sie sich bisher nicht aufspüren: Weder ihre Lage noch ihre Ausmaße sind bekannt. Ein wichtiges Stück des Puzzles fehlt also noch. Dass die Kammer existieren muss, haben die Signale aus dem Untergrund aber schon verraten.

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