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Georg von Holtzbrinck-Preis 2016: Laudatio auf Bernhard Albrecht

Lieber Herr Dr. von Holtzbrinck, liebe Preisträger, meine sehr verehrten Gäste der heutigen Preisverleihung!

Wenn irgendeine weltliche Instanz uns einen Strich durch diesen schönen Abend und die heutige Verleihung des Georg von Holtzbrinck-Preises für Wissenschaftsjournalismus hätte machen können, dann keine geringere als die altehrwürdige Jahreshauptversammlung des Fischereiverbands Schwaben. Sie allein hätte eine herausragende journalistische Karriere – noch bevor diese richtig Fahrt aufnehmen konnte – gleichsam harpunieren können.

Bernhard Albrecht war 16, hatte das Medizinstudium und die spätere Ausbildung an der evangelischen Journalistenschule hier in Berlin noch um einiges vor sich, da beschwerte sich jener Fischereiverband in Person seines Vorsitzenden höchstselbst bitterlich über einen Bericht in der "Augsburger Allgemeinen" – einen Bericht von Bernhard Albrecht über ebenjene Generalversammlung, mit dem der Schüler eigentlich in seinen Traumberuf "Journalist" eintauchen wollte. Gleich fünf Tatsachen seien dem Schreiberling durch das löchrige Netz seiner Recherche gegangen, wetterte der Oberste aller schwäbischen Angler gegenüber dem Chefredakteur. Der jedoch nahm es gelassener als sein Nachwuchsreporter, dem die Vorhaltungen noch lange wie eine Gräte im Hals steckten. Die teils berechtigten Vorhaltungen wohlbemerkt, wie der selbstkritische Autor zugestehen musste.

Kritik auch sich selbst gegenüber, ein ständiges Hinterfragen der eigenen Position und Kritik am Gegenstand seiner Berichterstattung – im Falle Albrechts vor allem: medizinische Forschung und Gesundheitsthemen –, das kennzeichnet die Arbeiten unseres Preisträgers, der – was bei der Größe und Zusammensetzung der Jury wirklich bemerkenswert ist – bei quasi allen Juroren auf dem Zettel für die Kategorie "Print" des Holtzbrinck-Preises stand. So auch bei mir.

Laudator Carsten Könneker | Carsten Könneker würdigt Bernhard Albrecht in seiner Laudatio.

Dass wir Herrn Albrecht in dieser Kategorie auszeichnen – und nicht etwa im Bereich elektronische Medien, in dem er ebenfalls wie ein Fisch im Wasser zuhause ist –, liegt an einer Karriereentscheidung vor wenigen Jahren. Nach Promotion in Medizin, Arbeit als Neurologe und Journalistenschule, die der Dr. med. mit immerhin 33 Jahren noch absolvierte, hatte es Bernhard Albrecht nämlich zunächst ins Fernsehen getrieben. Er arbeitete für mehrere TV-Anstalten, unter anderem "ProSieben", wo er lange Zeit als Autor, Teamleiter oder auch Chef vom Dienst für das Format "Galileo" wirkte. Hunderte Beiträge und mehrere "Galileo spezial"-Sendungen wurden von ihm produziert. Für eines dieser Speziale, die "Karawane der Hoffnung", erhielt er vor sechs Jahren gemeinsam mit Karsten Scheuren den Adolf-Grimme-Preis.

Doch wie es einen Aal im Lech bei Augsburg irgendwann zurück zu seinen Ursprüngen ins Meer zieht, so zog es Bernhard Albrecht bald nach dieser höchsten Auszeichnung, die man als Fernsehmacher in diesem Land zugesprochen bekommen kann, zurück ins Meer der gedruckten Magazine. Er schrieb beispielsweise für GEO, Natur&Kosmos, den Spiegel, das SZ-Magazin – bis ihn sich schließlich der Stern angelte, für den er heute auf Themenfang geht und aus dem auch alle drei Artikel stammen, auf denen seine Bewerbung um den Holtzbrinck-Preis 2016 gründet. Die Themen: "Grundlagenforschung zu den genetischen Ursachen von Hypertonie", "Die Tricks der Zahnärzte" sowie eine Stern-Titelgeschichte über den "Dschungel der Wunderheiler" – Anbieter so genannter alternativer Behandlungsmethoden, und zwar ganz konkret für Krebspatienten. Nicht nur, aber besonders dieser Beitrag hat es der Jury angetan. Daher möchte ich auf ihn kurz etwas näher eingehen.

Preisträger Dr. Bernhard Albrecht und Verleger Dr. Stefan von Holtzbrinck | Der Medizinjournalist Bernhard Albrecht gehört zu den Preisträgern 2016 und wurde von Stefan von Holtzbrinck geehrt.

Meine Damen und Herren,

wenn es hierzulande so etwas wie einen investigativen Medizinjournalismus gibt, dann ist Bernhard Albrecht ein Meister des Metiers. Für seine Heiler-Story besuchte er binnen drei arbeitsintensiver Wochen landauf, landab 20 Vertreter sanfter Therapien gegen Krebs, zehn Heilpraktiker sowie zehn Ärzte mit dezidiert alternativmedizinischer Ausrichtung. Fast alle Namen und Anlaufstellen hatte er zuvor per Suchmaschine gekeschert mit Anfragen wie "Brustkrebs alternative Heilmethode" oder "Krebs alternativ heilen". Zur waidgerechten Sortierung seines Fangs holte Albrecht zusätzliche Expertise bei einer Spezialistin der Deutschen Krebsgesellschaft sowie bei einem klinischen Onkologen ein.

Dr. med. Albrecht konsultierte seine 20 Krebsbehandlerinnen und -behandler indes nicht allein und auch nicht offiziell als Arzt oder Journalist, sondern gemeinsam mit einer Schauspielerin, die sich als Brustkrebspatientin und ihn als ihren Partner ausgab. In den verschiedenen Praxen präsentierte die vermeintliche Patientin stets zwei echte Befunde einer realen Krebspatientin – Mammografie und Histopathologie. Der histopathologische Befund deutete auf einen zwar kleinen, aber höher malignen Tumor, ein invasives Karzinom, hin. Für die Spezialisten im Saal: duktaler Typ, G3, fokale Invasion 4 Millimeter, Rezeptorstatus: 80 Prozent Östrogen, zehn Prozent Progesteron. Für die medizinischen Laien: Eine solche Patientin hat bei schulmedizinischer Standardtherapie – Operation samt Strahlen- und Antihormontherapie – eine Chance von rund 95 Prozent, nach zehn Jahren metastasenfrei zu sein.

Albrechts Begleiterin spielte einen Fall, der typischer kaum sein kann: Ein Patient steht vor einer schweren Entscheidung und sucht Orientierung, sucht eine zweite Meinung unter einem anderen Blickwinkel.

Zwölf der 20 Alternativexperten hielten die Operation für verzichtbar, darunter Ärzte wie Heilpraktiker zu gleichen Teilen. "Achtung, Lebensgefahr!" Mit diesen Worten ließ Albrecht den Vorspann seines bestechenden Beitrags im Stern vom 3. Juli 2014 enden.

Der erschütternde Report ist nicht nur im besten Sinne investigativ und aufklärerisch, er bietet auch erheblichen Nutzwert für Menschen, die angesichts einer schwierigen medizinischen Entscheidung alternativen Rat einholen wollen. Albrecht benennt juristische Fallstricke wie "Aufklärungsbögen", mit denen sich Behandler noch vor Therapiebeginn immunisieren gegen spätere rechtliche Konsequenzen; er beziffert Behandlungskosten (bis zu 30 000 Euro pro Jahr); er nennt Namen und Orte; er erklärt sinnvolle und nicht sinnvolle Anwendungsbereiche von Omega-3-Fettsäuren, Ginsengkapseln und Vitamin C. Trotz seiner erschreckenden Rechercheergebnisse urteilt der Autor differenziert. So verteufelt er die Alternativmedizin keineswegs, sondern misst ihr ausdrücklich eine flankierende Bedeutung zu in einem Gesundheitssystem, dessen Zeit- und Kostendruck immer mehr Menschen immer lauter nach anderen Zugängen fragen lässt. Allerdings müsse sie strenger reglementiert werden.

"In dieser Geschichte steckt am meisten von mir selbst", sagt Bernhard Albrecht. Der schreibende Mediziner kennt die Diskussionen um Schulmedizin und andere Heilmethoden, um die Plattitüde "Wer heilt, hat Recht" aus ungezählten eigenen Auseinandersetzungen mit Bekannten, Freunden, Verwandten. Sein Antrieb: die Suche nach dem gemeinsamen Nenner für rational Denkende und für Wundergläubige. Herausgekommen ist ein journalistisches Glanzstück.

Bevor wir ihm gleich die Urkunde übergeben, gestatten Sie mir an dieser Stelle noch kurz zwei grundsätzliche Gedanken über Wissenschaft und Pseudowissenschaft in öffentlichen Diskursen.

In einer Epoche, in der jede und jeder eigene Beiträge über alle möglichen selbst gewählten Themen publizieren kann; in der digitale Echokammern Urteile, Vorurteile und Fehlurteile darüber, was Wissenschaft für die Gesellschaft leisten kann, bis zum Gebrüll verstärken können; in der Verschwörungstheorie neben Quantentheorie ausgebreitet wird: In einer solchen Epoche ist es zum einen wichtig, dass sich die Wissenschaft selbst mit ihrer hunderttausendfachen Expertise aufklärerisch, nicht selbstdarstellerisch in öffentliche Diskurse einbringt. Das ist aus meiner Sicht nichts weniger als ein Dienst an unserer Demokratie – und hier geht noch mehr in diesem Land, in dem sich die meisten Forschenden mit Beiträgen außerhalb der engen Fachkommunikation traditionell eher zurückhalten.

Zum anderen aber sollten wir ein kommunikatives Klima scheuen, in dem die Wissenschaft, ihre Protagonisten, ihre Institutionen, ihre Förderer allein die Öffentlichkeit beschallen. In anderen Ländern, in denen es um den unabhängigen Journalismus schlechter bestellt ist als in Deutschland, hat die "vierte Gewalt" im Staat das Feld der Wissenschaft bereits geräumt. Das möge hierzulande nicht geschehen. Und vermutlich gibt es im Jahreslauf kaum eine bessere Gelegenheit als heute Abend, wo wir die renommiertesten Auszeichnungen für Wissenschaftsjournalismus in Deutschland verleihen, um daran zu erinnern, dass wir unabhängigen, kritischen, ja investigativen Journalismus brauchen – nicht nur um Unwissenschaft zu enttarnen, sondern auch und gerade als Korrektiv gegenüber der Wissenschaft selbst. Einen, der dieses Metier beherrscht wie wenige andere, würdigen wir jetzt. Das ist auch ein Zeichen. Sein Stern-Artikel inspirierte bereits andere Journalisten zu eigenen Recherchen und Arbeiten zum selben Thema und nach derselben Vorgehensweise – verdecktes Fischen in den Untiefen der Heilangebote.

Lieber Herr Albrecht – möge die Verleihung des Georg von Holtzbrinck-Preises dazu beitragen, Ihre Arbeit auch in der Szene der Journalisten noch weiter bekannt zu machen! Im Namen der Jury gratuliere ich Ihnen herzlich zur hoch verdienten Auszeichnung 2016 in der Kategorie Print.

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