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Interview: Die dunkle Seite des Universums

Millenium Simulation

Wissensschreiber
Was ist dunkle Materie und wie entsteht sie?

Ich habe keine Ahnung! Bisher hat das auch noch niemand herausgefunden. Wahrscheinlich besteht sie aus schweren Elementarteilchen. Aber man weiß nicht einmal, ob es wirklich Teilchen sind. Sie sind jedenfalls ganz anders als alles, was wir bisher kennen.

Das ist also so, als würde man eine ganz neue Tiergattung entdecken?

Ja, genau, das ist ein guter Vergleich.

Wer hat die dunkle Materie entdeckt und wann?

Fritz Zwicky hat sich im Jahr 1933 die Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen angesehen. Diese ist abhängig von der Gesamtmasse des Haufens. Dem Forscher fiel auf, dass sich die Galaxien für die berechnete Masse eigentlich zu schnell bewegen. Das war der erste Hinweis auf die dunkle Materie. Mit der bekannten Materie konnte man außerdem nicht erklären, warum Sterne in Galaxien zusammenhalten. Eigentlich müssten sie wegen ihrer hohen Umlaufgeschwindigkeit auseinanderfliegen.

Gravitationslinse

Was gibt es sonst noch für Beweise?

Der Gravitationslinsen-Effekt ist ein ziemlich guter Beweis. Weit entfernte Galaxien erscheinen uns verzerrt, weil die Lichtstrahlen auf ihrem Weg von der Materie abgelenkt werden. Das ist so ähnlich, wie wenn man durch ein geriffeltes Glas guckt. Und der Effekt ist stärker, als er sein müsste, wenn es nur die sichtbare Materie geben würde.

Wie sieht dunkle Materie aus?

Man kann sie nicht sehen, weil sie nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt. Das heißt: Sie reflektiert kein Licht und sendet auch keine Strahlung aus.

Und wie erforschen Sie dann die dunkle Materie? Was für Geräte braucht man für die Forschung?

Wir erforschen die dunkle Materie nicht direkt, sondern nur ihre Auswirkungen – zum Beispiel durch den Gravitationslinseneffekt. Ich bin Theoretiker. Eigentlich brauche ich nur meinen Computer, Stift und ein Blatt Papier. Ich verwende aber auch die Ergebnisse von den großen Teleskopen auf Hawaii und in Chile.

Matthias Bartelmann im Interview | Der Physiker zeigt den Wissensschreibern eine Karte von der Verteilung der dunklen Materie.

Lässt sich dunkle Materie bildlich darstellen?

Ja, man kann eine Art Landkarte von ihrer Verteilung erstellen. So wie auf einer Wanderkarte die Höhenlinien ein Gebirge anzeigen, kann man hier anhand von Dichtelinien sehen, wo besonders viel dunkle Materie vorkommt.

Wann ist sie entstanden?

Die dunkle Materie ist entweder direkt beim Urknall entstanden oder 10.000 bis 100.000 Jahre später. Aber auch das erforschen wir noch.

Wie viel dunkle Materie gibt es?

Das kann man nicht so genau sagen. Aber nach neuestem Stand der Forschung nehmen wir an, dass es ungefähr sieben bis acht Mal so viel dunkle wie sichtbare Materie im Universum gibt.

Millennium-Simulation | In dieser Simulation sieht man, dass die Dunkle Materie wie ein Spinnennetz im Universum verteilt ist. Bereiche, in denen sich viel Dunkle Materie sammelt, werden heller dargestellt.

Hängt die dunkle Materie auch mit der dunklen Energie zusammen?

Wahrscheinlich nicht. Die dunkle Energie sorgt für die beschleunigte Expansion des Universums, die dunkle Materie hingegen hält die Galaxien zusammen.

Wo kommt sie vor?

Dunkle Materie ist wahrscheinlich überall, sie ist nur ungleich verteilt – genau wie die sichtbare Materie bildet auch sie Klumpen.

Was bedeutet die dunkle Materie für uns und unser Weltbild?

Für den Alltag hat sie überhaupt keine Bedeutung. Aber in der Astrophysik ist sie sehr wichtig, denn sie spielt in der Entwicklung des Universums eine entscheidende Rolle.

Woraus besteht unser Universum? | Nach aktuellen Messungen des Satelliten Planck besteht nur ein kleiner Bruchteil (4,9%) des Universums aus sichtbarer Materie, also zum Beispiel aus Sternen. Die dunkle Materie (26,8%) und die dunkle Energie (68,3%)übertreffen sie um ein Vielfaches.

Was wird sie in Zukunft bewirken?

Wahrscheinlich nichts mehr. Für die Entwicklung des Universums war sie früher sehr wichtig. Heute hält sie zwar immer noch die einzelnen Galaxien zusammen. Aber weil das Universum sich immer weiter ausdehnt, wird es immer schwieriger, dass neue Strukturen aus dunkler Materie entstehen.

Wird es vielleicht in Zukunft möglich sein, dunkle Materie mithilfe von Geräten direkt abzubilden?

Ja, das ist möglich. Zum Beispiel kann man die Schwingungen messen, die entstehen, wenn Teilchen aus dunkler Materie mit den Atomen in einem Kristall zusammenstoßen. Ähnlich ist es auch im Teilchenbeschleuniger: Wenn Elementarteilchen scheinbar grundlos in eine unerwartete Richtung fliegen, dann könnte das an einem unbekannten Teilchen liegen. Das wäre dann ein weiterer Hinweis auf die Existenz der dunklen Materie. Stell dir vor, du stehst auf einem Fußballplatz und hast einen Ball vor dir. Dieser fliegt plötzlich ohne erkennbaren Grund weg. Etwas Unsichtbares muss ihn weggeschossen haben.

Und was interessiert Sie am meisten an Ihrer Arbeit?

Mich fasziniert die Vorstellung, dass die sichtbare Materie nur ein winziger Bruchteil von allem ist und wir vom Rest keine Ahnung haben.

Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Wir hoffen, dass Sie bald noch mehr über die dunkle Materie herausfinden!

Dieser Artikel entstand beim Wissensschreiber-Workshop zum Thema "Astronomie" im September 2013 in Heidelberg.

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