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Interview: "We are barking up the wrong tree"

Anton Zeilinger
Wer in Wien durch die schwere Tür in der Boltzmanngasse 5 geht, übrigens nur 50 Meter von der gut verteidigten US-Botschaft entfernt, den umfängt der Zauber der vorletzten Jahrhundertwende: kirchenhohe Treppenhausgewölbe, gewichtige Treppenhäuser mit massiven Geländern, Türen wie in einem Schloss, Flure und Hörsäle, die heute mit den Hausheiligen des Physikalischen Instituts der Universität Wien verziert sind. Wer im Umfeld von "Ludwig-Boltzmann-Zimmer", "Erwin-Schrödinger"- und "Lise-Meitner-Hörsaal" arbeitet, braucht vermutlich ein gewisses Selbstbewusstsein, um vom Schatten dieser Giganten nicht überwältigt zu werden. Da ist man schon fast getröstet, wenn gegenüber dem "Christian-Doppler-Hörsaal" über dem stillen Örtchen das schlichte Schild "Abort" prangt.

Selbst als ich ins Arbeitszimmer von Anton Zeilinger komme, dem führenden Quantenphysiker an der Universität sowie am frisch gegründeten Forschungsverbund des Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ), zeigt er mir vergnügt: "Diese Tafel gehörte schon Ludwig Boltzmann." Und tatsächlich, am unteren Tafelrand ist Boltzmanns Name per Plakette vermerkt. Wenn das keine treffliche Einstimmung für unser Gespräch ist.

"Diese Tafel gehörte schon Ludwig Boltzmann." | Reinhard Breuer mit Anton Zeilinger (links im Bild) vor der Tafel, die schon dem Wiener Philosophen und Physiker Ludwig Boltzmann (1844-1906) gehörte.
Spektrum: Woran hapert es bei der Suche nach dem Fundamentalen?

Prof. Dr. Anton Zeilinger: Ich bin überzeugt, wir müssen unsere Grundbegriffe noch klarer analysieren. Was meinen wir etwa genau mit Raum und Zeit? Was eigentlich ist Wirklichkeit? Was meint man, wenn man von Information spricht? Auch wenn alle Physiker damit pragmatisch sehr gut umgehen, fehlt doch eine gründliche Untersuchung.

Spektrum: Wer soll das machen?

Zeilinger: Dazu können zum Beispiel Philosophen beitragen. Die sollten aber nicht versuchen, die Wunder der Quantenmechanik zu kommunizieren, sondern sich intensiv mit der Materie beschäftigen.

Spektrum: Im Jahr 1927 haben die Forscher erstmals versucht, ein Gesamtbild der Quantenphysik zu entwerfen. Da hat Niels Bohr prägend gewirkt und die so genannte Kopenhagener Deutung propagiert.

Zeilinger: Ja, Bohr und Einstein haben dann hinterher jahrelang darum gestritten. Bohr hat die neue Theorie zweifellos gut verstanden und vertrat seine Deutung. Auch Einstein wusste, worum es geht, hat die Theorie aber attackiert. Schon 1927 wollte er mit Gedankenexperimenten zeigen, dass die Quantenphysik widersprüchlich ist.

Spektrum: Einstein sprach 1935 in der berühmten Arbeit mit Podolsky und Rosen von der Unvollständigkeit der Quantentheorie.

Zeilinger: Das war Einsteins Begriff für seine Kritik. Er bezweifelte auch die statistische Deutung, dass die Phänomene schon auf der Fundamentalebene zufallsgesteuert sind. "Der Alte würfelt nicht", sagte Einstein damals in einem Brief an Max Born. Er hielt die Welt in ihrer Grundlage für nicht zufällig.

Spektrum: Und, wie sehen Sie das heute?

Zeilinger: Da hatte Einstein wohl Unrecht, wie übrigens auch in einigen anderen Punkten. Er diskutierte ja zum Beispiel 1909 bei der Jahrestagung der Gesellschaft der Naturforscher und Ärzte in Salzburg das Problem des Welle-Teilchen-Dualismus. Wie könne denn, so fragte er, am Doppelspalt ein Beugungsbild entstehen, wenn jedes Teilchen jeweils doch nur durch einen Spalt gehen kann. Das könne man dadurch verstehen, dass die Teilchen beim Durchtritt durch den Doppelspalt miteinander wechselwirken. Da fände ein Informationsaustausch statt, der zur Interferenz führe.

Anton Zeilinger | "Es ist der Realitätsbegriff, der in Schwierigkeiten steckt."
Spektrum: Und das stimmt nicht?

Zeilinger: Nein. Denn etwa in unseren Experimenten mit einzelnen Photonen und einzelnen Molekülen trifft kein Teilchen auf ein anderes. Und trotzdem machen sie es sozusagen richtig. Sie interferieren und liefern ein Beugungsbild.

Spektrum: Was ist Realität?

Zeilinger: Dazu gibt es verschiedene Antworten. Einstein sagte, es existiert zumindest dann ein Element der Realität, wenn man den Wert einer physikalischen Größe, also ein Messergebnis, mit Sicherheit vorhersagen kann.

Spektrum: Der klassische Determinismus.

Zeilinger: Bedingt. Einsteins Forderung ist zwar hinreichend, muss aber nicht notwendig sein. Eine allgemeine Definition gibt es leider nicht. Ich sage gerne etwas lose: Der Realitätsbegriff unterstellt, dass die Messergebnisse Eigenschaften eines Systems widergeben, die unabhängig und vor der Beobachtung existiert haben. Das ist ein sehr schwacher Begriff von Realität. Da steckt nicht unbedingt ein Determinismus drin, wonach die Messergebnisse also schon vor der Beobachtung festgelegt sind. Aber es reflektiert Eigenschaften, die vorher schon da waren. Dieser Realitätsbegriff ist durch die Quantenmechanik in Schwierigkeiten geraten, um es mal sehr vorsichtig zu sagen.

Spektrum: Neben Realität spielt ja auch die so genannte Lokalität eine wichtige Rolle für klassische physikalische Theorien. Jede physikalische Theorie sollte realistisch und lokal sein ...

Zeilinger: Was bedeutet lokal? Was jemand hier beobachtet, soll nicht davon abhängen, was jemand gleichzeitig woanders macht. Kurz gesagt: Einflüsse schneller als mit Lichtgeschwindigkeit sollten in der Natur ausgeschlossen sein. Mathematisch hat schon 1964 John Bell in einem Theorem beschrieben, wie die Messresultate beschaffen sein sollten, wenn sie lokal und realistisch erklärbar wären. Bells Aussage wird aber durch die Quantenphysik verletzt. Das belegen inzwischen viele Experimente, die einen lokalen Realismus ausschließen.

Spektrum: Was trifft dann stattdessen zu?

Zeilinger: Es ist so, dass in der Quantenphysik der lokale Realismus nicht gilt. Das kann bedeuten, beides ist falsch, oder eins von beiden. In etlichen neueren Experimenten zeichnet sich ab, dass es eher der Realitätsbegriff ist, der in Schwierigkeiten steckt. Das würde bedeuten, dass man den Realitätsbegriff nicht retten kann, wenn man Nichtlokalität zulässt.

Spektrum: Welche Rolle spielt hier die Information, auf die Sie selbst immer wieder hinweisen?

Zeilinger: Von dem Theoretiker John Archibald Wheeler stammt der Ausdruck "It from Bit". Damit wollte er darauf hinweisen, dass für ihn Information das Fundamentale sei, von der aus sich die Welt beschreiben lasse. Das wollen viele nicht gerne hören – warum, ist mir unklar.

Spektrum: Für viele sind Information und Entropie abgeleitete Größen aus fundamentaleren Wahrscheinlichkeiten.

Zeilinger: Stimmt, aber ich verstehe nicht, warum man daraus ein Evangelium macht. Letztlich sollte ich als Physiker doch damit zufrieden sein, Messergebnisse vorherzusagen. Ob ich jetzt außerdem annehmen muss, dass die Wirklichkeit primär ist und die Information etwas Abgeleitetes – das mag für Philosophen interessant sein, aber als Physiker kann mir das doch auch egal sein.

"Da kommt Spannendes auf uns zu" | Quantenmechanik und Gravitation: "Vielleicht müssen wir eines von beiden modifizieren, oder auch beides", sagt Anton Zeilinger.
Spektrum: Aber ist es nicht von Bedeutung, was eigentlich fundamental ist? Die Quantenphysik kann es selbst ja auch nicht sein, so lange es keine Vereinigung der Naturkräfte mit der Gravitation, also eine Theorie der Quantengravitation gibt.

Zeilinger: Ich sehe das so: Einige der allerbesten Forscher haben sich vergeblich darum bemüht, die Quantisierung der Gravitation hinzubekommen. Das zeigt für mich, was im Englischen so schön heißt: "We are barking up the wrong tree." In der Gravitation geht es um Zeit und Raum, in der Quantenmechanik geht es darum, wie weit wir überhaupt Wirklichkeit beschreiben können. Vielleicht müssen wir eines von beiden modifizieren, oder auch beides.

Spektrum: Die Verschmelzung der beiden Theorien wird also eher nicht mit kleinen Anpassungen zu erreichen sein?

Zeilinger: Nein. Ich schätze, dass mindestens eine der zwei Theorien nicht ohne größere Modifikationen davon kommt, sonst hätten wir die Theorie Quantengravitation schon gefunden. Da kommt Spannendes auf uns zu. Bis dahin werden Experimente mit einzelnen Quantensystemen sicher noch viel Resultate liefern, die nicht nur von fundamentalem Interesse sind sondern auch neue Möglichkeiten für Anwendungen eröffnen.

Spektrum: Herr Zeilinger, wir bedanken uns für das Interview!

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