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Kino: Gut und Böse

Schimpansen

Im Kino ist die Welt ganz einfach: Da gibt es die Guten, wie zum Beispiel den dreijährigen Oscar, ein aufgewecktes, munteres Kerlchen, seine liebevolle Mama Isha und Freddy, der klug und besonnen den Familienklan führt. Und da gibt es die Bösen, wie die Krieger um den grausamen und finster dreinblickenden Scar. Eines Tages überfällt Scars Bande heimtückisch Freddys Trupp; es herrscht große Not – bis sich alles zum Happy End wendet.

Doch dieser von Disneynature produzierte Hollywood-Streifen handelt nicht von irgendwelchen Rittern in grauer Vorzeit. Die Schauspieler sind auch keine hoch bezahlten Filmstars, sondern: Schimpansen.

In ihrem zweiten gemeinsamen Film sind den Regisseuren und Produzenten Alastair Fothergill und Mark Linfield eindrucksvolle Aufnahmen gelungen. In mühevoller, dreijähriger Arbeit verfolgte das Kamerateam wild lebende Schimpansen im Taï-Nationalpark der Elfenbeinküste. Die Tiere waren menschliche Gesellschaft durchaus gewöhnt, da Wissenschaftler vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sie über 30 Jahre lang beobachteten. Unter Verhaltensforschern sind die Affen berühmt für ihre "Kultur" des Nüsseknackens, die sie an ihre Nachkommen weitergeben und die sich von den Techniken anderer Schimpansengruppen unterscheidet.

Da Wildtiere sich nicht an Drehbücher halten, waren die Filmemacher gezwungen, eine möglichst anrührende Geschichte aus ihrem Material zu destillieren. So zeigen sie, wie das ranghöchste Männchen ein mutterlos gewordenes Jungtier aufzieht und es in die Kunst des Nahrungserwerbs einweist. Selbst Jane Goodall, der Grande Dame der Schimpansenforschung, flößte dies Respekt ein: "Die Adoption eines Jungen durch ein erwachsenes Alphamännchen ist noch nie so wie hier gefilmt worden."

Auf Goodall geht auch die Gepflogenheit zurück, den Tieren Namen zu geben – wofür sie in den 1960er Jahren von Wissenschaftlern noch arg geschmäht wurde. Ob beim Hauptdarsteller "Oscar" der gleichnamige Filmpreis Pate stand, sei dahingestellt. Beim Namen "Scar" – also "Narbe" – für das Alphamännchen des Nachbartrupps, der die Rolle des Bösewichts spielt, ging den Filmemachern jedoch die Fantasie durch.

Überhaupt setzt der Film auf Vermenschlichung der tierischen Protagonisten und bedient sich einer martialischen Sprache. Der Kommentator bezeichnet den konkurrierenden Schimpansentrupp als "Feind", dessen "Krieger" die Hauptakteure drangsalieren. Doch Freddy und seine Mannen gewinnen schließlich die Entscheidungsschlacht, was die Stimme aus dem Off zum Kommentar "Einigkeit siegt über Brutalität!" hinreißt.

Schimpansen gehen nicht gerade friedlich miteinander um. Doch den Tieren Mordlust zu unterstellen, führt etwas zu weit. Bei ihrer Schwarz-Weiß-Malerei setzten Fothergill und Linfield wohl auf den Geschmack eines breiten Kinopublikums, um ihre Botschaft zu verbreiten: Tief im afrikanischem Dschungel leben wilde Tiere, die genauso wie wir Menschen handeln.

Wer sich nicht an Hollywood-Klischees stört, wird durch wunderschöne Bilder belohnt. Der witzige Abspann gibt zudem Einblicke in die schwierigen Dreharbeiten. Ein kurzer Hinweis darauf, dass der Lebensraum wild lebender Schimpansen immer weiter schrumpft, taucht leider erst auf, wenn die meisten Kinobesucher den Saal schon verlassen haben.


Quelle
Gehirn und Geist 5/2013

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