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Kognition: Spiegelschrift ist kein Problem

Heidelberg. Oft verdrehen Abc-Schützen einzelne Buchstaben, manchmal schreiben sie sogar ganze Wörter spiegelverkehrt. Handelt es sich dabei um ein Anzeichen einer Lernschwäche? Experten geben Entwarnung: In aller Regel ist spiegelverkehrtes Schreiben kein Grund zur Besorgnis.
Rätsel Spiegelschrift

Schulanfänger schreiben häufig spontan von rechts nach links oder malen einzelne Zeichen spiegelverkehrt. Dieses Phänomen ist eine normale Phase im Schreiblernprozess und hat nichts mit Konzentrationsproblemen zu tun, berichtet Jean-Paul Fischer von der Université de Lorraine in Nancy in der aktuellen Ausgabe von "Gehirn und Geist" (12/2012).

Der Psychologe untersuchte in den vergangen Jahren mit seinem Team mehrere hundert französische Vorschulkinder und Erstklässler. Dabei stellte er fest, dass Schreibanfänger oft schon die Form, jedoch noch nicht die korrekte Orientierung der Buchstaben und Ziffern verinnerlicht haben. Beim Schreiben stützen sich die Kinder vermutlich unbewusst auf Regeln, die für die Mehrheit der Zeichen gelten: So öffnen sich in unserem Alphabet beispielsweise C, E, F, G, K, L alle nach rechts – nur das J bildet eine Ausnahme und wird daher häufig spiegelverkehrt geschrieben. Ähnliches gilt für Ziffern wie 3 oder 7.in der aktuellen Ausgabe von "Gehirn und Geist" (12/2012).

Erstaunlicherweise machten die Kinder derartige Fehler nicht häufiger, als die Forscher sie beim Schreiben durch Zusatzaufgaben ablenkten. Daher vermutet Fischer, dass das spiegelverkehrte Schreiben nicht mangelnder Aufmerksamkeit geschuldet ist. Ob ein "schwieriger" Buchstabe verdreht wird, hängt vielmehr auch davon ab, welches Zeichen zuvor geschrieben wurde: Notiert ein Kind etwa eine 6 korrekt, so schreibt es ein direkt darauf folgendes J eher spiegelverkehrt. Spiegelt es dagegen die 6, dann tendiert es dazu, das nachfolgende J richtig zu orientieren. in der aktuellen Ausgabe von „Gehirn und Geist“ (12/2012).

Manchmal schreiben Kinder auch ganze Wörter spiegelverkehrt von rechts nach links. Am Anfang ist die Schreibrichtung noch nicht verankert, erklärt Fischer. Mit einem Trick konnte er beweisen, dass sehr viele französische Vorschulkinder ihren Namen verkehrt herum schreiben können. Die Forscher malten auf ein Blatt Papier eine vertikale Linie und setzten direkt links daneben einen Punkt – dort sollte das Kind mit dem Schreiben beginnen. Obwohl die Wissenschaftler den kleinen Probanden nicht verboten hatten, über die Linie hinweg zu schreiben, wechselten viele von ihnen spontan die Schreibrichtung von rechts nach links und verfielen komplett in Spiegelschrift.

Dass vor allem Linkshänder zur Spiegelschrift neigen sollen, kann Fischer nicht bestätigen: Ein Unterschied zwischen Rechts- und Linkshändern sei kaum zu erkennen. Auch fanden die Forscher keinen Zusammenhang mit schlechteren Schulleistungen. Laut Fischer kündigt spiegelverkehrtes Schreiben keineswegs eine Lese-Rechtschreibschwäche an, sondern ist eine normale Phase beim Erwerb der Schreibkompetenzen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, Dezember 2012
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