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Landwirtschaft: Alles Bio?

Vorbei ist die Zeit, da Einkaufen im Bioladen nur etwas für Ökos war: Längst finden sich Produkte mit entsprechendem Siegel in allen Supermärkten. Und angesichts von Gammelfleisch, Genmais und Co neigen immer mehr Käufer zum Griff ins Bioregal. Doch kann die Landwirtschaft den steigenden Bedarf überhaupt decken?
Glückliche Weideschweine, kitschig-schöne Korn- und Mohnblumen im wogenden Getreidefeld, Vollwertprodukte für die menschliche Gesundheit – der ökologische Landbau, so scheint es, bietet heile Welt pur. Und das lockt: Inzwischen finden sich auch in den Regalen einschlägiger Discounterketten Produkte aus biologischem Anbau zu geringeren Preisen als bisher im Naturkostladen oder Reformhaus üblich. Da hier erwiesenermaßen die Masse quer durch alle Käuferschichten ihr Geld ausgibt, scheint sich der Bio-Sektor von einer Nischenbranche zum Breitenversorger zu mausern.

Acker | Obwohl der Nahrungsmittelbedarf steigt, hat die Fläche an landwirtschaftlicher Nutzfläche kaum zugenommen, in manchen Industrieländern ist sie sogar gesunken – dank verbesserter Anbaumethoden.
Ein Traum wird wahr, möchte man meinen. Doch ausgerechnet Naturschützer, die man als erste Verfechter erwarten dürfte, sehen die Entwicklung durchaus mit Sorgenfalten, denn: Die Produktion solcher Produkte erfordert etwa ein Drittel mehr Fläche als im konventionellen Anbau.

Beispiel Schweine: Ihnen droht der Metzger erst nach etwa der doppelten Anzahl von Tagen wie ihren kasernierten Kollegen im Maststall. Dafür fressen sie entsprechend mehr, und dieses Futter steht vor seiner Präsentation im Trog irgendwo auf einem Feld – einem mit Biosiegel natürlich und auf europäischem Boden. Das bedeutet zunächst einen geringeren Ertrag pro Flächeneinheit und bei Erhöhung des Anteils von Bio-Fleisch mehr Fläche unter dem Pflug. Und Ökoschweine dürfen hinaus: Wälzen, wühlen, grunzen unter freiem Himmel ist nach den Richtlinien deutscher Biolandwirtschaftsverbände ausdrücklich erwünscht und wird ab dem Jahr 2010 feste Bedingung sein. Aber diese artgerechte Tierhaltung verbraucht ebenfalls zusätzlich Landschaft. Kann das dicht besiedelte Mitteleuropa diesem Bedarf überhaupt gerecht werden, legte man die Bedingungen deutscher Biolandwirtschaftsverbände als Maßstab für eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung an?

Viechereien

Ende 2005 wurden in Deutschland bundesweit 27 Millionen Schweine gehalten, der allergrößte Teil davon steht in konventionellen Mast- und Zuchtbetrieben. Die Vorgaben deutscher Öko-Verbände legen bei Weideschweinhaltung einen Besatz von zehn Tieren pro Hektar Fläche fest. Übertragen auf die Gesamtheit aller Schweine beanspruchte diese auch unter ökologischen Haltungsformen zweifellos artgerechteste Variante 2,7 Millionen Hektar Land allein an Lebensraum – das entspricht den Flächen der beiden Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Saarland zusammen.

Dazu kann der Hunger der zukünftigen Würste auch im Öko-Landbau nur teilweise über die Weide gestillt werden, der Landwirt kommt um zusätzliche Futtermittel nicht herum. Doch auch hier sind die deutschen Richtlinien streng: Das Schweinefutter sollte möglichst komplett aus Öko-Qualität bestehen und dazu mindestens zur Hälfte aus dem eigenen Betrieb stammen. Nur bis zu einem Sechstel darf überhaupt aus konventionellen Quellen zugekauft werden. Das alles bedeutet wiederum zusätzliche Fläche.

Ließe man entsprechend die noch in Deutschlands Ställen eingepferchten 56,8 Millionen Masthühnchen, 36,2 Millionen Legehennen, 13 Millionen Rinder und 10,6 Millionen Truthühner ebenfalls artgerecht unter freiem Himmel leben, schwindelt bei den errechneten Summen selbst dem nüchternsten Zeitgenossen.

Von der Vergangenheit ...

Vielleicht sind solche Hochrechnungen übertrieben. Schließlich ist auch im konventionellen Anbau trotz wachsenden Fleischhungers die Agrarfläche bisher nicht gewachsen, im Gegenteil: In den Industrieländern schrumpfte die genutzte Ackerfläche sogar bis vor zehn Jahren.

Dahinter steckt die "Grüne Revolution" der 1960er Jahre, die den Ertrag nicht nur deutscher konventionell bewirtschafteter Äcker pro Flächeneinheit auf das Dreifache der Ernten vor fünfzig Jahren steigen ließ. Der Einsatz von neuer Agrartechnik wie dem Anbau von Monokulturen und gezielter Kreuzungszüchtung verschiedener Sorten trug zu dieser kontinuierlichen Ertragssteigerung bei, der flächendeckende Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden tat ein Übriges. Den Erfolg der Strategie vor allem in Entwicklungsländern honorierte das Nobelpreis-Komitee im Jahr 1970 mit dem Friedensnobelpreis für den Agrarwissenschaftler Norman Borlaug als einen der Initiatoren.

Trotzdem sollte man die unerfreulichen Nebenwirkungen dieser Entwicklung nicht verschweigen: die Abnahme der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen, erhöhte Anfälligkeit der Agrarprodukte gegen Schädlinge und Krankheiten oder Zerstörung von ökologischen Abläufen durch die verwendeten Methoden. Auch die Abhängigkeit und hohen Kosten gerade für Kleinbauern ist vielen Kritikern ein Dorn im Auge.

... zur Gegenwart

Doch zurück zur aktuellen Situation: Die 2005 von der damaligen Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast eingeleitete Agrarwende strebt eine Erhöhung auf zwanzig Prozent ökologisch bewirtschafteter Fläche bis zum Jahr 2010 an. Da Deutschlands Bürger kaum deswegen freiwillig weniger essen werden, muss entweder mehr heimisches Land unter den Pflug, oder es wird mehr importiert.

Auch hier liefern die nüchternen Zahlen des Bundesamtes für Statistik erste Anzeichen für einen Trend: Schon seit 1995 wurden 38 Prozent der landwirtschaftliche Brachflächen wieder für die landwirtschaftliche Produktion umgenutzt. Das Schicksal der aktuell übrig gebliebenen 800 000 Hektar ist ungewiss. Denn nicht nur die nahrungsmittelerzeugende Landwirtschaft steht mit laufendem Traktor vor den anthropogenen Biotopen: Der Anbau von Biomasse für Kraftstoffe ließ bereits in den letzten Jahren immer mehr Felder strahlend gelb erblühen.

Biokraftstoffe stellen bereits heute EU-weit einen Anteil von zwei Prozent am Gesamtverbrauch. Eine Steigerung auf maximal 25 Prozent wird als realistisch angesehen. Dazu soll eine EU-Richtlinie beitragen, die Quoten für die Beimischung von Biodiesel in normalen Kraftstoffen festsetzt.

Nach Schätzungen von Experten könnten bald auf vier Millionen Hektar Anbaufläche nachwachsende Rohstoffe stehen. Das würde den Wegfall von knapp einem Viertel der derzeitigen 17 Millionen Hektar Agrarland in Deutschland für die Nahrungsmittelproduktion verursachen. Oder aber noch weiteres zusätzliches Land erfordern. Vor der mitteleuropäischen Haustür scheint das schwer realisierbar: Bebaute Fläche scheidet aus. Die Flächenreserve der heimischen Naturlandschaftsrelikte wäre größtenteils nur unter großem Energie- und Geldaufwand in Agrarland umzuwandeln und eine schwer durchsetzbare politische Entscheidung.

Was bringt die Zukunft?

Helfen könnte eine Analogie nach dem Vorbild Borlaugs: Zukunftsfähige Verbesserung der Methoden. Der Ansatz der Industriellen Ökologie fasst Bemühungen zur Verminderung der Umweltbelastung auf volkswirtschaftlicher Ebene zusammen. Der Verbrauch von Rohstoffen kann danach am besten zurückgeschraubt werden, wenn die Abfallverwertung maximiert wird. Dieses System von möglichst geschlossenen Kreisläufen ist auf die Landwirtschaft übertragbar.

Ansätze dazu gibt es bereits. Mit dem so genannten "precision farming" werden bei konventionellen Betrieben beispielsweise Unterschiede im Boden und in der Ertragsfähigkeit innerhalb eines Feldes ausgewertet. Mit Hilfe von GPS entstehen so Hofbodenkartierungen, mit denen Saat, Düngung oder der Einsatz von Herbiziden viel effektiver kalkuliert werden kann. Allerdings werden solche Methoden hierzulande bisher nur vereinzelt eingesetzt.

Für Produkte aus ökologischer Erzeugung fängt die Industrialisierung gerade erst an.
"Wir müssen unser Geschäft neu ausrichten"
(Helmut Born)
Wohin die Reise geht und wer dabei zusteigt, ist noch unsicher. Klar ist, dass die derzeitig in Deutschland praktizierten Methoden und Vorgaben für ökologischen Landbau in ihrer Gesamtheit ungeeignet für eine Breitenversorgung scheinen.

Dabei zweifelt niemand an dem großen Vorteil einer nachhaltigen Produktion von landwirtschaftlichen Gütern für die Umwelt oder die Art der Tierhaltung. "Wir müssen unser Geschäft neu ausrichten", sagt denn auch Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Das "Band zum Land", wie es die Stiftung Ökologie und Landbau fordert, wird bei dieser Neuorientierung sicherlich dünner werden. Aber vielleicht nicht unser aller Bauch.

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