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Molekularbiologie: Die neuen Genom-Schreibmaschinen

Gene ausschalten, um ihre Funktion zu erforschen - das ging zuverlässig bisher nur bei Mäusen. Techniken auf der Basis neuer Mechanismen zur sequenzgenauen DNA-Erkennung jedoch ermöglichen Gen-Knockouts nun bei fast allen Lebewesen.
DNA

Um Gene zu erforschen, muss man sie erst einmal zerstören – nahezu alles, was wir über die Funktion verschiedener Erbgutabschnitte wissen, haben Forscher herausgefunden, indem sie diese Gene ausgeschaltet und die Folgen untersucht haben. Grundlage dafür ist die Knock-out-Technik, für die Martin Evans, Mario Capecchi und Oliver Smithies 2007 den Nobelpreis erhielten. Doch Knock-outs haben einen erheblichen Nachteil: Die Methode funktioniert nur bei Mäusen. Bei anderen Organismen gibt es bisher kein allgemeines Verfahren, Gene gezielt auszuschalten – das macht diese Forschung, ob an Ratten, Krallenfröschen oder Lanzettfischen, zu einer komplizierten und oft frustrierenden Angelegenheit.

Bisher jedenfalls. Denn seit Kurzem gibt es mit so genannten TALENs (Transcription Activator-like Effector Nucleases) und Zink-Finger-Nukleasen (ZFN) zwei Verfahren, die dieses Problem elegant lösen – und möglicherweise bald noch ganz andere Dinge ermöglichen. Beide verwenden Proteinkonstrukte mit speziellen Schneideproteinen, den Nukleasen, die den DNA-Strang an einer ausgewählten Stelle kappen. Doch der eigentliche Trick liegt in der zweiten Komponente dieser Konstrukte – sie enthalten Proteinstrukturen, die so modifiziert werden können, dass sie beliebige DNA-Sequenzen spezifisch erkennen und binden.

Modulare DNA-Erkennung

Dass Proteine spezifische DNA-Sequenzen binden können, ist nicht neu. Doch die bisher bekannten DNA-bindenden Proteine sind gleichsam ein bisschen zu spezifisch: Man kann sie nicht einfach an ein, zwei Stellen umbauen, damit sie an eine auch nur leicht veränderte Sequenz passen. Selbst für eine minimal andere Basenabfolge braucht man ein völlig neues Protein. Die neuen Konstrukte jedoch entstehen in Modulbauweise: Sie enthalten mehrere DNA-bindende Proteinteile, die gemeinsam die Bindungsstelle für eine bestimmte Sequenz bilden. Ist ein Teil der DNA etwas anders, tauscht man das zugehörige Modul aus, und es passt wieder.

Im Fall der ZFN sind die Module die namensgebenden Zinkfinger – schleifenförmige, von Zinkatomen im Zentrum zusammengehaltene Eiweißstrukturen, deren Ende in die Rille des DNA-Doppelstranges passt und dort abhängig von den berührten Basenpaaren unterschiedlich stark bindet. Ein einzelner Zinkfinger bindet je drei Basen, und ein ZFN enthält etwa drei bis sechs Finger. Theoretisch kann man den DNA-bindenden Teil einfach aus zur gewünschten Sequenz passenden Fingern zusammensetzen.

Teuer und lange Vorlaufzeiten

In der Praxis aber tauchen dabei noch erhebliche Schwierigkeiten auf, die dazu führen, dass ZFN zwar seit Mitte der 1990er Jahre erforscht werden, bislang aber gemessen an ihren Möglichkeiten nur geringe Bedeutung erlangt haben. Die einzelnen Zinkfinger beeinflussen sich gegenseitig, so dass ein Molekül, das theoretisch perfekt auf eine Sequenz zugeschnitten ist, in der Praxis oft nicht so ideal bindet, wie gewünscht. Diese Kontextabhängigkeit führt dazu, dass Zinkfinger-Nukleasen trotz des einfachen Bausatzprinzips aufwändig optimiert werden. Entsprechend teuer sind sie, entsprechend lange Vorlaufzeiten benötigt ihr Einsatz.

Dieser Nachteil fällt bei der zweiten Variante dieser Moleküle, den TALENs, weg. Im Gegensatz zu den Zinkfingern ist der DNA-bindende Teil dieser Moleküle eine sehr neue Entdeckung – deutsche Forscher entdeckten die TALENs erst vor wenigen Jahren im Genom von Bakterien der pflanzenpathogenen Gattung Xanthomonas.

Das Funktionsprinzip ähnelt denen der Zinkfinger – auch TALENs bestehen aus einer Abfolge von Modulen, die gemeinsam an eine Sequenz binden. Jedes Modul besteht aus der gleichen Aminosäuresequenz, die sich nur an einer ganz spezifischen Stelle von den anderen Varianten unterscheidet – der DNA-Bindungsstelle, die für genau ein Basenpaar spezifisch ist. Und anders als die Zinkfinger lassen sich diese vier Module tatsächlich beliebig miteinander kombinieren, ohne sich gegenseitig zu stören.

Wie ein TALEN Erbgut schneidet | Das Prinzip von TALENs: Die TALE-Einheiten docken an spezifische DNA-Sequenzen an, die Nucleasen in der Mitte schneiden dann den Doppelstrang.

Ein am grünen Tisch konstruierter TALEN-Abschnitt bindet genau an jene Sequenz, den seine Modulabfolge verspricht. Die so erhaltenen Konstrukte aus Erkennungssequenz und Enzym setzt man paarweise ein, so dass man am DNA-Strang das Konstrukt TALE-Nuklease-TALE erhält. Und die Nuklease zerschneidet das Erbgut genau an der Stelle zwischen den beiden Erkennungssequenzen.

Einen festen Platz im Werkzeugkasten

Wegen dieser Vorteile haben sich die TALENs inzwischen einen festen Platz im Repertoire von Molekularbiologen erobert, die Genfunktionen in unterschiedlichen Organismen erforschen. "Mit den TALENs funktioniert das alles sogar sehr einfach", erklärt Alexander Knoll vom Karlsruhe Institute of Technology. Er forscht bei der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana an Genen, die bei der Reparatur von DNA-Schäden eine Rolle spielen. Um bei diesem Organismus Mutationen zu erzeugen, nutzte man bisher einen natürlichen Mechanismus aus: die Infektion mit dem pflanzenpathogenen Bakterium Agrobacterium tumefaciens. Das baut ein Stück seiner DNA an einer zufälligen Stelle in das pflanzliche Genom ein und kann so – wenn es der Zufall will – auch ein Gen inaktivieren. Einen solchen Zufallstreffer zu identifizieren ist sehr aufwändig, und manchmal gibt es auch keinen.

"Ich kann nun heraussuchen, wo genau ich die Mutation haben will, und zwar basengenau im Genom", erklärt Knoll die Vorteile von TALENs gegenüber dem älteren Verfahren, "Ich kann mir damit auch, wenn ich es denn will, echte Knock-out-Mutanten erzeugen, bei denen das gesamte Gen im Genom fehlt, sonst aber nichts zusätzlich im Genom ist." Die dafür nötigen TALENs erzeugt er selbst – im Handel sind Genabschnitte erhältlich, die alle Komponenten des Werkzeugs kodieren, insbesondere auch die einzelnen TALEN-Module. Die Einzelteile setzt der Wissenschaftler zusammen und überträgt sie in das hilfreiche Agrobacterium tumefaciens, welches das TALEN-Gen in das Genom der Pflanze einbaut. Das geschieht nach wie vor zufällig, doch das entstehende Protein schneidet mit seinem Nukleaseteil exakt an der gewünschten Stelle im Genom.

Ist das geschehen, hilft die Zelle selbst dabei, die gewünschten Mutationen zu erzeugen. Den künstlich verursachten Doppelstrangbruch – ob er nun von einem TALEN oder einer ZFN ausging – repariert die Zelle sofort wieder, doch sie macht dabei oft Fehler, so dass das angepeilte Gen in vielen Fällen unbrauchbar wird. Auch hier ist also der Zufall im Spiel – aber die Trefferwahrscheinlichkeit ist unglaublich viel höher als bei herkömmlichen Methoden. Anschließend, erklärt Knoll, züchte er das TALEN-Gen aus den Mutanten wieder heraus und erhalte eine Pflanze mit genau der gewünschten Mutation.

Das charmante an dem Verfahren ist, dass es, anders als der Knock-out von Genen, bei allen Organismen funktioniert. Die zelleigenen Mechanismen, die die Mutation erzeugen, sind ubiquitär. Bei Tieren muss man nicht einmal das TALEN-Gen in den Organismus einbauen, haben Forscher gezeigt. Es reicht aus, die fertigen Proteine in den Embryo oder das erwachsene Tier einzuschleusen. Inzwischen haben Wissenschaftler TALEN- und ZFN-erzeugte Mutationen in so unterschiedlichen Organismen wie Ratte und Zebrabärbling publiziert, und auch an menschlichen Stammzellen wurde die Methode schon eingesetzt.

© Spektrum der Wissenschaft
Eingriff ins Genom
Schon 2011 feierte die Fachzeitschrift Nature Methods die Möglichkeiten von TALENs und ZFN.

Für die Zukunft erhoffen sich Forscher sogar noch weitreichendere Anwendungen: Prinzipiell sollte es auch möglich sein, mit Hilfe von TALENs oder Zinkfingernukleasen gezielt neue Erbgutbestandteile ins Genom einzufügen. Dabei hilft die homologe Rekombination, ein weiterer Mechanismus zur Reparatur von DNA-Schäden. Trifft das abgetrennte DNA-Ende nämlich auf einen Einzelstrang, von dem ein Teil zum Doppelstranges passt, lagern sich der neue Strang und der dazu passende Strang mit den zueinanderpassenden Sequenzen aneinander, und die neu hinzugekommene DNA dient als Vorlage für die Vervollständigung des durchtrennten Erbgutstrangs. Zusätzlich zu den Nukleasekonstrukten, so der Plan, soll in Zukunft ein DNA-Einzelstrang in die Zelle gebracht werden, dessen Enden zu den Sequenzen auf beiden Seiten der Lücke im Genom passen. Der Mittelteil enthält die Erbgutsequenz, die man an diesem Ort einfügen möchte. Dank homologer Rekombination schließt die Zelle dann nicht nur die Lücke im Genom, sondern baut dabei gleich auch noch das gewünschte Stück Fremderbgut ein: Im Genom schreiben wie mit einem Textverarbeitungsprogramm.

Das allerdings ist noch Zukunftsmusik. Bei allen Erfolgen müssen die Nukleasekonstrukte erst noch zeigen, wozu sie wirklich fähig sind und wozu eben nicht – ob sie zum Beispiel tatsächlich so präzise sind, wie es bisher den Anschein hat, oder ob sie das Genom nicht doch in seltenen Fällen an anderen als nur der gewünschten Stelle zerschneiden. Ihre Entwicklung steht erst am Anfang. Die Folgen der neuen Möglichkeiten sind aber schon jetzt kaum zu überblicken.

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