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Neolithikum: Steinzeit jenseits der Steine

Noch sind Brunnen aus der Jungsteinzeit wahre Schätze: Hölzer, selbst Schnüre und Bast überdauerten darin die Jahrtausende und berichten vom Alltag der ersten Bauern Mitteleuropas.
Jungsteinzeitliche Kultur
Vor zwölf Jahrtausenden begann eine so radikale Veränderung menschlicher Kultur, dass sich dafür in der Fachwelt die Bezeichnung "neolithische Revolution" eingebürgert hat: Unsere Vorfahren gaben ihre nomadisierende Lebensweise auf und gründeten feste Dörfer; aus Jägern und Sammlern wurden Ackerbauern und Viehzüchter. Sie lernten neue Techniken, etwa Häuser zu bauen und Ton zu Keramik zu brennen. Ihren Ursprung nahm die Jungsteinzeit, so der deutsche Epochenbegriff, im Gebiet des fruchtbaren Halbmonds am Oberlauf von Euphrat beziehungsweise Tigris. Etwa Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. erreichte sie Mitteleuropa, dort nach den Mustern der tönernen Gefäße als bandkeramische Kultur bezeichnet.

Wie aber lebten unsere Vorfahren? Dass sie in Langhäusern wohnten, verraten die Löcher der Hauspfosten in den Grabungsstätten. Doch wie diese Gebäude ausgesehen haben könnten, darüber ließ sich bislang nur mutmaßen. Denn organische Materialien wie Holz sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – längst zerfallen, geschliffene Steinklingen und Scherben prägten das Bild der frühen Jungsteinzeit. Doch in den letzten 20 Jahren entdeckten Prähistoriker in Mitteleuropa insgesamt 18 Brunnen, allein sechs davon in Sachsen. Spektrum der Wissenschaft widmet dem neuen Bild von der Jungsteinzeit einen Beitrag in seiner März-Ausgabe, das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig präsentiert noch bis April die spektakulären sächsischen Funde.

In einigen Gruben hatten ausgehöhlte Baumstämme als Brunnenzylinder gedient, in den meisten aber kamen hölzerne Bohlen ans Licht. Die Sensation: Mit Kerben und Zapfen waren die Bretter miteinander zu Brunnenkästen verbunden worden. Da ist es keine Spekulation anzunehmen, dass unser Vorfahren solche fortschrittlichen Zimmermannstechniken auch für ihre Häuser nutzten.

Noch mancherlei Überraschung bargen die Wasserstellen. Schnüre aus Bast, Taschen aus Rinde, beide vermutlich Vorrichtungen zum Wasser schöpfen. Vollständige Keramikgefäße, mit einer Schicht Birkenpech bedeckt, in dem feine Muster aus Rindenstückchen klebten.

Gerade solche unversehrten Töpfe geben aber Rätsel auf. Wären sie versehentlich in die mehrere Meter tiefen Gruben gefallen, hätten sie zerbrechen müssen. Hat man sie also absichtlich dort deponiert? Die Frage nach dem Warum führt zur nächsten: Dienten diese Wasserstellen vielleicht kultischen Zwecken? Die sächsischen Archäologen sind davon überzeugt. Jene Brunnen geben uns nicht nur einen Einblick in den Alltag jungsteinzeitlicher Dorfgemeinschaften, sondern vermitteln uns auch eine Ahnung von der Glaubenswelt unserer Vorfahren.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, März 2010
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