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Prähistorisches Massenaussterben: Auf der Fährte der Giganten

Zeichnung eines Mammuts
Als einst die ersten Menschen nach Nordamerika kamen, beherbergte der Kontinent noch wollige Mammuts und Säbelzahnkatzen, Riesenfaultiere und andere Giganten der Tierwelt – eine Megafauna, die selbst jene des heutigen Afrikas in den Schatten stellt. Was aber geschah dann mit ihr? Und wann geschah es? Noch hat sich die Fachwelt auf keine der Theorien einigen können, die das Massenaussterben zu erklären versuchen. Eine Reihe von Forschungsergebnissen, publiziert gegen Ende vergangenen Jahres, könnten nun helfen, das Rätsel zu lösen – auch wenn sie auf den ersten Blick widersprüchlich scheinen.

Eine weit verbreitete Theorie erklärt die Menschen zur Ursache für den Niedergang der Riesentiere, viele Forscher berufen sich dabei auf unsere Kenntnisse der prähistorischen Clovis-Kultur. Denn diese hinterließ die frühesten eindeutigen Anzeichen dafür, dass Menschen die Neue Welt betraten – vor rund 13 500 Jahren. Das passt ins Konzept. Zu etwa diesem Zeitpunkt verschwand auch die Megafauna, man kann also vermuten, dass die Clovis-Menschen die Tiere bis zu ihrer Ausrottung jagten oder sie auch mit tödlichen Krankheiten infizierten. Eine andere Hypothese benennt hingegen den Klimawandel als Täter: Zweimal in jener Zeit änderten sich die Durchschnittstemperaturen deutlich. Eine besonders scharfe Abkühlung, als Jüngere Dryas bezeichnet, dauerte sogar 1300 Jahre lang an. Ein solch abrupter Wechsel der Umweltbedingungen könnte die Anpassungsfähigkeit der Tiere schlicht überfordert haben.

Genaueres wird man wissen, sobald sich das Aussterben der Megafauna genauer datieren lässt. Das Team um die Paläoökologin Jacquelyn Gill von der University of Wisconsin-Madison analysierte darum fossile Exkremente, Pollen und verkohltes Holz aus alten See-Sedimenten im US-Bundesstaat Indiana. Die Sporen des Pilzes Sporomiella finden sich bevorzugt im Kot großer Pflanzenfresser: Ihre Häufigkeit in dessen versteinerten Überresten erlaubt daher, die Zahl von Mammuts und anderen Riesenherbivoren abzuschätzen, die während unterschiedlicher Zeiträume die Region bevölkerten. Pollenfunde wiederum ermöglichen Rückschlüsse auf die damalige Vegetation, während Holzkohle von Waldbränden zeugt. In der Science-Ausgabe vom 20. November wiesen die Forscher nun auf den Zusammenhang zwischen Pflanzenwelt, Bränden und der Anwesenheit von Pflanzenfressern hin: Ohne Megaherbivoren würden sich Laubbäume wie Schwarzesche oder Ulme ungehindert verbreiten, ihre Überreste dann aber schon bald zu einer Vielzahl von Bränden führen. Aus den gesammelten Indizien folgert Gills Team nun, dass die Riesentiere vor 14 800 bis 13 700 Jahren verschwanden – möglicherweise also bereits bis zu 1300 Jahre bevor die Clovis ankamen.

Fossile DNA ersetzt Knochenfunde

Ausgehend von Radiokarbondatierungen zieht eine andere Studie jedoch den Schluss, dass das Massenaussterben genau in die Zeit der Clovis fällt. Der Archäozoologe J. Tyler Faith von der George Washington University hatte gemeinsam mit dem Archäologen Todd Surovell von der University of Wyoming nordamerikanische Knochenfunde aus prähistorischer Zeit untersucht. All diese Säuger, die 31 unterschiedlichen Gattungen angehören, scheinen im gleichen geologischen Zeitraum gestorben zu sein, vor etwa 13 800 bis 11 400 Jahren. Veröffentlicht wurde diese Studie am 23. November auf den Internetseiten der Proceedings of the National Academy of Science (PNAS).

Eine dritte Untersuchung stützt sich auf fossile, in Permafrostböden gefundene DNA und behauptet, dass die Megafauna in der Neuen Welt die Ankunft des Menschen noch um Jahrtausende überlebte. Die Überlegung der Forscher um den Evolutionsbiologen Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen: Jedes Mal, wenn der Permafrostboden in Zentralalaska im Frühling auftaute, sickerte Wasser hinein und damit auch DNA von Lebewesen dieser Region. Die Gene können also als Marker für jene Populationen dienen, die keine fossilen Knochen hinterlassen haben. Willerslevs Team hat nun genauere Untersuchungen mitochondrialer DNA durchgeführt und schließt aus der Analyse, dass Mammuts auf jeden Fall noch vor 10 500 Jahren lebten (ebenso wie Pferde, die in Amerika entstanden waren, dort aber wieder verschwanden, bis sie von den Europäern neu eingeführt wurden). Die PNAS-Studie über prähistorische Pferde und Mammuts erschien online am 17. Dezember.

Der eine findet den Rüssel, der andere den Schwanz

Miteinander vereinbaren lassen sich die neuen Ergebnisse offenbar nur, wenn man sie als Schnappschüsse dreier Phasen – Beginn, Mitte und Ende – des Massenaussterbens interpretiert. "Das ist wie in der Geschichte über die drei blinden Männer, die einen Elefanten – oder ein Mammut? – beschreiben", interpretiert der Ökologe Christopher Johnson von der australischen James Cook University (der an keiner der Studien beteiligt war) die Situation. "Jeder von ihnen scheint über ein anderes Tier zu sprechen, einfach deshalb, weil sie jeweils andere Teile seines Körpers berührt haben."

Eindrucksvolle Indizien für den Beginn des Massenaussterbens, so Johnsons Einschätzung, liefere die Untersuchung der Pilze. Sein Ende aber lasse sich so nicht exakt belegen, insbesondere wenn man von weiträumigen Gebieten ausgeht, in denen kleinere Populationen überdauert haben könnten. Die DNA-Funde wiederum können auch späte Überlebende nachweisen: "Mit ihrer Hilfe kommt man möglicherweise sehr nahe an die Zeit heran, zu der – zumindest in Alaska – die letzten Individuen lebten." Die fossilen Knochen schließlich stammen aus einer Zeit zwischen Beginn und Ende dieser Entwicklung und dokumentieren, dass der Prozess des Aussterbens viele Spezies gleichzeitig betraf.

J. Tyler Faith weist zudem darauf hin, dass die Knochen auf einem Gebiet gefunden wurden, das damals durch den gewaltigen Laurentidischen und den Kordilleren-Eisschild von Alaska getrennt war. Das könne möglicherweise erklären, warum die Studien unterschiedliche Daten lieferten.

Was war vor den Clovis?

Was also ist für den Niedergang der Megafauna verantwortlich? Das letzte Wort hierüber ist noch nicht gesprochen, sagt Willerslevs Mitarbeiter Ross MacPhee vom Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York, während Johnson auf Anstrengungen von Archäologen hinweist, die Anwesenheit von Menschen in der Neuen Welt bereits vor der Clovis-Kultur zu belegen. Er vermutet, die Tiere seien einfach überjagt worden. Die schön gearbeiteten geriffelten Speerspitzen, die man den Clovis zurechnet, könnten auf ihre Strategien zu einer Zeit hinweisen, als die Giganten bereits selten waren und die Jagd immer mühsamer wurde.

Doch selbst wenn sich der Auslöser des Massenaussterbens nie dingfest machen lassen sollte, ist doch dessen Untersuchung "von unmittelbarer Relevanz für unsere Gegenwart", schließt Gill. "Denn auch wir erleben zur Zeit ein Massenaussterben und kennen sogar seine Ursache – wir sind es selbst." Und erneut gehören große Tiere zu den bedrohtesten Arten.

Autor Charles Q. Choi ist Wissenschaftsjournalist und schreibt regelmäßig für den Scientific American. Hier schreibt er (auf englisch) über sich selbst.

Dieser Beitrag ist im Original im Scientific American erschienen.

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