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Die simulierte Evolution

Das Computerspiel "Spore" soll die Entwicklung des ersten Lebens zu höheren Organismen nachahmen - am Computer. Allerdings finden sich deutliche Unterschiede zwischen der Simulation am Bildschirm und den tatsächlichen Vorgängen in der Natur.
Ein Computerspiel, das die Wirklichkeit simulieren soll, lässt sich nicht ohne Hilfe kundiger Experten entwickeln. Schon gar nicht, wenn es, wie im Fall von dem im Herbst letzten Jahres auf den Markt gekommenen "Spore", um die Darwin'sche Evolution geht. Will Wright machte sich also auf den Weg. Der US-amerikanische Spieleentwickler, der für das Spiel "Die Sims" regelrecht berühmt geworden ist, traf Michael Levine, Genetiker an der University of California in Berkeley, Neil Shubin, Paläontologe an der University of Chicago und Hansell Stedman, Chirurg an der School of Medicine der University of Pennsylvania. Von ihnen und anderen wollte Wright wissen, wie in der Natur Leben entsteht und sich danach durch Evolution weiterentwickelt. Denn genau das wollte er in seinem Spiel simulieren.

Wie in der Realität herrscht auch in Spore Wettbewerb zwischen den Lebewesen. Darwins "Kampf ums Überleben" gewinnt, wer am besten angepasst ist – alle anderen sterben aus. Und wie in der Evolution, wo aus einfachen Wesen (meist) immer komplexere entstehen, geht die Entwicklung auch in Spore diesen Weg. Und schließlich streben auch in der Simulation fast alle Lebewesen nach einem symmetrischen Körperaufbau mit einer Längsachse, also nach bilateraler Symmetrie. Dann allerdings beginnen schon die Unterschiede.

Das Spiel umfasst fünf Entwicklungsstadien: Zelle, Kreatur, Stamm, Zivilisation und Weltraum. Während der ersten beiden Stadien sammeln die Spieler, indem sie bestimmte Aufgaben lösen, "DNA-Punkte", die ihnen dann zur Weiterentwicklung verhilft. In der Natur dagegen erfolgt Evolution unter anderem durch zufällige genetische Mutationen und sexuelle Reproduktion.

Außerdem trifft der Spieler häufig eine Auswahl, hat beispielsweise in der Zellphase zwischen der Entwicklung zum Fleisch- oder Pflanzenfresser zu wählen. Doch jede dieser Entscheidungen ist extrem eingeschränkt – ganz anders als in der wirklichen Welt, wo an jeder evolutionären Verzweigung eine Vielfalt von Möglichkeiten existiert und die Zukunft somit viel weniger festgelegt ist.

Quasi instantane Entwicklung

Evolution verläuft zudem langsam und in kleinen Schritten. Wie langsam, darüber streiten sich Theoretiker zwar noch, in Spore jedoch geschieht dies quasi instantan. Hier kommt es zu gewaltigen Entwicklungssprüngen, wenn etwa ganze Körperteile wie Hände, Füße, Kiefer oder Augen an einen Organismus angefügt und nahtlos in seine Funktionalität integriert werden. Dem Spieler steht dafür ein Kreaturen-Editor zur Verfügung, das "Labor", das ihm eine Palette vorgefertigter – also keineswegs auf "natürliche" Weise entwickelte – Körperteile anbietet.

Weil die Evolution ein sich ständig verzweigender Prozess ist, verlaufen etliche Abstammungslinien darin parallel und gleichzeitig. Spore dagegen erscheint zumindest im Einzelspielermodus linear und eindimensional. Der Spieler kontrolliert zunächst die Aktivität einer einzigen Zelle oder Kreatur, in der Stammesphase dann das Verhalten mehrerer Mitglieder des Stamms. Dann aber sind die Individuen biologisch schon festgelegt, Form und Größe ihrer Körper bleiben wie sie sind. Erst wenn man Spore online spielt, mit vielen verschiedenen Spielern agiert und sich aus der "Sporepädie" andere Kreaturen herunterlädt, nähert sich Spore dem "echten" Leben wieder mehr an.

Braucht Evolution einen allmächtigen Spieler?

Doch es gibt noch einen weiteren Unterschied zwischen Spore und der Evolution: Letztere ist ein emergentes Phänomen und wird nicht gesteuert. Bei Spore hingegen wählt der Spieler immer wieder zwischen verschiedenen Möglichkeiten, er sucht Körperteile, Eigenschaften, Verhaltensweisen, Farben, Beschaffenheiten, Muster und Formen aus. Die Evolution schreitet also nicht durch natürliche, sondern durch künstliche Auswahl voran. Oder anders gesagt: Der Spieler ist in der Position eines allmächtigen Schöpfers – und Spore damit eher eine Simulation des "Intelligent Design".

Doch auch wenn Spore in vieler Hinsicht am Ziel vorbeischießt: Vielleicht ist es dennoch ein Computerspiel mit Zukunft. Immerhin setzt es Maßstäbe für künftige Computeranimationen und wird so manchen in seinen Bann ziehen – auch wenn es uns mehr an Disney als an Darwin denken mag. Der US-Astronom Frank Drake etwa, bekannt unter anderem für seine "Drake-Formel" zur Berechnung der Zahl der außerirdischen Zivilisationen in der Milchstraße, betrachtet Spore als "gutes Spiel für Kinder. Es verankert die Vorstellung in ihren Köpfen, dass die Lebewesen auf der Erde (und anderswo) nicht schon immer so waren, dass Spezies kommen und gehen und dass, im Allgemeinen, die Komplexität der Lebensformen mit der Zeit zugenommen hat. Spore könnte viele von ihnen animieren, sich mit den Naturwissenschaften zu beschäftigen – was sich am Ende dann als der vielleicht größte Nutzen des Spiels erwiese."


Der im US-Bundesstaat Maryland lebende Autor Ed Regis, der diesen Beitrag für den Scientific American schrieb, hat zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher verfasst, unter anderem "What is Life: Investigating the Nature of Life in the Age of Synthetic Biology", das sich mit den Versuchen befasst, künstliche lebende Zellen zu erschaffen.

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