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"In einem atemberaubendem Tempo"

Der rasante Fortschritt bei der Entwicklung von Elektrodenimplantaten, die mit dem Nervensystem kommunizieren können, löst bei vielen Menschen genauso viel Erstaunen wie Argwohn aus. Der Gewinn, den die so genannten Neuroprothesen für Patienten bringen, ist unumstritten. Darüber hinaus aber wirft der revolutionäre Fortschritt bedeutungsvolle philosophische und ethische Fragen auf. Im Gespräch berichtet der Biologe Matthias Deliano über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Neuroprothesen.
Matthias Deliano
Matthias Deliano studierte Biologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und arbeitet seit seiner Promotion im Jahr 2005 in der BioFuture-Forschergruppe von Frank Ohl am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg. Hier liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Entwicklung einer sensorischen Kortexprothese.


Herr Deliano, könnten Sie kurz den aktuellen Forschungsstand zur Entwicklung von Neuroprothesen skizzieren?

Momentan entwickeln sich sie Dinge in atemberaubendem Tempo. Das liegt daran, dass es zunehmend Fortschritte im Bereich der miniaturisierten Elektrodentechnik gibt. Zudem verbessert sich unsere Kenntnis über diejenigen Schnittstellen, über die die Elektroden mit dem Nervensystem wechselwirken. Aufbruchstimmung herrscht vor allem bei der Tiefenhirnstimulation durch einschreibende zentrale Prothesen. Das sind Elektroden, die durch stereotaktische Operationen tief in zentrale Bereiche des Gehirns implantiert werden, Hier ergeben sich eine Reihe sehr spannender Anwendungsmöglichkeiten.

Nur Möglichkeiten?

In der stereotaktischen Neurochirurgie wird derzeit viel am Patienten ausprobiert – und die vielen Erfolge geben diesem Ansatz erst einmal Recht. Das Problem ist jedoch ist, dass wir noch kein wirklich gutes Verständnis davon haben, was Elektrostimulation eigentlich genau im Gehirn bewirkt. So wie Neurochirurgen früher die Areale, die an pathologischer Aktivität beteiligt waren, einfach lädiert haben, könnte es sein, dass man heute per Stimulation ein Areal, das Störungen verursacht, blockiert, allerdings ohne es zu zerstören. Wird die Elektrode abgeschaltet, sind die Aktivität und die Symptome wieder da. Das ist also keine Heilung im Sinne von Eingriffen in die Gewebestruktur, sondern eine Unterdrückung der Impulse.
Dennoch sind die Effekte überraschend und die Ansätze viel versprechend. Für ein besseres Verständnis der Effekte ist hier physiologische Grundlagenforschung vor allem im Tierexperiment dringend erforderlich. Schwierig wird es da vor allem, wenn über die Schnittstelle zum Nervensystem nicht nur pathologische Aktivität unterdrückt, sondern sinnvoll interpretierbare Information eingeschrieben oder ausgelesen werden soll. Dies ist bei sensorischen Neuroprothesen erforderlich, die durch direkte elektrische Stimulation von sensorischen Teilen des Nervensystems funktionell gestörte Bereiche überbrücken, wodurch zum Beispiel Gehörlose oder Blinden wieder lernen können zu hören beziehungsweise zu sehen.

Wie kann man sich die Verarbeitung der eingespeisten Information vorstellen?

Die klassische Betrachtung ist die: Das sensorische System ist der Empfänger, das motorische System der Sender. Dazwischen liegt eine Black Box. Das gesamte Feld der Neuroprothetik wird stark von Ingenieurswissenschaften einschließlich des klassischen informationstheoretischen Ansatzes dominiert. Dabei wird oft übersehen, dass das Subjekt mit den Informationen auch etwas anfangen muss. Der Träger eines Cochlea-Implantats zum Beispiel braucht eine gute Rehabilitation, bis er tatsächlich wieder etwas hört. Die Forschung baut unglaublich viel auf die Stimulations- und Kodierungsstrategien. Der individuelle Lernprozess wird dagegen meist unterschätzt, obwohl er ein ganz entscheidender Faktor für den Wirkungserfolg der Prothese ist.

Denken Sie, dass es prinzipiell möglich ist, die Funktionsweise des Gehirns komplett zu entschlüsseln?

Ich glaube nicht, dass es im Nervensystem so etwas wie einen festen Kode gibt, der irgendwie zu knacken ist. Das wäre auch nicht sinnvoll, denn das Nervensystem ist dafür da, dass der Organismus flexibel mit seiner sich ständig verändernden Umwelt interagieren kann. Einerseits ist es für die Forschung schwierig, dass es keine fest zugeordneten Kodierungsschemata gibt, andererseits ist genau das die Voraussetzung dafür, dass das System etwas mit einer Neuroprothese anfangen kann.

Wie ordnen Sie die Beziehung zwischen dem Gehirn und einer Maschine wie der Neuroprothese ein?

Das hängt mit der Frage zusammen, wie das Gehirn an der Entstehung von subjektiver Bedeutung beteiligt ist. Meines Erachtens entsteht diese aus der Dynamik zwischen Gehirn, Körper und Umwelt. In der Regel ist es für uns kein Problem, sich der Umwelt stetig anzupassen. Wir erwarten bestimmte Sachverhalte und bewerten unsere Wahrnehmungen. Eine Maschine hat diese Perspektive nicht. Zudem ist sie ja auch etwas vom Menschen Gemachtes, wir sind ihr nicht ausgeliefert. Wenn der Patient mit der Prothese nicht glücklich wird, dann schaltet er sie ab.

Wie viel ließe sich von einem menschlichen Gehirn durch Implantate ersetzen?

Heutzutage kann man froh sein, wenn sich überhaupt eine Modalität ersetzen lässt. Selbst wenn man es schafft, die Randbedingungen so weit zu erfüllen, dass die Prothese mit dem Nervensystem wechselwirken kann, muss der Patient lernen, mit ihr umzugehen.
Man könnte genauso fragen, ob sich das Leistungsvermögen des Gehirns mit einer Prothese erweitern ließe. Vor allem im militärischen Bereich hatte man lange Zeit die Idee, über das EEG zusätzliche Informationskanäle zu öffnen, die zum Beispiel einen dritten Arm steuern können, um so die Leistung eines Soldaten zu erhöhen.
Ich glaube, dass dies nur schwer möglich ist, denn es handelt sich nicht nur um die Frage nach der Speicherkapazität des Gehirns, sondern ob sich die zusätzliche Information überhaupt sinnvoll integrieren lässt. Wie jemand ein Musikinstrument spielen lernen kann, so kann der Träger wahrscheinlich auch ganz beachtliche Dinge mit einer Prothese erlernen. Die Prothese kann ihm aber nicht einfach etwas vorgeben.

Beeinflussen Neuroprothesen unsere Persönlichkeit?

Auf jeden Fall. Allerdings verändert jeder Wahrnehmungsprozess unser Bewusstsein und Erleben. Die Frage ist vielmehr, ob durch den Informationskodierungsansatz das Bild entsteht, man könne das Nervensystem von außen kontrollieren. Ich könnte dann irgendeine Realität vorgaukeln oder ein Verhalten eines Menschen mit Implantat steuern. Allerdings denke ich, dass so eine Fernsteuerung nur funktioniert, wenn ich einen lernenden Organismus habe, der den eingespeisten Informationen auch eine Bedeutung gibt. Und dieser Prozess der Bedeutungszuweisung lässt sich nicht vollständig von außen kontrollieren, der hängt wesentlich vom Prothesenträger ab.

Es besteht also nicht die Möglichkeit des Missbrauchs der Neuroprothesen?

Wenn ich bestimmte limbische Strukturen stimuliere, wird eine Art Suchtverhalten erzeugt, dem man sich nur schwer entziehen kann. Aber es gibt ja auch chemische Stoffe, die abhängig machen und so die Verhaltensmöglichkeiten einschränken. Die entscheidende Frage für den Wert der Neuroprothese ist vielmehr, ob sie die Verhaltensmöglichkeiten erweitert. Dass ein Blinder ein paar Lichtpunkte sieht, nützt ihm nichts. Er muss mit der Prothese über das, was er sieht, kommunizieren, also an der Welt der Sehenden teilhaben können.


Die Fragen stellten Ima Trempler und Ronny Krieger, Studierende des Studiengangs "Philosophie – Neurowissenschaften – Kognition" an der Universität Magdeburg, im Rahmen des Seminars "Medienpraxis" unter der Leitung von G&G-Chefredakteur Carsten Könneker.

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