Wie nah ist der Krieg im Weltraum?
Geben die aktuelle US-Militärstrategie und die Tests potenzieller Weltraumwaffen durch das chinesische Militär Anlass für ein Wettrüsten im Weltall? Das wäre für alle beteiligten Staaten fatal.
"Der geschickte Angreifer fährt aus den höchsten Höhen des Himmels hernieder, denn so macht er es dem Feind unmöglich, sich gegen ihn zu wappnen." (Sunzi, chinesischer Militärstratege, Die Kunst des Krieges, etwa 500 v. Chr.)
"Erobere die Anhöhe und halte sie" – so lautet seit grauer Vorzeit eine Standardregel von Feldherren. Darum verwundert es nicht, dass Generäle überall auf der Welt heutzutage die Erdumlaufbahn als Schlüssel zur modernen Kriegsführung betrachten. Allerdings bestand bis vor kurzem Einvernehmen darüber, von einer Militarisierung des Weltraums abzusehen, obwohl die Stationierung von nichtnuklearen Antisatellitensystemen oder Waffen im Weltall nicht explizit durch internationale Verträge oder Gesetze verboten ist. Aus Furcht, das globale Gleichgewicht der Mächte durch ein kostspieliges Wettrüsten im All zu destabilisieren, wurden Weltraumwaffen bisher größtenteils gemieden.
Dieser Konsens droht zu zerbrechen. Im Oktober 2006 bekannte sich die Bush-Regierung zu einer neuen, ziemlich vage formulierten "nationalen Weltraumpolitik". Sie betont das Recht der Vereinigten Staaten auf die "Kontrolle des Weltraums" und lehnt "neue Rechtsregime oder andere Beschränkungen [ab], die den Zugang zum Weltraum oder dessen Nutzung durch die Vereinigten Staaten verbieten oder einschränken". Drei Monate später schoss die Volksrepublik China zur allgemeinen Bestürzung einen ihrer alten Fengyun-Wettersatelliten ab.
Auf den Stand der 1950er Jahre zurück?
Dabei ist nach Auffassung der Kritiker keineswegs erwiesen, dass sich die Sicherheitslage eines Staats erhöht, wenn er Technologien für eine Kriegführung im All entwickelt. Schließlich seien Satelliten und sogar Waffen in einer Erdumlaufbahn naturgemäß vergleichsweise leicht zu orten, so dass sie ungeachtet aller denkbaren Schutzmaßnahmen höchst anfällig für Angriffe bleiben dürften. Ferner würde die Entwicklung von Antisatellitensystemen mit großer Wahrscheinlichkeit eine extrem kostspielige und unkontrollierbare Rüstungsspirale in Gang setzen, da andere Länder sich gezwungen sähen, mitzuhalten.
Allein die Tests der erforderlichen Technik – ganz zu schweigen von ihrem Einsatz im Kriegsfall – hätten gewaltige Mengen an Weltraumschrott im Orbit zur Folge. Mit Geschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde bedrohen diese Trümmer Satelliten und bemannte Raumfahrzeuge gleichermaßen. Mit unabsehbaren Konsequenzen wäre auch für die satellitengestützte Telekommunikation, Wettervorhersage, Präzisionsnavigation und sogar den militärischen Führungsprozess zu rechnen – die gesamte Weltwirtschaft könnte unter Umständen auf den Stand der 1950er Jahre zurückgeworfen werden.
Seit Beginn des Weltraumzeitalters entwerfen Verteidigungsexperten mit Blick auf den militärischen Vorteil der "höchsten Höhe" immer wieder Konzepte für weltraumgestützte oder gegen Satelliten gerichtete Waffensysteme. Die vielleicht bekannteste derartige Initiative war die von Präsident Ronald Reagan betriebene "Strategic Defense Initiative" (siehe "SDI lebt im Stillen weiter"), die von ihren Kritikern als "Krieg der Sterne" verspottet wurde. Im Großen und Ganzen jedoch spielten solche Waffen in der Militärstrategie der USA bislang keine Rolle.
Davor schrecken alle Staaten gleichermaßen zurück
Üblicherweise sind Weltraumwaffen als Zerstörungssysteme definiert, die – direkt von der Erde abgeschossen oder in einer Umlaufbahn stationiert – im Weltraum operieren. Neben Antisatellitenwaffen umfasst der Begriff auch Systeme, bei denen bodengestützte Laser über Umlenkspiegel auf Luftschiffen oder Satelliten versuchen, Ziele hinter dem Erdhorizont zu erreichen. Auch orbitale Plattformen, die Geschosse abfeuern oder intensive Strahlung aussenden können, fallen unter die Weltraumwaffen. Und natürlich lassen sich auch Kernexplosionen in großer Höhe gegen Satelliten einsetzen. Davor dürften allerdings alle Staaten gleichermaßen zurückschrecken. Der dabei erzeugte elektromagnetische Puls und die entstehende Wolke stark geladener Teilchen würden vermutlich so gut wie alle im Orbit befindlichen Satelliten und bemannten Raumfahrzeuge funktionsunfähig werden lassen oder zerstören (siehe "Kernexplosionen im Weltraum" in Spektrum der Wissenschaft 12/2006).
Vor kurzem haben einige Befürworter von Weltraumwaffen die genannte Klassifizierung aber um zwei bereits vorhandene Technologien erweitert: interkontinentale ballistische Raketen (ICBM) und bodengestützte elektronische Kriegführungssysteme. Die ganze Diskussion über den Bau von Weltraumwaffensystemen sei darum hinfällig, schließlich existierten diese bereits. Doch wie man auch den Begriff definieren mag, in Expertenkommissionen und militärischen Planungszirkeln stellt man sich weiterhin die alte Frage: Ist es wünschenswert – oder überhaupt möglich –, Antisatellitenwaffen und weltraumbasierte Waffen in die Militärstrategie einer Nation einzubinden?
Die neue "nationale Weltraumpolitik" der USA, in Verbindung mit dem Test in China, hat die hinter den Kulissen geführte Debatte neu entfacht. Viele führende amerikanische Militärs äußerten sich nach dem Test besorgt darüber, dass China im Fall eines Konflikts um Taiwan US-Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn bedrohen könnte. Im April 2007 verglich US-Luftwaffenstabschef Michael Moseley den chinesischen Antisatellitentest mit dem Sputnik-Start durch die Sowjetunion fünfzig Jahre zuvor. Durch diesen Akt sei das Wettrüsten im Kalten Krieg auf beispiellose Weise verschärft worden. Außerdem gab Moseley bekannt, dass das Pentagon begonnen habe, die Vorkehrungen für den Schutz amerikanischer Satelliten zu überprüfen. Denn der Weltraum sei zu "umstrittenem Gebiet" geworden.
US-Falken drängen zu Neuentwicklungen
Die Reaktionen im US-Kongress fielen, wie zu erwarten war, je nach politischer Linie aus. Konservative "China-Falken" wie Senator Jon Kyl aus Arizona forderten umgehend die Entwicklung von Antisatellitenwaffen und weltraumgestützten Abfangsystemen, um den chinesischen Fortschritten zu begegnen. Gemäßigtere Politiker wie der Abgeordnete Edward Markey aus Massachusetts drängten die Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel, alle Weltraumwaffen zu verbieten.
Noch besorgniserregender ist vielleicht die Gefahr, dass etliche andere Nationen, darunter Chinas regionaler Rivale Indien, sich durch den chinesischen Test gezwungen sehen, ihre offensiven und defensiven Fähigkeiten im Weltraum zu entwickeln. Die US-amerikanische Fachzeitschrift Defense News zitierte Quellen aus dem indischen Verteidigungsministerium, wonach Indien bereits begonnen habe, eigene lasergestützte Antisatellitenwaffen sowie Systeme zu entwickeln, deren Zerstörungswirkung auf kinetischer Energie beruht ("Hit-to-kill"-Technologie).
Sollte Indien diesen Weg weiter beschreiten, wird sein Erzrivale Pakistan mit großer Wahrscheinlichkeit nachziehen. Wie Indien verfügt Pakistan über ein gut entwickeltes ballistisches Raketenprogramm. Es schließt auch Raketen mittlerer Reichweite ein, die sich für den Start eines Antisatellitensystems nutzen lassen. Sogar Japan, die dritte große Macht in Asien, könnte sich veranlasst sehen, in ein Wettrüsten im All einzutreten. Im Juni 2007 begann das japanische Parlament mit der Debatte über eine von der derzeitigen Fukuda-Regierung unterstützte Gesetzesvorlage, die es erlauben würde, Satelliten für "militärische und sicherheitspolitische" Zwecke zu entwickeln.
Was Russland betrifft, so hatte Präsident Wladimir Putin nach dem chinesischen Test die entschiedene Haltung Moskaus gegen eine Militarisierung des Weltalls bekräftigt. Zugleich lehnte er es jedoch ab, Peking zu kritisieren und erhob stattdessen Vorwürfe gegen die Vereinigten Staaten. Anlass für den Schritt der Chinesen seien die amerikanischen Bemühungen um den Aufbau eines Raketenabwehrsystems und die zunehmend aggressiven Pläne der Amerikaner, sich im Weltraum militärisch zu positionieren. Dennoch dürfte es Russland schwerfallen, sich – als eine der führenden Raumfahrtmächte, deren nationale Sicherheitsstruktur auch Satelliten umfasst – einem Wettrüsten im All zu entziehen.
Die Armeen auf den irdischen Schlachtfeldern unterstützen
In Anbetracht der Vielzahl von Akteuren in der Raumfahrt halten Verfechter einer soliden Strategie der Weltraumkriegführung die Aufrüstung im All für unvermeidbar. Die Vereinigten Staaten sollten sich daher am Besten einen Vorsprung verschaffen. Nach ihrer Auffassung sind Antisatelliten- und weltraumgestützte Waffen nicht nur erforderlich, um militärische wie zivile US-Satelliten zu schützen. Sie sollten auch verhindern, dass mögliche künftige Kontrahenten Weltraumtechnologien einsetzen, um ihre Armeen auf den irdischen Schlachtfeldern zu unterstützen.
Dennoch würde ein Wettrüsten im Weltall fast unvermeidlich das Kräfteverhältnis destabilisieren und die Gefahr eines globalen Konflikts vervielfachen. Nimmt der Wettbewerb Fahrt auf – ob im All oder anderswo –, wäre es fast unmöglich, eine Gleichgewichtssituation zwischen den Gegnern aufrechtzuerhalten. Und selbst wenn die Großmächte einander im All ebenbürtig wären, böte dies keine Gewähr dafür, dass sie die Situation auch so wahrnehmen. Sobald eine Seite auch nur den Eindruck gewinnt, dass sie ins Hintertreffen gerät, ist sie möglicherweise versucht, zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ihrer Lage einen Präventivschlag zu führen. Entsprechendes gälte ironischerweise für die Seite, die sich im Vorteil wähnt. Auch für sie bestünde ein starker Anreiz, als Erster zuzuschlagen, bevor die andere Seite aufholen kann.
Durch ein Wettrüsten im All würde sich zudem die Gefahr erhöhen, dass es aufgrund eines schlichten technischen Fehlers zu einer Schlacht kommt. Es dürfte äußerst schwierig sein, eine geplante Aggression – in vielleicht Tausenden von Kilometern Höhe über unseren Köpfen – zuverlässig von einem versehentlichen Ereignis zu unterscheiden.
US-Militärexperten und Geheimdienstoffiziere gehen ebenso wie unabhängige Beobachter davon aus, dass die Chinesen ihren Wettersatelliten mit Hilfe eines Aufprallkörpers zerstörten ("kinetic-energy vehicle"). Als Transportmittel diente eine zweistufige ballistische Mittelstreckenrakete. Technisch gesehen ist die Verwendung solcher direkt aufsteigenden Antisatellitenwaffen eine der einfachsten Methoden, um einen Satelliten auszuschalten. Rund ein Dutzend Nationen und Konsortien könnten mit Mittelstreckenraketen eine erdnahe Umlaufbahn in 100 bis 2000 Kilometer Höhe erreichen; acht von ihnen würden es sogar schaffen, ihre Geschosse in eine geostationäre Umlaufbahn in ungefähr 36000 Kilometern Höhe zu bringen.
Hit to kill
Die eigentlichen Herausforderungen beim Bau einer Hit-to-Kill-Rakete liegen jedoch in der hohen Manövrierfähigkeit des Flugkörpers und der Zuverlässigkeit der Leittechnik, die beide für die präzise Zielansteuerung unerlässlich sind. Wie gut China diese Technologien beherrscht, ist unklar. Da der Wettersatellit noch in Betrieb war, als er zerstört wurde, ist davon auszugehen, dass die chinesischen Betreiber die jeweilige Position des Satelliten genau kannten.
Dem chinesischen Raketentest waren Presseberichte vorausgegangen, wonach China im September 2006 US-Spionagesatelliten mit einem bodengestützten Laser "markiert", also angestrahlt haben soll. War dies ein Versuch Pekings, Satelliten gezielt zu "blenden" oder anderweitig zu beschädigen? Niemand weiß es, und in offiziellen Washingtoner Kreisen scheint sich bislang kein Konsens über die chinesischen Absichten herausgebildet zu haben. Vielleicht ging es China auch nur darum, zu testen, wie gut sein Netz von – eigentlich der Entfernungsmessung ("Laser Ranging") dienenden – Niedrigenergielasern die Bahnen amerikanischer Satelliten verfolgen kann.
Trotzdem war der Test eine Provokation. Es muss nicht immer die Elektronik eines Satelliten zerstört werden, um ihn außer Gefecht zu setzen. Ein 1997 von den amerikanischen Streitkräften durchgeführter Test des MIRACL-Lasersystems (Mid-Infrared Advanced Chemical Laser) zeigte, dass die optischen Kameras von Satelliten sich bereits durch Strahlen niedriger Leistung vorübergehend "blenden" lassen. Auch Spionagesatelliten wären also auf diese Weise verwundbar.
Schon in den 1970er Jahren hatten die Vereinigten Staaten und die ehemalige Sowjetunion begonnen, mit laserbasierten Antisatellitenwaffen zu experimentieren. Vom Boden aus sollten die Hochleistungslaser niedrig fliegende Satelliten zuverlässig zerstören können. Doch die Ingenieure standen vor zahlreichen Problemen. Die Ausrichtung solcher Systeme kann mithilfe "adaptiver Optiken" erfolgen: verformbare Spiegel, die Verzerrungen durch turbulente Atmosphärenschichten kontinuierlich kompensieren können.
Aber der Betrieb eines Hochleistungslasers erfordert gewaltige Energiemengen, und selbst dann sind Reichweite und Wirksamkeit des Instruments sehr begrenzt. Es kommt zu Streueffekten, Rauch oder Wolken schwächen die Strahlen ab und obendrein ist es schwierig, das Ziel ausreichend lange im Visier zu behalten, dass überhaupt ein Schaden entsteht.
Der Weg zu "Strahlenkanonen" ist noch weit
Für ihr SDI-Projekt führten die USA in den 1980er Jahren mehrere Laserexperimente von Hawaii aus durch. Dabei kam ein satellitenbasierter Spiegel zum Einsatz, der die Laserstrahlen reflektierte. Mittlerweile finden Laserexperimente in der Versuchsanlage "Starfire Optical Range" auf der Kirtland-Luftwaffenbasis im Bundesstaat New Mexico statt. Zu den Zielen des Starfire-Forschungsprogramms gehören, so weisen es Haushaltsdokumente des Pentagons für die Jahre 2004 bis 2007 aus, auch Antisatellitenoperationen. Nach einer diesbezüglichen Anfrage des Kongresses tauchten die entsprechenden Formulierungen in den Budgetplänen für 2008 allerdings nicht mehr auf. Das Starfire-System enthält adaptive optische Elemente, die den ausgehenden Laserstrahl fokussieren und so seine Energiedichte erhöhen. Nötig ist diese Fähigkeit aber weder für Bildgewinnung noch Bahnverfolgung. Der Gedanke, Starfire könne sich als Waffe nutzen lassen, liegt also nahe.
Trotz jahrzehntelanger Forschung scheint der Weg zu einsatzreifen Energiewaffen ("Strahlenkanonen") aber noch weit zu sein. Ein Planungsdokument der US-Luftwaffe aus dem Jahr 2003 prognostizierte, dass bodengestützte Waffen mit der Fähigkeit, Laserstrahlen durch die Atmosphäre zu lenken, um Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn funktionsunfähig zu machen oder zu zerstören, zwischen 2015 und 2030 verfügbar werden könnten. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands scheint indessen selbst dieser Zeitrahmen optimistisch.
Jüngste Fortschritte bei miniaturisierten Sensoren, leistungsfähigen Bordcomputern und Triebwerken rücken zunehmend eine dritte Art von Antisatellitentechnik in den Bereich des Möglichen: den offensiven Mikrosatelliten. Das Potenzial dieser Technik demonstriert das XSS-Experimentalsatellitenprojekt der US-Luftwaffe, das Mikrosatelliten für "autonome Operationen" in der Nähe von größeren Satelliten entwickelt. Die ersten zwei Mikrosatelliten der Versuchsreihe, XSS-10 und XSS-11, wurden 2003 und 2005 gestartet. Obwohl sie eigentlich größere Satelliten inspizieren sollen, können sie auch eingesetzt werden, um Zielflugkörper zu rammen oder Sprengkörper, Energiewaffen, Funkstörsysteme und Hochleistungsmikrowellensender zu transportieren. Haushaltsdokumente der Luftwaffe Belegen, dass die XSS-Versuchsreihe in ein Programm namens "Advanced Weapons Technology" zur Erforschung militärischer Laser- und Mikrowellensysteme eingebettet ist.
Während des Kalten Kriegs entwickelte und testete die Sowjetunion ein koorbitales Antisatellitensystem, das aus einem manövrierfähigen Abfangkörper mit explosiver Nutzlast bestand, und nahm es sogar offiziell in Betrieb. Das Flugobjekt konnte sich von einer Rakete in einer Umlaufbahn nahe einem tief fliegenden Zielsatelliten absetzen lassen und funktionierte dort als eine Art intelligenter "Weltraummine". Zum letzten Mal geschah das 1982, mittlerweile ist das System vermutlich nicht mehr in Betrieb. Heute würde ein solcher Abfangkörper eher als Mikrosatellit konzipiert und in eine Erdumlaufbahn verfrachtet, die die Orbits mehrerer potenzieller Ziele schneidet. Bei einer nahen Begegnung könnte er dann aktiviert werden.
Im Jahr 2005 formulierte die US-Luftwaffe ein Programm mit dem Namen ANGELS (für "Autonomous Nanosatellite Guardian for Evaluating Local Space"): Kleinstsatelliten sollen geostationäre Satelliten mit Informationen über ihre nähere Umgebung und mögliche "Anomalien" versorgen. Über den Budgetposten, von dem zu vermuten ist, dass er auch ANGELS umfasst, heißt es, das Programm konzentriere sich auf den Erwerb "defensiver Fähigkeiten zum Schutz wertvoller Aktivposten im Raum". Dazu gehöre die Entwicklung "eines Warnsensors zur Detektion direkt aufsteigender oder koorbitaler Flugkörper". Aber natürlich können solche Nanosatelliten nicht nur der Überwachung dienen, sondern lassen sich auch in die Nähe feindlicher Satelliten manövrieren und dort offensiv einsetzen.
Die Liste der Möglichkeiten lässt sich fortsetzen. "Parasitensatelliten" könnten einen Zielkörper im geostationären Orbit verfolgen oder sich sogar an ihn heften. In einem Anhang des 2001 unter Federführung des damaligen US-Verteidigungsministers erstellten "Rumsfeld Space Commission"-Berichts heißt es über den so genannten Farsat-Satelliten: Er "würde (vielleicht mit zahlreichen in ihm untergebrachten Mikrosatelliten) in einem Orbit relativ weit von seinem Ziel entfernt 'geparkt', könnte aber jederzeit dorthin manövriert werden, um es zu vernichten". Zu guter Letzt machte die US-Luftwaffe vor einiger Zeit den Vorschlag eines weltraumbasierten Systems von Waffen, die mit Radiofrequenzen arbeiten. Es "bestünde aus einer Anordnung von Satelliten, die, ausgestattet mit leistungsstarken Hochfrequenzsendern im Radiowellenbereich, in der Lage wären, ein breites Spektrum elektronischer Geräte und nationale Befehls- und Kontrollsysteme zu stören, zerstören oder lahmzulegen".
In Planungsunterlagen aus dem Jahr 2003 stellte die Luftwaffe fest, dass eine solche Technologie ab 2015 zur Verfügung stehen könnte. Unabhängige Experten glauben jedoch, dass orbitale Radiofrequenz- und Mikrowellenwaffen bereits heute technisch realisierbar sind und schon in relativ naher Zukunft im All stationiert werden könnten.
In die Liste dieser Systeme gehört auch das Common Aero Vehicle/Hypersonic Technology Vehicle (CAV) des Pentagons. Es ist zwar nicht per definitionem eine Weltraumwaffe, soll aber wie eine interkontinentale ballistische Rakete durch den Raum fliegen, um terrestrische Ziele zu erreichen. Das Hyperschall-Gleitflugzeug wäre antriebslos, aber äußerst manövrierfähig. Ein Hyperschall-Raumflugzeug würde es im Orbit absetzen, von wo aus das CAV in die Atmosphäre herabstoßen und konventionelle Bomben auf Ziele am Boden abwerfen soll. In jüngerer Zeit bewilligte der Kongress erste Mittel für das Projekt. Er untersagte jedoch alle Arbeiten, die auf eine Bestückung des CAV mit Waffen abzielen: Einem potenziellen Wettrüsten im Weltraum solle kein Vorschub geleistet werden. Obwohl bei den Schlüsseltechnologien für das CAV stetige Fortschritte zu verzeichnen sind, dürfte es aber noch Jahrzehnte dauern, bis der Gleitflieger und sein Trägerflugzeug einsatzbereit sind.
Rods from God
Dass der Kongress mit einer Sensibilität über das Design des CAV entschied, mag zum Teil mit einem ähnlichen, aber weit kontroverseren Konzept einer Weltraumwaffe zu tun haben: die Idee zylindrischer Hypergeschwindigkeitsgeschosse, die bündelweise von orbitalen Plattformen auf die Erde herabgeworfen werden. Seit Jahrzehnten spielen Luftwaffenplaner mit dem Gedanken, Waffen im Orbit zu stationieren, die imstande sind, terrestrische Ziele anzugreifen, insbesondere unterirdische gehärtete Bunker und geheime Lager von Massenvernichtungswaffen. Salopp als "Gottesruten" ("Rods from God") bezeichnet, sollen diese Bunkerbrecher aus bis zu sechs Meter langen und dreißig Zentimeter dicken Wolframstäben bestehen und mit enormer Geschwindigkeit auf ihre Ziele zurasen.
Doch sowohl die hohen Kosten als auch die Naturgesetze stellen die Machbarkeit solcher Waffen in Frage. Beim Eintritt in die Atmosphäre laufen die Projektile Gefahr zu verglühen oder sich durch die Reibung zu verformen; gleichzeitig müssen sie, was extrem schwierig zu bewerkstelligen ist, eine präzise, fast senkrechte Flugbahn einhalten. Berechnungen zufolge wären die nichtexplosiven Projektile möglicherweise kaum wirksamer als konventionelle Munition. Die Kosten für den Transport so schwerer Objekte in eine Umlaufbahn sind dagegen exorbitant. Trotz anhaltenden Interesses an einer solchen Waffe dürften die "Gottesruten" daher eher in den Bereich der Science-Fiction gehören.
Was also hält die Vereinigten Staaten (und andere Nationen) davon ab, die Entwicklung von Weltraumwaffen mit aller Kraft voranzutreiben? Drei Faktoren stehen dem entgegen: die politische Opposition, die technischen Schwierigkeiten und die hohen Kosten. In der Frage, wie klug es wäre, die Kriegführung im Weltraum zum Bestandteil der nationalen Militärstrategie zu machen, sind die USA zutiefst gespalten. Die damit verbundenen Risiken sind vielfältig, angefangen bei der schon genannten allgemeinen Instabilität im Fall eines Wettrüstens. Unter Atommächten kommt dieser Gefahr sogar noch eine besondere Bedeutung zu. Frühwarn- und Spionagesatelliten haben seit jeher die Angst vor einem nuklearen Überraschungsangriff verringert. Lassen sich diese "Augen im All" jedoch außer Gefecht setzen, könnte das entstehende Gefühl der Ungewissheit und des Misstrauens rasch in eine Katastrophe münden.
Unpassierbar für Satelliten?
Zu den schwerwiegendsten technischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Stationierung von Weltraumwaffen gehört, wie ebenfalls bereits erwähnt, der Umgang mit dem entstehenden Weltraumschrott. Nach Berichten der US-Luftwaffe, der Weltraumbehörde NASA und der unabhängigen Web-Plattform Celestrak, die Informationen über den nahen Weltraum bietet, entstanden bei dem chinesischen Antisatellitentest mehr als 2000 mindestens faustgroße Brocken Weltraummüll. Insgesamt enthält die nun um die Erde kreisende Trümmerwolke, die sich von 200 Kilometer über dem Erdboden bis in 4000 Kilometer Höhe erstreckt, rund 150.000 Objekte mit einem Durchmesser von mehr als einem Zentimeter. Wegen ihrer hohen Geschwindigkeiten selbst solche winzigen Bruchstücke Raumfahrzeugen aller Art gefährlich. Bodenstationen sind nicht in der Lage, Objekte in einer niedrigen Umlaufbahn, die weniger als 5 Zentimeter groß sind, zuverlässig zu überwachen, ebenso wenig wie ihnen das bei Objekten bis zur Größe von einem Meter in einer geostationären Umlaufbahn gelingt. Sonst könnten die Satelliten den Hindernissen einfach ausweichen. In der Tat mussten bereits zwei US-Satelliten ihren Kurs ändern, um einer möglichen Beschädigung durch chinesischen Weltraumschrott zu entgehen. Militärische Auseinandersetzungen könnten den nahen Weltraum in einem Maß mit Trümmern verseuchen, dass er für Satelliten unpassierbar wird.
Der Stationierung von Waffen im Orbit stehen auch enorme technische Schwierigkeiten entgegen. Ebenso wie Satelliten wären sie anfällig für alle Arten äußerer Einwirkung: Weltraumschrott, Geschosse, elektromagnetische Signale, sogar natürliche Mikrometeoriten. Sie gegen solche Gefahren abzuschirmen würde bedeuten, ihre Masse und damit auch die Transportkosten ins All deutlich zu erhöhen. Als in der Regel autonome Mechanismen wären orbitale Waffen zudem anfällig für Fehlfunktionen und Ausfälle. Flugbahnen von Objekten im Orbit lassen sich auch relativ leicht vorhersagen, so dass es schwer fallen würde, größere Waffen zu verbergen. Darüber hinaus sind Satelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn nur für jeweils wenige Minuten sichtbar. Es wären also viele Waffen erforderlich, um auch nur einen einzigen Satelliten ständig im Visier zu behalten.
Verhandlungen vehement abgelehnt
In Anbetracht der zahlreichen Risiken und Machbarkeitshürden scheint es vernünftig, die raumfahrenden Nationen suchten nach Wegen, das Wettrüsten im All zu verhindern. Die Vereinigten Staaten haben sich bislang darauf konzentriert, die Verwundbarkeit ihrer Satellitenflotte zu verringern und ihre Abhängigkeit von Satellitendiensten zu vermindern, indem sie nach Alternativen Ausschau halten. Die meisten anderen Nationen mit der Fähigkeit, in den Weltraum vorzustoßen, sind dagegen an multilateralen diplomatischen und völkerrechtlichen Vereinbarungen interessiert. Die Optionen reichen von Verträgen, die Antisatelliten- und weltraumgestützte Waffen verbieten, bis hin zu freiwilligen Maßnahmen, die für Transparenz sorgen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen sollen.
Doch die Bush-Regierung hat jegliche Verhandlungen über Weltraumwaffen vehement abgelehnt. Die Gegner multilateraler Weltraumwaffenvereinbarungen behaupten, dass andere Nationen (insbesondere China) zwar unterzeichnen, aber insgeheim weiter am Aufbau geheimer Waffenarsenale arbeiten würden, denn Vertragsverletzungen dieser Art lassen sich nicht entdecken. Nach ihrer Auffassung dürfen die Vereinigten Staaten nicht einfach abwarten, während sich potenzielle Kontrahenten weltraumgestützte Ressourcen zur Steigerung ihrer terrestrischen Kampfkraft verschaffen.
Die Befürworter internationaler Verträge halten entgegen, dass der Verzicht auf solche Vereinbarungen reale Opportunitätskosten verursachen würde: Ein Wettrüsten im All könnte die Sicherheit aller Nationen – einschließlich der Vereinigten Staaten – gefährden, während es zugleich die wirtschaftliche Situation aller Beteiligten aufs äußerste belasten würde. Auch wenn viele von ihnen einräumen, dass es schwierig sein dürfte, einen Vertrag zu entwerfen, dessen Einhaltung in vollem Umfang verifizierbar ist (Weltraumtechnologien können schließlich sowohl für militärische als auch zivile Zwecke genutzt werden), gibt es doch bereits wirksame Verträge, die keiner strengen Kontrolle bedürfen. Ein gutes Beispiel ist die Konvention über biologische Waffen.
Mühelos aufzuspüren
Leicht kontrollieren ließe sich zumindest ein Verbot des Tests und Einsatzes (im Gegensatz zur Stationierung) der gefährlichsten Klasse kurzfristig verfügbarer Weltraumwaffen. Das sind Antisatellitensysteme, die nicht nur der Störung, sondern der Zerstörung dienen. Denn Weltraumschrott im Orbit kann mühelos aufgespürt werden. Darüber hinaus wüsste jeder Vertragsstaat, dass die von ihm in den Weltraum geschossenen Objekte vom Boden aus verfolgt und verdächtige Objekte sofort als solche publik gemacht würden. Die erwartbare internationale Empörung über so offenkundige Vertragsverletzungen würde von vornherein für ein gewisses Maß an Abschreckung sorgen.
Seit Mitte der 1990er Jahre machte die Aushandlung eines neuen multilateralen Weltraumvertrags jedoch keine Fortschritte mehr. Die Versuche im Rahmen der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen in Genf, Verhandlungen über einen Vertrag zur Ächtung von Weltraumwaffen aufzunehmen, wurden von den USA zunichte gemacht. China unterdessen will sich mit nichts Geringerem zufrieden geben. Somit sind auch alle Bemühungen um eine Zwischenlösung wie freiwillige vertrauensbildende Maßnahmen, eine Überwachung des Weltraumverkehrs oder ein Kodex für verantwortungsvolles Verhalten der raumfahrenden Nationen zum Erliegen gekommen.
Eine Kriegführung im Weltall ist nicht unvermeidlich. Die Neuausrichtung der US-amerikanischen Weltraumpolitik und Chinas provokative Handlungen werfen jedoch ein Schlaglicht darauf, dass sich die Welt einem Scheidepunkt nähert. Nun müssen sich die Staaten endlich klar machen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, die Erprobung und den Einsatz orbitaler Waffen zu verhindern. Schon bald werden die Länder der Erde zu entscheiden haben, ob sie die seit rund einem halben Jahrhundert vorwiegend friedlich betriebene Erforschung des Weltraums in derselben Weise fortsetzen wollen. Die Alternative wäre für alle inakzeptabel.<<
Die Autorin Theresa Hitchens ist Direktorin des unabhängigen Center for Defense Information in Washington, D.C., und leitet das gemeinsam mit der Secure World Foundation durchgeführte Space Security Project. Sie verfasste unter anderem die Studie "Future Security in Space: Charting a Cooperative Course" (2004) und war von 1998 bis 2000 Redakteurin bei Defense News. Als Journalistin spezialisierte sie sich auf militärische Themen, Fragen der Verteidigung sowie auf die NATO. Hitchens war auch Forschungsdirektorin am British American Security Information Council, der sich Verteidigungsfragen widmet.
"Erobere die Anhöhe und halte sie" – so lautet seit grauer Vorzeit eine Standardregel von Feldherren. Darum verwundert es nicht, dass Generäle überall auf der Welt heutzutage die Erdumlaufbahn als Schlüssel zur modernen Kriegsführung betrachten. Allerdings bestand bis vor kurzem Einvernehmen darüber, von einer Militarisierung des Weltraums abzusehen, obwohl die Stationierung von nichtnuklearen Antisatellitensystemen oder Waffen im Weltall nicht explizit durch internationale Verträge oder Gesetze verboten ist. Aus Furcht, das globale Gleichgewicht der Mächte durch ein kostspieliges Wettrüsten im All zu destabilisieren, wurden Weltraumwaffen bisher größtenteils gemieden.
Dieser Konsens droht zu zerbrechen. Im Oktober 2006 bekannte sich die Bush-Regierung zu einer neuen, ziemlich vage formulierten "nationalen Weltraumpolitik". Sie betont das Recht der Vereinigten Staaten auf die "Kontrolle des Weltraums" und lehnt "neue Rechtsregime oder andere Beschränkungen [ab], die den Zugang zum Weltraum oder dessen Nutzung durch die Vereinigten Staaten verbieten oder einschränken". Drei Monate später schoss die Volksrepublik China zur allgemeinen Bestürzung einen ihrer alten Fengyun-Wettersatelliten ab.
Die Folge war nicht nur ein Hagel gefährlichen Weltraumschrotts, sondern auch eine Welle internationalen Protests. Der Raketenstart war der erste Test einer speziell gegen Satelliten gerichteten Waffe seit mehr als zwei Jahrzehnten. Damit hatte China als drittes Land neben den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation den Beweis erbracht, dass es über die einschlägige Technik verfügt. Viele Beobachter äußerten die Befürchtung, der Test könnte ein Zeitalter der Kriegführung im Weltraum einleiten.
Auf den Stand der 1950er Jahre zurück?
Dabei ist nach Auffassung der Kritiker keineswegs erwiesen, dass sich die Sicherheitslage eines Staats erhöht, wenn er Technologien für eine Kriegführung im All entwickelt. Schließlich seien Satelliten und sogar Waffen in einer Erdumlaufbahn naturgemäß vergleichsweise leicht zu orten, so dass sie ungeachtet aller denkbaren Schutzmaßnahmen höchst anfällig für Angriffe bleiben dürften. Ferner würde die Entwicklung von Antisatellitensystemen mit großer Wahrscheinlichkeit eine extrem kostspielige und unkontrollierbare Rüstungsspirale in Gang setzen, da andere Länder sich gezwungen sähen, mitzuhalten.
Allein die Tests der erforderlichen Technik – ganz zu schweigen von ihrem Einsatz im Kriegsfall – hätten gewaltige Mengen an Weltraumschrott im Orbit zur Folge. Mit Geschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde bedrohen diese Trümmer Satelliten und bemannte Raumfahrzeuge gleichermaßen. Mit unabsehbaren Konsequenzen wäre auch für die satellitengestützte Telekommunikation, Wettervorhersage, Präzisionsnavigation und sogar den militärischen Führungsprozess zu rechnen – die gesamte Weltwirtschaft könnte unter Umständen auf den Stand der 1950er Jahre zurückgeworfen werden.
Seit Beginn des Weltraumzeitalters entwerfen Verteidigungsexperten mit Blick auf den militärischen Vorteil der "höchsten Höhe" immer wieder Konzepte für weltraumgestützte oder gegen Satelliten gerichtete Waffensysteme. Die vielleicht bekannteste derartige Initiative war die von Präsident Ronald Reagan betriebene "Strategic Defense Initiative" (siehe "SDI lebt im Stillen weiter"), die von ihren Kritikern als "Krieg der Sterne" verspottet wurde. Im Großen und Ganzen jedoch spielten solche Waffen in der Militärstrategie der USA bislang keine Rolle.
Davor schrecken alle Staaten gleichermaßen zurück
Üblicherweise sind Weltraumwaffen als Zerstörungssysteme definiert, die – direkt von der Erde abgeschossen oder in einer Umlaufbahn stationiert – im Weltraum operieren. Neben Antisatellitenwaffen umfasst der Begriff auch Systeme, bei denen bodengestützte Laser über Umlenkspiegel auf Luftschiffen oder Satelliten versuchen, Ziele hinter dem Erdhorizont zu erreichen. Auch orbitale Plattformen, die Geschosse abfeuern oder intensive Strahlung aussenden können, fallen unter die Weltraumwaffen. Und natürlich lassen sich auch Kernexplosionen in großer Höhe gegen Satelliten einsetzen. Davor dürften allerdings alle Staaten gleichermaßen zurückschrecken. Der dabei erzeugte elektromagnetische Puls und die entstehende Wolke stark geladener Teilchen würden vermutlich so gut wie alle im Orbit befindlichen Satelliten und bemannten Raumfahrzeuge funktionsunfähig werden lassen oder zerstören (siehe "Kernexplosionen im Weltraum" in Spektrum der Wissenschaft 12/2006).
Vor kurzem haben einige Befürworter von Weltraumwaffen die genannte Klassifizierung aber um zwei bereits vorhandene Technologien erweitert: interkontinentale ballistische Raketen (ICBM) und bodengestützte elektronische Kriegführungssysteme. Die ganze Diskussion über den Bau von Weltraumwaffensystemen sei darum hinfällig, schließlich existierten diese bereits. Doch wie man auch den Begriff definieren mag, in Expertenkommissionen und militärischen Planungszirkeln stellt man sich weiterhin die alte Frage: Ist es wünschenswert – oder überhaupt möglich –, Antisatellitenwaffen und weltraumbasierte Waffen in die Militärstrategie einer Nation einzubinden?
Die neue "nationale Weltraumpolitik" der USA, in Verbindung mit dem Test in China, hat die hinter den Kulissen geführte Debatte neu entfacht. Viele führende amerikanische Militärs äußerten sich nach dem Test besorgt darüber, dass China im Fall eines Konflikts um Taiwan US-Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn bedrohen könnte. Im April 2007 verglich US-Luftwaffenstabschef Michael Moseley den chinesischen Antisatellitentest mit dem Sputnik-Start durch die Sowjetunion fünfzig Jahre zuvor. Durch diesen Akt sei das Wettrüsten im Kalten Krieg auf beispiellose Weise verschärft worden. Außerdem gab Moseley bekannt, dass das Pentagon begonnen habe, die Vorkehrungen für den Schutz amerikanischer Satelliten zu überprüfen. Denn der Weltraum sei zu "umstrittenem Gebiet" geworden.
US-Falken drängen zu Neuentwicklungen
Die Reaktionen im US-Kongress fielen, wie zu erwarten war, je nach politischer Linie aus. Konservative "China-Falken" wie Senator Jon Kyl aus Arizona forderten umgehend die Entwicklung von Antisatellitenwaffen und weltraumgestützten Abfangsystemen, um den chinesischen Fortschritten zu begegnen. Gemäßigtere Politiker wie der Abgeordnete Edward Markey aus Massachusetts drängten die Regierung zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel, alle Weltraumwaffen zu verbieten.
Noch besorgniserregender ist vielleicht die Gefahr, dass etliche andere Nationen, darunter Chinas regionaler Rivale Indien, sich durch den chinesischen Test gezwungen sehen, ihre offensiven und defensiven Fähigkeiten im Weltraum zu entwickeln. Die US-amerikanische Fachzeitschrift Defense News zitierte Quellen aus dem indischen Verteidigungsministerium, wonach Indien bereits begonnen habe, eigene lasergestützte Antisatellitenwaffen sowie Systeme zu entwickeln, deren Zerstörungswirkung auf kinetischer Energie beruht ("Hit-to-kill"-Technologie).
Sollte Indien diesen Weg weiter beschreiten, wird sein Erzrivale Pakistan mit großer Wahrscheinlichkeit nachziehen. Wie Indien verfügt Pakistan über ein gut entwickeltes ballistisches Raketenprogramm. Es schließt auch Raketen mittlerer Reichweite ein, die sich für den Start eines Antisatellitensystems nutzen lassen. Sogar Japan, die dritte große Macht in Asien, könnte sich veranlasst sehen, in ein Wettrüsten im All einzutreten. Im Juni 2007 begann das japanische Parlament mit der Debatte über eine von der derzeitigen Fukuda-Regierung unterstützte Gesetzesvorlage, die es erlauben würde, Satelliten für "militärische und sicherheitspolitische" Zwecke zu entwickeln.
Was Russland betrifft, so hatte Präsident Wladimir Putin nach dem chinesischen Test die entschiedene Haltung Moskaus gegen eine Militarisierung des Weltalls bekräftigt. Zugleich lehnte er es jedoch ab, Peking zu kritisieren und erhob stattdessen Vorwürfe gegen die Vereinigten Staaten. Anlass für den Schritt der Chinesen seien die amerikanischen Bemühungen um den Aufbau eines Raketenabwehrsystems und die zunehmend aggressiven Pläne der Amerikaner, sich im Weltraum militärisch zu positionieren. Dennoch dürfte es Russland schwerfallen, sich – als eine der führenden Raumfahrtmächte, deren nationale Sicherheitsstruktur auch Satelliten umfasst – einem Wettrüsten im All zu entziehen.
Die Armeen auf den irdischen Schlachtfeldern unterstützen
In Anbetracht der Vielzahl von Akteuren in der Raumfahrt halten Verfechter einer soliden Strategie der Weltraumkriegführung die Aufrüstung im All für unvermeidbar. Die Vereinigten Staaten sollten sich daher am Besten einen Vorsprung verschaffen. Nach ihrer Auffassung sind Antisatelliten- und weltraumgestützte Waffen nicht nur erforderlich, um militärische wie zivile US-Satelliten zu schützen. Sie sollten auch verhindern, dass mögliche künftige Kontrahenten Weltraumtechnologien einsetzen, um ihre Armeen auf den irdischen Schlachtfeldern zu unterstützen.
Dennoch würde ein Wettrüsten im Weltall fast unvermeidlich das Kräfteverhältnis destabilisieren und die Gefahr eines globalen Konflikts vervielfachen. Nimmt der Wettbewerb Fahrt auf – ob im All oder anderswo –, wäre es fast unmöglich, eine Gleichgewichtssituation zwischen den Gegnern aufrechtzuerhalten. Und selbst wenn die Großmächte einander im All ebenbürtig wären, böte dies keine Gewähr dafür, dass sie die Situation auch so wahrnehmen. Sobald eine Seite auch nur den Eindruck gewinnt, dass sie ins Hintertreffen gerät, ist sie möglicherweise versucht, zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ihrer Lage einen Präventivschlag zu führen. Entsprechendes gälte ironischerweise für die Seite, die sich im Vorteil wähnt. Auch für sie bestünde ein starker Anreiz, als Erster zuzuschlagen, bevor die andere Seite aufholen kann.
Durch ein Wettrüsten im All würde sich zudem die Gefahr erhöhen, dass es aufgrund eines schlichten technischen Fehlers zu einer Schlacht kommt. Es dürfte äußerst schwierig sein, eine geplante Aggression – in vielleicht Tausenden von Kilometern Höhe über unseren Köpfen – zuverlässig von einem versehentlichen Ereignis zu unterscheiden.
US-Militärexperten und Geheimdienstoffiziere gehen ebenso wie unabhängige Beobachter davon aus, dass die Chinesen ihren Wettersatelliten mit Hilfe eines Aufprallkörpers zerstörten ("kinetic-energy vehicle"). Als Transportmittel diente eine zweistufige ballistische Mittelstreckenrakete. Technisch gesehen ist die Verwendung solcher direkt aufsteigenden Antisatellitenwaffen eine der einfachsten Methoden, um einen Satelliten auszuschalten. Rund ein Dutzend Nationen und Konsortien könnten mit Mittelstreckenraketen eine erdnahe Umlaufbahn in 100 bis 2000 Kilometer Höhe erreichen; acht von ihnen würden es sogar schaffen, ihre Geschosse in eine geostationäre Umlaufbahn in ungefähr 36000 Kilometern Höhe zu bringen.
Hit to kill
Die eigentlichen Herausforderungen beim Bau einer Hit-to-Kill-Rakete liegen jedoch in der hohen Manövrierfähigkeit des Flugkörpers und der Zuverlässigkeit der Leittechnik, die beide für die präzise Zielansteuerung unerlässlich sind. Wie gut China diese Technologien beherrscht, ist unklar. Da der Wettersatellit noch in Betrieb war, als er zerstört wurde, ist davon auszugehen, dass die chinesischen Betreiber die jeweilige Position des Satelliten genau kannten.
Dem chinesischen Raketentest waren Presseberichte vorausgegangen, wonach China im September 2006 US-Spionagesatelliten mit einem bodengestützten Laser "markiert", also angestrahlt haben soll. War dies ein Versuch Pekings, Satelliten gezielt zu "blenden" oder anderweitig zu beschädigen? Niemand weiß es, und in offiziellen Washingtoner Kreisen scheint sich bislang kein Konsens über die chinesischen Absichten herausgebildet zu haben. Vielleicht ging es China auch nur darum, zu testen, wie gut sein Netz von – eigentlich der Entfernungsmessung ("Laser Ranging") dienenden – Niedrigenergielasern die Bahnen amerikanischer Satelliten verfolgen kann.
Trotzdem war der Test eine Provokation. Es muss nicht immer die Elektronik eines Satelliten zerstört werden, um ihn außer Gefecht zu setzen. Ein 1997 von den amerikanischen Streitkräften durchgeführter Test des MIRACL-Lasersystems (Mid-Infrared Advanced Chemical Laser) zeigte, dass die optischen Kameras von Satelliten sich bereits durch Strahlen niedriger Leistung vorübergehend "blenden" lassen. Auch Spionagesatelliten wären also auf diese Weise verwundbar.
Schon in den 1970er Jahren hatten die Vereinigten Staaten und die ehemalige Sowjetunion begonnen, mit laserbasierten Antisatellitenwaffen zu experimentieren. Vom Boden aus sollten die Hochleistungslaser niedrig fliegende Satelliten zuverlässig zerstören können. Doch die Ingenieure standen vor zahlreichen Problemen. Die Ausrichtung solcher Systeme kann mithilfe "adaptiver Optiken" erfolgen: verformbare Spiegel, die Verzerrungen durch turbulente Atmosphärenschichten kontinuierlich kompensieren können.
Aber der Betrieb eines Hochleistungslasers erfordert gewaltige Energiemengen, und selbst dann sind Reichweite und Wirksamkeit des Instruments sehr begrenzt. Es kommt zu Streueffekten, Rauch oder Wolken schwächen die Strahlen ab und obendrein ist es schwierig, das Ziel ausreichend lange im Visier zu behalten, dass überhaupt ein Schaden entsteht.
Der Weg zu "Strahlenkanonen" ist noch weit
Für ihr SDI-Projekt führten die USA in den 1980er Jahren mehrere Laserexperimente von Hawaii aus durch. Dabei kam ein satellitenbasierter Spiegel zum Einsatz, der die Laserstrahlen reflektierte. Mittlerweile finden Laserexperimente in der Versuchsanlage "Starfire Optical Range" auf der Kirtland-Luftwaffenbasis im Bundesstaat New Mexico statt. Zu den Zielen des Starfire-Forschungsprogramms gehören, so weisen es Haushaltsdokumente des Pentagons für die Jahre 2004 bis 2007 aus, auch Antisatellitenoperationen. Nach einer diesbezüglichen Anfrage des Kongresses tauchten die entsprechenden Formulierungen in den Budgetplänen für 2008 allerdings nicht mehr auf. Das Starfire-System enthält adaptive optische Elemente, die den ausgehenden Laserstrahl fokussieren und so seine Energiedichte erhöhen. Nötig ist diese Fähigkeit aber weder für Bildgewinnung noch Bahnverfolgung. Der Gedanke, Starfire könne sich als Waffe nutzen lassen, liegt also nahe.
Trotz jahrzehntelanger Forschung scheint der Weg zu einsatzreifen Energiewaffen ("Strahlenkanonen") aber noch weit zu sein. Ein Planungsdokument der US-Luftwaffe aus dem Jahr 2003 prognostizierte, dass bodengestützte Waffen mit der Fähigkeit, Laserstrahlen durch die Atmosphäre zu lenken, um Satelliten in einer erdnahen Umlaufbahn funktionsunfähig zu machen oder zu zerstören, zwischen 2015 und 2030 verfügbar werden könnten. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands scheint indessen selbst dieser Zeitrahmen optimistisch.
Jüngste Fortschritte bei miniaturisierten Sensoren, leistungsfähigen Bordcomputern und Triebwerken rücken zunehmend eine dritte Art von Antisatellitentechnik in den Bereich des Möglichen: den offensiven Mikrosatelliten. Das Potenzial dieser Technik demonstriert das XSS-Experimentalsatellitenprojekt der US-Luftwaffe, das Mikrosatelliten für "autonome Operationen" in der Nähe von größeren Satelliten entwickelt. Die ersten zwei Mikrosatelliten der Versuchsreihe, XSS-10 und XSS-11, wurden 2003 und 2005 gestartet. Obwohl sie eigentlich größere Satelliten inspizieren sollen, können sie auch eingesetzt werden, um Zielflugkörper zu rammen oder Sprengkörper, Energiewaffen, Funkstörsysteme und Hochleistungsmikrowellensender zu transportieren. Haushaltsdokumente der Luftwaffe Belegen, dass die XSS-Versuchsreihe in ein Programm namens "Advanced Weapons Technology" zur Erforschung militärischer Laser- und Mikrowellensysteme eingebettet ist.
Während des Kalten Kriegs entwickelte und testete die Sowjetunion ein koorbitales Antisatellitensystem, das aus einem manövrierfähigen Abfangkörper mit explosiver Nutzlast bestand, und nahm es sogar offiziell in Betrieb. Das Flugobjekt konnte sich von einer Rakete in einer Umlaufbahn nahe einem tief fliegenden Zielsatelliten absetzen lassen und funktionierte dort als eine Art intelligenter "Weltraummine". Zum letzten Mal geschah das 1982, mittlerweile ist das System vermutlich nicht mehr in Betrieb. Heute würde ein solcher Abfangkörper eher als Mikrosatellit konzipiert und in eine Erdumlaufbahn verfrachtet, die die Orbits mehrerer potenzieller Ziele schneidet. Bei einer nahen Begegnung könnte er dann aktiviert werden.
Im Jahr 2005 formulierte die US-Luftwaffe ein Programm mit dem Namen ANGELS (für "Autonomous Nanosatellite Guardian for Evaluating Local Space"): Kleinstsatelliten sollen geostationäre Satelliten mit Informationen über ihre nähere Umgebung und mögliche "Anomalien" versorgen. Über den Budgetposten, von dem zu vermuten ist, dass er auch ANGELS umfasst, heißt es, das Programm konzentriere sich auf den Erwerb "defensiver Fähigkeiten zum Schutz wertvoller Aktivposten im Raum". Dazu gehöre die Entwicklung "eines Warnsensors zur Detektion direkt aufsteigender oder koorbitaler Flugkörper". Aber natürlich können solche Nanosatelliten nicht nur der Überwachung dienen, sondern lassen sich auch in die Nähe feindlicher Satelliten manövrieren und dort offensiv einsetzen.
Die Liste der Möglichkeiten lässt sich fortsetzen. "Parasitensatelliten" könnten einen Zielkörper im geostationären Orbit verfolgen oder sich sogar an ihn heften. In einem Anhang des 2001 unter Federführung des damaligen US-Verteidigungsministers erstellten "Rumsfeld Space Commission"-Berichts heißt es über den so genannten Farsat-Satelliten: Er "würde (vielleicht mit zahlreichen in ihm untergebrachten Mikrosatelliten) in einem Orbit relativ weit von seinem Ziel entfernt 'geparkt', könnte aber jederzeit dorthin manövriert werden, um es zu vernichten". Zu guter Letzt machte die US-Luftwaffe vor einiger Zeit den Vorschlag eines weltraumbasierten Systems von Waffen, die mit Radiofrequenzen arbeiten. Es "bestünde aus einer Anordnung von Satelliten, die, ausgestattet mit leistungsstarken Hochfrequenzsendern im Radiowellenbereich, in der Lage wären, ein breites Spektrum elektronischer Geräte und nationale Befehls- und Kontrollsysteme zu stören, zerstören oder lahmzulegen".
In Planungsunterlagen aus dem Jahr 2003 stellte die Luftwaffe fest, dass eine solche Technologie ab 2015 zur Verfügung stehen könnte. Unabhängige Experten glauben jedoch, dass orbitale Radiofrequenz- und Mikrowellenwaffen bereits heute technisch realisierbar sind und schon in relativ naher Zukunft im All stationiert werden könnten.
In die Liste dieser Systeme gehört auch das Common Aero Vehicle/Hypersonic Technology Vehicle (CAV) des Pentagons. Es ist zwar nicht per definitionem eine Weltraumwaffe, soll aber wie eine interkontinentale ballistische Rakete durch den Raum fliegen, um terrestrische Ziele zu erreichen. Das Hyperschall-Gleitflugzeug wäre antriebslos, aber äußerst manövrierfähig. Ein Hyperschall-Raumflugzeug würde es im Orbit absetzen, von wo aus das CAV in die Atmosphäre herabstoßen und konventionelle Bomben auf Ziele am Boden abwerfen soll. In jüngerer Zeit bewilligte der Kongress erste Mittel für das Projekt. Er untersagte jedoch alle Arbeiten, die auf eine Bestückung des CAV mit Waffen abzielen: Einem potenziellen Wettrüsten im Weltraum solle kein Vorschub geleistet werden. Obwohl bei den Schlüsseltechnologien für das CAV stetige Fortschritte zu verzeichnen sind, dürfte es aber noch Jahrzehnte dauern, bis der Gleitflieger und sein Trägerflugzeug einsatzbereit sind.
Rods from God
Dass der Kongress mit einer Sensibilität über das Design des CAV entschied, mag zum Teil mit einem ähnlichen, aber weit kontroverseren Konzept einer Weltraumwaffe zu tun haben: die Idee zylindrischer Hypergeschwindigkeitsgeschosse, die bündelweise von orbitalen Plattformen auf die Erde herabgeworfen werden. Seit Jahrzehnten spielen Luftwaffenplaner mit dem Gedanken, Waffen im Orbit zu stationieren, die imstande sind, terrestrische Ziele anzugreifen, insbesondere unterirdische gehärtete Bunker und geheime Lager von Massenvernichtungswaffen. Salopp als "Gottesruten" ("Rods from God") bezeichnet, sollen diese Bunkerbrecher aus bis zu sechs Meter langen und dreißig Zentimeter dicken Wolframstäben bestehen und mit enormer Geschwindigkeit auf ihre Ziele zurasen.
Doch sowohl die hohen Kosten als auch die Naturgesetze stellen die Machbarkeit solcher Waffen in Frage. Beim Eintritt in die Atmosphäre laufen die Projektile Gefahr zu verglühen oder sich durch die Reibung zu verformen; gleichzeitig müssen sie, was extrem schwierig zu bewerkstelligen ist, eine präzise, fast senkrechte Flugbahn einhalten. Berechnungen zufolge wären die nichtexplosiven Projektile möglicherweise kaum wirksamer als konventionelle Munition. Die Kosten für den Transport so schwerer Objekte in eine Umlaufbahn sind dagegen exorbitant. Trotz anhaltenden Interesses an einer solchen Waffe dürften die "Gottesruten" daher eher in den Bereich der Science-Fiction gehören.
Was also hält die Vereinigten Staaten (und andere Nationen) davon ab, die Entwicklung von Weltraumwaffen mit aller Kraft voranzutreiben? Drei Faktoren stehen dem entgegen: die politische Opposition, die technischen Schwierigkeiten und die hohen Kosten. In der Frage, wie klug es wäre, die Kriegführung im Weltraum zum Bestandteil der nationalen Militärstrategie zu machen, sind die USA zutiefst gespalten. Die damit verbundenen Risiken sind vielfältig, angefangen bei der schon genannten allgemeinen Instabilität im Fall eines Wettrüstens. Unter Atommächten kommt dieser Gefahr sogar noch eine besondere Bedeutung zu. Frühwarn- und Spionagesatelliten haben seit jeher die Angst vor einem nuklearen Überraschungsangriff verringert. Lassen sich diese "Augen im All" jedoch außer Gefecht setzen, könnte das entstehende Gefühl der Ungewissheit und des Misstrauens rasch in eine Katastrophe münden.
Unpassierbar für Satelliten?
Zu den schwerwiegendsten technischen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Stationierung von Weltraumwaffen gehört, wie ebenfalls bereits erwähnt, der Umgang mit dem entstehenden Weltraumschrott. Nach Berichten der US-Luftwaffe, der Weltraumbehörde NASA und der unabhängigen Web-Plattform Celestrak, die Informationen über den nahen Weltraum bietet, entstanden bei dem chinesischen Antisatellitentest mehr als 2000 mindestens faustgroße Brocken Weltraummüll. Insgesamt enthält die nun um die Erde kreisende Trümmerwolke, die sich von 200 Kilometer über dem Erdboden bis in 4000 Kilometer Höhe erstreckt, rund 150.000 Objekte mit einem Durchmesser von mehr als einem Zentimeter. Wegen ihrer hohen Geschwindigkeiten selbst solche winzigen Bruchstücke Raumfahrzeugen aller Art gefährlich. Bodenstationen sind nicht in der Lage, Objekte in einer niedrigen Umlaufbahn, die weniger als 5 Zentimeter groß sind, zuverlässig zu überwachen, ebenso wenig wie ihnen das bei Objekten bis zur Größe von einem Meter in einer geostationären Umlaufbahn gelingt. Sonst könnten die Satelliten den Hindernissen einfach ausweichen. In der Tat mussten bereits zwei US-Satelliten ihren Kurs ändern, um einer möglichen Beschädigung durch chinesischen Weltraumschrott zu entgehen. Militärische Auseinandersetzungen könnten den nahen Weltraum in einem Maß mit Trümmern verseuchen, dass er für Satelliten unpassierbar wird.
Der Stationierung von Waffen im Orbit stehen auch enorme technische Schwierigkeiten entgegen. Ebenso wie Satelliten wären sie anfällig für alle Arten äußerer Einwirkung: Weltraumschrott, Geschosse, elektromagnetische Signale, sogar natürliche Mikrometeoriten. Sie gegen solche Gefahren abzuschirmen würde bedeuten, ihre Masse und damit auch die Transportkosten ins All deutlich zu erhöhen. Als in der Regel autonome Mechanismen wären orbitale Waffen zudem anfällig für Fehlfunktionen und Ausfälle. Flugbahnen von Objekten im Orbit lassen sich auch relativ leicht vorhersagen, so dass es schwer fallen würde, größere Waffen zu verbergen. Darüber hinaus sind Satelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn nur für jeweils wenige Minuten sichtbar. Es wären also viele Waffen erforderlich, um auch nur einen einzigen Satelliten ständig im Visier zu behalten.
Und schließlich wäre es extrem teuer, Waffen in den Weltraum zu befördern und dort zu betreiben. Pro Kilogramm Masse werden zwischen 4000 und 20000 US-Dollar fällig, um eine niedrige Erdumlaufbahn zu erreichen. Der Transport in den geostationären Orbit würde gar mit 30000 bis 40000 Dollar pro Kilogramm zu Buche schlagen. Zudem müssten weltraumgestützte Waffen alle 7 bis 15 Jahre ausgetauscht werden, und Reparaturen im Orbit dürften ebenfalls nicht gerade billig sein.
Verhandlungen vehement abgelehnt
In Anbetracht der zahlreichen Risiken und Machbarkeitshürden scheint es vernünftig, die raumfahrenden Nationen suchten nach Wegen, das Wettrüsten im All zu verhindern. Die Vereinigten Staaten haben sich bislang darauf konzentriert, die Verwundbarkeit ihrer Satellitenflotte zu verringern und ihre Abhängigkeit von Satellitendiensten zu vermindern, indem sie nach Alternativen Ausschau halten. Die meisten anderen Nationen mit der Fähigkeit, in den Weltraum vorzustoßen, sind dagegen an multilateralen diplomatischen und völkerrechtlichen Vereinbarungen interessiert. Die Optionen reichen von Verträgen, die Antisatelliten- und weltraumgestützte Waffen verbieten, bis hin zu freiwilligen Maßnahmen, die für Transparenz sorgen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen sollen.
Doch die Bush-Regierung hat jegliche Verhandlungen über Weltraumwaffen vehement abgelehnt. Die Gegner multilateraler Weltraumwaffenvereinbarungen behaupten, dass andere Nationen (insbesondere China) zwar unterzeichnen, aber insgeheim weiter am Aufbau geheimer Waffenarsenale arbeiten würden, denn Vertragsverletzungen dieser Art lassen sich nicht entdecken. Nach ihrer Auffassung dürfen die Vereinigten Staaten nicht einfach abwarten, während sich potenzielle Kontrahenten weltraumgestützte Ressourcen zur Steigerung ihrer terrestrischen Kampfkraft verschaffen.
Die Befürworter internationaler Verträge halten entgegen, dass der Verzicht auf solche Vereinbarungen reale Opportunitätskosten verursachen würde: Ein Wettrüsten im All könnte die Sicherheit aller Nationen – einschließlich der Vereinigten Staaten – gefährden, während es zugleich die wirtschaftliche Situation aller Beteiligten aufs äußerste belasten würde. Auch wenn viele von ihnen einräumen, dass es schwierig sein dürfte, einen Vertrag zu entwerfen, dessen Einhaltung in vollem Umfang verifizierbar ist (Weltraumtechnologien können schließlich sowohl für militärische als auch zivile Zwecke genutzt werden), gibt es doch bereits wirksame Verträge, die keiner strengen Kontrolle bedürfen. Ein gutes Beispiel ist die Konvention über biologische Waffen.
Mühelos aufzuspüren
Leicht kontrollieren ließe sich zumindest ein Verbot des Tests und Einsatzes (im Gegensatz zur Stationierung) der gefährlichsten Klasse kurzfristig verfügbarer Weltraumwaffen. Das sind Antisatellitensysteme, die nicht nur der Störung, sondern der Zerstörung dienen. Denn Weltraumschrott im Orbit kann mühelos aufgespürt werden. Darüber hinaus wüsste jeder Vertragsstaat, dass die von ihm in den Weltraum geschossenen Objekte vom Boden aus verfolgt und verdächtige Objekte sofort als solche publik gemacht würden. Die erwartbare internationale Empörung über so offenkundige Vertragsverletzungen würde von vornherein für ein gewisses Maß an Abschreckung sorgen.
Seit Mitte der 1990er Jahre machte die Aushandlung eines neuen multilateralen Weltraumvertrags jedoch keine Fortschritte mehr. Die Versuche im Rahmen der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen in Genf, Verhandlungen über einen Vertrag zur Ächtung von Weltraumwaffen aufzunehmen, wurden von den USA zunichte gemacht. China unterdessen will sich mit nichts Geringerem zufrieden geben. Somit sind auch alle Bemühungen um eine Zwischenlösung wie freiwillige vertrauensbildende Maßnahmen, eine Überwachung des Weltraumverkehrs oder ein Kodex für verantwortungsvolles Verhalten der raumfahrenden Nationen zum Erliegen gekommen.
Eine Kriegführung im Weltall ist nicht unvermeidlich. Die Neuausrichtung der US-amerikanischen Weltraumpolitik und Chinas provokative Handlungen werfen jedoch ein Schlaglicht darauf, dass sich die Welt einem Scheidepunkt nähert. Nun müssen sich die Staaten endlich klar machen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, die Erprobung und den Einsatz orbitaler Waffen zu verhindern. Schon bald werden die Länder der Erde zu entscheiden haben, ob sie die seit rund einem halben Jahrhundert vorwiegend friedlich betriebene Erforschung des Weltraums in derselben Weise fortsetzen wollen. Die Alternative wäre für alle inakzeptabel.<<
Die Autorin Theresa Hitchens ist Direktorin des unabhängigen Center for Defense Information in Washington, D.C., und leitet das gemeinsam mit der Secure World Foundation durchgeführte Space Security Project. Sie verfasste unter anderem die Studie "Future Security in Space: Charting a Cooperative Course" (2004) und war von 1998 bis 2000 Redakteurin bei Defense News. Als Journalistin spezialisierte sie sich auf militärische Themen, Fragen der Verteidigung sowie auf die NATO. Hitchens war auch Forschungsdirektorin am British American Security Information Council, der sich Verteidigungsfragen widmet.
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