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Der Nutzeffekt des Pflanzensex

Thomas Miedaner, außerplanmäßiger Professor an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim, erklärt uns unterhaltsam und leicht verständlich zweierlei: im ersten Teil "Alles Natur", wie die (nicht nur sexuelle) Fortpflanzung bei Pflanzen und Pilzen funktioniert, und im zweiten Teil "Manipulierte Geschlechter", wie sich der Mensch diese Reproduktionsmechanismen zu landwirtschaftlichen Zwecken zu Nutze macht. Das Buch lässt sich ohne große biologische Vorkenntnisse lesen, allerdings hilft zu einem besseren Verständnis ein kurzer Blick ins alte Biologielehrbuch zum Thema Mitose und Meiose.

Warum nehmen Lebewesen überhaupt die energetisch sehr aufwändige sexuelle Fortpflanzung auf sich, wo doch die vegetative Vermehrung durch einfaches Klonen schneller und effizienter wäre? Nachdem uns der Autor auf diese alte Frage die übliche Antwort gegeben hat – Stichwort: Die Vermischung der väterlichen und der mütterlichen Gene stellt viel mehr Vielfalt und damit Überlebenschancen bereit als die Mutation allein –, gibt er einen Überblick über die Mechanismen der sexuellen und vegetativen Vermehrung bei Blütenpflanzen. Faszinierend ist es, zu lesen, wie die Blüte der Bienen-Ragwurz ihre Bestäuber mit der Nachbildung des Genitalbereichs einer weiblichen Biene anlockt und wie die Monarchfalter ein Gift, das Pflanzen ursprünglich zum Selbstschutz produzierten, zum Sexuallockstoff umfunktioniert haben.

Pilze verfügen zuweilen über Dutzende von Geschlechtern und eine entsprechende Vielfalt an Reproduktionsmechanismen. Der hefeähnliche Cryptococcus neoformans bildet sogar Nachkommen mit Angehörigen des eigenen Geschlechts und schaffte es mit dieser Eigenschaft als "schwuler Killer-Pilz" bis in die "Bild"-Zeitung. Septoria tritici, der Auslöser der Blattdürre, greift zwar, wie Pilze generell, nur in der Not zur sexuellen Vermehrungsweise, das aber so wirksam, dass er binnen kürzester Zeit gegen die neuesten Fungizide resistent wird. Gewisse parasitische Pilze locken andere Pilze an, indem sie sich ihnen als Geschlechtspartner andienen. Und die Wildsau ist nur deshalb wild auf Trüffeln, weil diese den Geruch wilder Eber verströmen.

Bei vielen Kulturpflanzen wie Weizen, Roggen, Kartoffel, Rebe und Banane nutzt der Mensch deren Fortpflanzungsmechanismen für seine Zwecke, immer auf der Suche nach resistenteren, toleranteren und ertragreicheren Sorten. Männlicher Spargel wächst besser als weiblicher, hybride Maissorten besser als die Ausgangssorten; nur unbefruchteter weiblicher Hopfen bringt den richtigen Biergeschmack. In mühseliger Kleinstarbeit müssen Hunderte und Tausende von Getreideblüten sterilisiert werden, um gezielte Kreuzungen durchzuführen; und die so effiziente rein vegetative Vermehrung von Kartoffeln durch Knollen und von Weinreben durch Stecklinge hat in Europa mehrfach zu Katastrophen geführt, weil die genetisch einheitlichen Bestände nahezu komplett einem neuen Schädling zum Opfer fielen.

Wussten Sie, dass in den 1960er Jahren die damals übliche Bananensorte Gros Michel durch einen Schadpilz fast komplett ausgerottet worden ist? Und dass es möglicherweise in 20 Jahren die Banane mit dem Geschmack, wie wir ihn heute kennen, nicht mehr geben wird?

Im letzten Kapitel geht es um die Problematik der Verbreitung gentechnisch veränderter Pollen, insbesondere die Kontamination konventioneller und natürlicher Pflanzenbestände durch gentechnisch veränderte Organismen. Das ist ein großes Thema vor allem für die Biolandwirtschaft. Während Miedaner die Diskussion hier zu Lande als Problem "diffuser Zukunftsängste einer zu wenig aufgeklärten Bevölkerung" sieht, gesteht er immerhin zu, dass die Einkreuzung mit einheimischen Arten durch Pollenflug andernorts (zum Beispiel bei Bt- Mais in Mexiko) ein echtes Problem darstellen kann. Dies ist das einzige unbefriedigende Kapitel: Diese viel zu kurze Abhandlung, die sich auch noch auf den Teilaspekt Pollenflug beschränkt, kann der Komplexität der Problematik nicht gerecht werden.

Das Buch wendet sich nicht ans Fachpublikum, sondern an den interessierten Laien; es ist in lockerer, leicht lesbarer Sprache verfasst und gut bebildert. Ob die von Miedaner selbst gezeichneten Cartoons so witzig sind, darüber lässt sich streiten. Auf die Dauer wirken die zahlreichen, zum Teil leicht schlüpfrigen Anspielungen auf die menschliche Sexualität etwas bemüht. Blumen empfinden nun mal keine "Lust", sind nicht "befriedigt" und "treiben" es auch nicht miteinander, jedenfalls nicht nach dem aktuellen Stand der botanischen Forschung.

Hier war wohl sex sells der Vater des (Verkaufs)Gedankens. Dadurch, dass alle Sachverhalte und Konzepte anhand konkreter Beispiele erklärt werden, wird die Materie leichter zugänglich, obgleich man jederzeit die Komplexität dahinter spürt. Das Buch bleibt zwar notgedrungen an der Oberfläche, ist aber nicht oberflächlich.

Das Literaturverzeichnis hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits finden sich allgemein verständliche Quellen, andererseits sehr spezielle Fachliteratur, welche für Laien nicht geeignet ist. Ein kommentiertes Literaturverzeichnis zu den einzelnen Kapiteln wäre sinnvoller gewesen.

"FortPFLANZen" ist allen zu empfehlen, die wissen wollen, mit welchen Techniken und Tricks unsere Kulturpflanzen, die einen großen Teil unserer Nahrung ausmachen, zu dem geworden sind, was sie heute sind.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 7/2010

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