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Wider den Katastrophen-Konsens

Keine Uhrzeit wird so oft zitiert wie "fünf vor zwölf". Dann naht nicht etwa die verdiente Mittagspause, sondern das Ende der Welt. Atomkraftgegner sehen es kommen, weil immer noch kein Endlager für den strahlenden Müll gefunden wurde und jederzeit ein marodes Atomkraftwerk in Osteuropa hochgehen könnte; Gentechnikgegner, weil gentechnisch veränderte Kartoffeln nun auch in Deutschland angebaut werden dürfen; und Artenschützer, weil Wälder in rasantem Tempo vernichtet werden.

Die Uhren des Autorenduos Dirk Maxeiner und Michael Miersch zeigen eine frühere, weit weniger beängstigende Uhrzeit, etwa zwölf vor fünf. In ihrem neuen Buch haben sie zahlreiche ihrer Kolumnen zusammengetragen, die in der "Welt" erschienen sind.

Kein Zweifel: Diese Journalisten sind Optimisten. Das war wohl früher anders, als beide noch leitende Redakteure beim Umweltmagazin "Natur" waren und über Waldsterben, Robbensterben, Insektensterben und Vogelsterben schrieben. Für positive Umweltmeldungen, etwa dass der Rhein sauberer wurde, war damals die falsche Zeit. Auch heute, so die Meinung der Autoren, üben sich die Deutschen im Katastrophenkonsens. Den wollen sie mit ihrem neuen Buch bekämpfen.

Sind so genannte eingeschleppte Arten tatsächlich eine Bedrohung für die heimische Flora und Fauna? Wachsen Kinder heutzutage wirklich in einer gefährlicheren Umwelt auf als damals? Was ist so schlimm daran, dass der Wolf Deutschland wieder als Lebensraum entdeckt? In jedem Beitrag beantworten Maxeiner und Miersch eine derartige Frage – so kurz, wie eine Kolumne eben Platz lässt.

Einige Beispiele: Im Kapitel "Wald und Wetter" lästern die Autoren über die "neuen Grünen" wie George Clooney oder Julia Roberts, die es neuerdings schick finden, die Welt zu retten, aber nur "apokalyptischen Schmarrn" verbreiten, wenn sie den "planetaren Notstand" ausrufen. Konkret: Sie dürfen gerne für die gute Sache löhnen, sollen aber bitte nicht die Welt mit ihren grünen Parolen zu retten versuchen. In einem anderen Beitrag im Kapitel "Chemie und Wahnsinn", in dem es um den Kampf gegen Durchfallerkrankungen und HIV geht, schreiben Maxeiner und Miersch: "Wir wollen hier den Einsatz von Prominenten auf Spendengalas und Konzerten gar nicht gering schätzen, doch ein wenig mehr Aufmerksamkeit und öffentliches Lob für die unbekannten Menschenretter in den Labors und Forschungseinrichtungen dürfte es schon sein." Versöhnliche Töne der Autoren, die doch sonst meist eine Seite oder Partei kritisieren.

Eine weitere Kolumne, diesmal aus der Rubrik "Wild und Geflügel", befasst sich mit Zirkustieren. Auch wenn es noch kleine Schmuddelbetriebe gebe, sei in vielen Zirkussen die Tierhaltung nicht zu beanstanden. Aber Moralaktivisten würden eine einmal begonnene Sache ohne Ansehen der Realität bis zum Ende durchziehen. Sie würden erst Ruhe geben, wenn der letzte noch so sichere Atommeiler abgeschaltet und das letzte Zirkustier befreit sei.

Natürlich sollte man nicht die Augen vor den – möglicherweise verbesserten – Fakten verschließen. Aber die Behausungen vieler Zirkustiere sind immer noch nicht artgerecht, und bei der Atomkraft geht es nicht nur um die Sicherheit der Kraftwerke, sondern auch um die Endlagerung des Atommülls. Selbst wenn schon viel erreicht wurde, es geht noch besser, liebe Autoren!

Maxeiner und Miersch schreiben witzig, haben interessante Themen – mit Ausnahmen: Wozu muss ich wissen, wie eine Gartenparty ablief, bei der die Autoren zugegen waren? – und geben bei manchen Themen dem Leser Anlass, seine Position neu zu überdenken ("Finde ich Wölfe in Deutschland vielleicht doch okay?"). Gelegentlich lassen sie auch ihre Kritiker zu Wort kommen und führen Zahlen als Belege für ihre Aussagen an. Im Vordergrund steht jedoch ihre eigene Meinung, und die ist oftmals eher provokant.

Da fallen manches Mal auch wichtige Argumente unter den Tisch. In ihrer Kolumne "Wir sind die neuen Grünen" heißt es: "Die Gentechnik verringert den Einsatz von Pestiziden, sorgt für mehr Ertrag und damit für weniger Flächenbedarf." Das kann ja alles zutreffen, doch führen Maxeiner und Miersch weder die problematische Monopolstellung der Konzerne an, die gentechnisch verändertes Saatgut herstellen, noch gehen sie darauf ein, dass gentechnisch veränderte Pflanzen die Qualität der Biogewächse auf dem Nachbarfeld gefährden können. Da wäre an manchen Stellen mehr Ausgewogenheit angebracht gewesen.

Alles in allem ist "Frohe Botschaften" aber ein Buch mit vielen interessanten Beiträgen. Jeder einzelne für sich ist schnell gelesen – und gibt Stoff für deutlich längeres Nachdenken.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 8/2009

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