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Schiefergas: "Das Risiko ist beherrschbar"

Steigende Preise für Öl und Gas haben die Erschließung neuer Vorkommen beschleunigt. Darunter befindet sich auch Schiefergas - dessen Gewinnung stark kritisiert wird. spektrumdirekt sprach deshalb mit Ingo Kapp vom GeoForschungsZentrum Potsdam. Der Physiker erforscht dort unter anderem, welche Umweltauswirkungen die Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten hat.
Brennendes Erdgas
Herr Kapp, immer wieder hört oder liest man von brennenden Gashähnen im Zusammenhang mit der Förderung von Schiefergas. Ist diese eine reelle Gefahr, die bei der Förderung des Rohstoffs beachtet werden muss?

Ingo Kapp: Sie haben wahrscheinlich den Film "Gas Land" gesehen, in dem diese brennenden Wasserhähne gezeigt werden. Dabei handelt es sich jedoch um ein generelles Problem, das bei jeder Gasförderung auftreten kann – und nicht nur bei Schiefergas. Bisweilen gelangt brennbares Methan auch auf natürliche Weise in das Grundwasser, etwa in der Nähe von Mooren. Generell muss man sauber arbeiten und ein ordentliches Qualitäts- und Risikomanagement beachten, dann reduziert sich die Gefahr, dass brennbare Gase als Folge einer Erdgasförderung aus dem Wasserhahn austreten können.

Was muss sich der Laie unter "sauber arbeiten" vorstellen?

Ingo Kapp | Der promovierte Physiker Ingo Kapp arbeitet seit vier Jahren am Deutsches GeoForschungsZentrum – GFZ in Potsdam. Er ist zuständig für Aufgaben des Technologietransfer und das Management von interdisziplinären Projekten. Außerdem erforscht er, welche Umweltauswirkungen die Förderung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten hat.
Es existiert ein umfassendes Regelwerk, nach dem Bohrungen ausgebaut und gesichert werden – dies betrifft etwa die Zementierung des Bohrlochs, also der dicht abschließenden Verbindung der Verrohrung mit dem umliegenden Gestein. Die Einhaltung dieser Vorschriften muss ständig überprüft werden. Wenn dabei allerdings etwas schiefläuft, kann durchaus Erdgas in darüber liegende Bodenschichten gelangen und ins Grundwasser eintreten. Diese Gefahr ist bekannt, und wir sollten sie nicht verharmlosen, doch können wir uns dagegen wappnen – das Risiko ist beherrschbar.

Wie häufig tritt ein derartiges Problem auf?

Dabei handelt es sich nicht um ein Massenphänomen, in Europa kennen wir es eigentlich überhaupt nicht. In den USA kam es allerdings häufiger zu Zwischenfällen, weil dort in den 1990er und frühen 2000er Jahren sehr viele Bohrungen niedergebracht wurden – auch durch Firmen, die kein wirksames Qualitäts- und Risikomanagement einhielten. In Europa sind die Forderungen und Kontrollen strenger, das ist einer der Gründe, warum Bohrungen etwa vier Mal so viel kosten wie in den USA. Aber auch in den USA wurden die Qualitätsstandards und –kontrollen inzwischen deutlicher verbessert. In Deutschland und in anderen Ländern Europas hatten wir meines Wissens noch keine Fälle von Methan im Grundwasser durch Erdgasbohrungen.

Die brennenden Hähne dienen also eher als dramatisches Element für die Berichterstattung?

Methan kann generell auf natürlichem Weg in das Grundwasser und damit ebenso in normale Hauswasserbrunnen gelangen, etwa in der Nähe von Moorgebieten oder flachen Kohleflözen. Über brennende Wasserhähne wurden daher früher ebenfalls schon berichtet – vor der Schiefergaszeit. Es soll sogar Wasserfälle geben, die periodisch in Brand geraten. Diese Phänomene werden nun im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Umweltauswirkungen der Schiefergasförderung inszeniert, da sie sich in einem kritischen Film gut machen und Aufmerksamkeit erregen. Ich will die Problematik nicht verharmlosen, aber letzten Endes handelt es sich dabei nicht um ein spezifisches Problem der Schiefergasförderung, das sich zudem durch sauberes Arbeiten in den Griff bekommen lässt.

Welche Rolle spielt dabei eigentlich das so genannte Fracking, das Aufbrechen des Gesteins, um das Gas förderbar zu machen?

Das Methanproblem steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fracking – im Gegenteil: Wenn eine konventionelle Erdgaslagerstätte angebohrt wird, wird der relativ große Gasdruck unmittelbar auf die Bohrung übertragen. Bei den so genannten unkonventionellen Lagerstätten gibt es diesen freien Druck dagegen nicht. Erst durch das Fracking wird der Gasfluss erzeugt. Der Gasdruck und die damit verbundene Belastung des Bohrlochs ist folglich eher geringer. Das Fracking dient einfach nur dazu, im tiefen Untergrund Wegsamkeiten für das eingeschlossene Gas zu erzeugen. Dies ist ein in jeder Phase steuerbarer technischer Prozess.

Ein zweiter Aspekt, weswegen das Schiefergas immer wieder kritisiert wird, sind die vielen Bohrungen, die dafür nötig sind – zumindest in den USA sieht die Landschaft danach sehr pockennarbig aus. Muss man tatsächlich alle Nase lang eine Bohrung anbringen?

Sie können sich vorstellen, dass diese Methode in Europa so nicht durchführbar und ein Ausschlusskriterium für eine mögliche Schiefergasförderung wäre. Auch in den USA setzt man nicht mehr auf diese sehr exzessive Technik. Stattdessen nutzt man verstärkt das so genannte Nestbohren. Von einem Bohrloch ausgehend werden Zweige in verschiedenen Richtungen parallel und vertikal fortgesetzt, so dass man große Flächen solcher gastragender Schwarzschieferformationen mit einem einzigen Bohrloch erschließen kann. Es muss also gebohrt werden – mit den entsprechenden Beeinträchtigungen –, aber nicht in diesen Ausmaßen wie in den Anfangsjahren der Schiefergasförderung. Dies bleibt aber auf jeden Fall ein Themenfeld, in dem mit den Betroffenen Kompromisse gesucht und ausgehandelt werden müssen.

Ebenfalls moniert werden die Flüssigkeiten, mit denen das Fracking abläuft. Wurden hier ebenfalls neue Lösungen entwickelt, bei denen weniger giftige Wässer in die Tiefe gepumpt werden?

Auch in diesem Punkt bestehen Missverständnisse. Um Schiefergas zu gewinnen, müssen mit der Frackingflüssigkeit auch Biozide ins Gestein gepresst werden. Denn selbst in 1000 bis 2000 Meter Tiefe leben noch Bakterien, die sich sehr heftig vermehren, sobald ihr Lebensraum angebohrt wird. Auf Dauer würden sie alles verstopfen und die Förderung blockieren. Deswegen mischt man diese Biozide in die Bohrflüssigkeit. Das sind Chemikalien, die auch für Schwimmbäder oder Swimmingpools verwendet werden. Ihre Zusammensetzung und Menge wird auf die jeweilige geologische Formation abgestimmt. Nun wird häufig gefordert, dass diese zugesetzten Chemikalien nicht im Untergrund verbleiben dürfen. In dem Wasserrückfluss – dem Backflow – , der nach dem Fracking einsetzt, sind diese Chemikalien jedoch praktisch nicht mehr zu finden – sie haben ihre Funktion erfüllt und wurden dabei auch chemisch umgesetzt.

Dafür gibt es eine Gefährdung, die deutlicher thematisiert werden muss: Der Wasserrückfluss enthält gelöste Stoffe aus der Tiefe wie Benzolverbindungen oder fallweise auch radioaktive Salze. Diese Stoffe könne hochgiftig sein und müssen entsprechend behandelt werden.

Wie geht man mit diesem Rückfluss um?

Für diesen Zweck wurden mobile Wasser-Aufbereitungsanlagen entwickelt, die alle giftigen und umweltgefährdenden Bestandteile abtrennen. Die verbleibende Flüssigkeit kann für spätere Frackings wiederverwendet werden. Es ist jedoch ebenso möglich, das Wasser soweit zu klären, dass das es annähernd Trinkwasserqualität aufweist.

Tonstein in Dorset | Der Kimmeridge Clay an der Dorset-Küste in England ist eine typische Shale-Formation aus der Gas gewonnen werden könnte. Das 30 Meter lange Profil zeigt schön die typische starke Heterogenität derartiger Formationen. Ähnliche Schichten müssen aufgebrochen werden, um an das darin gespeicherte Gas zu kommen.
Wir haben nun viel über die Risiken der Schiefergasförderung gesprochen. Welche Chancen verbergen sich denn hinter dieser Rohstoffquelle? Die USA gelten ja schließlich mittlerweile als Gasgigant wegen ihrer Schiefergasquellen. Könnte Deutschland ebenfalls zur Rohstoffmacht aufsteigen?

Zuerst benötigen wir gute Kenntnisse über die europäische Geologie und wie sich potenziell ergiebige Formationen entwickelt haben. Damit Schiefergas entsteht, müssen bestimmte Druck- und Temperaturbedingungen vorherrschen. Kennt man diese Verhältnisse an einem Standort, so lässt sich über Modelle berechnen, wie viel Schiefergas dort ungefähr vorkommt – was aber sehr vage ist. Für Deutschland werden insgesamt keine besonders großen Vorkommen vermutet: Sie entsprechen etwa dem 2,5-Fachen des nationalen Jahresverbrauchs an Erdgas. Für die regionale Wertschöpfung könnten sie aber fallweise Bedeutung erlangen. Die langfristige Energiestrategie Deutschlands werden unsere eigenen Schiefergasvorkommen jedoch nicht beeinflussen.

Wo liegen in Deutschland die größten Vorkommen?

In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, auch in Thüringen und am Nordrand der Alpen existieren potenziell nutzbare Vorkommen.

Richten wir den Blick auf ganz Europa – vielleicht auch mit Vorkommen im Meer: Bildet Schiefergas eine alternative Quelle, mit der die Europäische Union unabhängiger würde von Importen zum Beispiel aus Russland oder Nahost?

Nein, ich denke, es handelt sich für Europa insgesamt nur um eine Ergänzung, die eine weitere Diversifizierung des Energierohstoffmarkts ermöglicht. Die Nutzung der europäischen Vorkommen von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten verringert also etwas die Abhängigkeit von Importen. Auf nationaler und regionaler Ebene können wir jedoch wichtige wirtschaftliche Impulse aus dieser Entwicklung erhalten – so in Polen oder der Ukraine.

In den USA haben diese neuen Quellen allerdings die Grundstruktur des Energiemarkts wesentlich gewandelt. Wir werden eine ähnliche Entwicklung wahrscheinlich in Südamerika und sicher auch in China erleben. Das sind nicht die schlechtesten Nachrichten für die Umwelt, denn die Klima- und Umweltauswirkungen der energetischen Erdgasnutzung fallen insgesamt kleiner aus als bei der Kohlenutzung – auch wenn wir die Umweltproblematik nicht verharmlosen dürfen. Aber jede Kohleförderung – beispielsweise in China oder Polen – greift viel tiefer in die gesamte Struktur der Umwelt ein. Dann geht es nicht mehr darum, dass vielleicht ein Grundwasseraquifer durch Unfälle gefährdet werden kann, sondern ob der gesamte Aquifer nicht einfach abgepumpt und beseitigt wird.

Sie sagten bereits, dass Deutschlands Schiefergasvorkommen eher klein ausfallen. Besteht trotzdem eine Chance für deutsche Unternehmen hierfür Hochtechnologie zu produzieren und zu exportieren – oder sind wir auf diesem Markt nur Nebendarsteller?

Die Grunderfahrungen mit dieser Technologie wurden in den letzten 15 Jahren vor allem in den USA gesammelt. Deshalb stammen die meisten technischen Entwicklungen auch von dort. Ich denke nicht, dass wir hierzulande mit dieser Technologie eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie mit Windrädern oder der Photovoltaik schreiben können – zumindest nicht in dieser Größenordnung. Auch mittelfristig werden die meisten neuen Technologieimpulse in diesem Bereich aus den USA kommen.

Herr Kapp, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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