Direkt zum Inhalt

Sehstörungen: Wenn die Netzhaut verfällt

Wenn im Alter die Welt vor Augen verschwimmt, liegt das oft an einem winzigen Defekt mitten in der Netzhaut des Auges: an einer Degeneration der so genannten Makula. Erkenntnisse über die molekularen Ursachen dieser Augenerkrankung wachsen nun rapide - und damit die Hoffnung auf neue therapeutische Ansätze.


Beobachten Sie einmal genau sich selbst beim Lesen: Der Blick springt zum nächsten Zeilenanfang und schwenkt dann von links nach rechts. Wie wichtig diese rasche Bewegung der Augen ist, können Sie leicht feststellen, indem Sie auf eine Stelle in dem Satz hier starren. Ein bis zwei Zentimeter weit nach rechts oder links vermögen Sie die Buchstaben deutlich zu erkennen; das Übrige erscheint als schwarz-weißes Muster.

Gewöhnlich fällt uns überhaupt nicht auf, dass wir kaum ein Prozent des Gesichtsfeldes in hoher Auflösung wahrnehmen. Unser tastender Blick richtet sich unwillkürlich auf das, was gerade interessiert – und eben dieser anvisierte Ausschnitt wird dann, ohne dass wir den Kopf drehen müssen, mitten auf der Netzhaut am Augenhintergrund abgebildet. Dort, direkt gegenüber der Pupille, liegt ein besonderer Bereich dieser papierdünnen Schicht mit ihren lichtempfindlichen Sinneszellen: der gelbe Fleck. Anatomisch heißt das nicht einmal reiskorngroße Areal Macula lutea oder eingedeutscht kurz Makula. Eingesenkt in deren Mitte liegt die Sehgrube, die Stelle, mit der wir am schärfsten sehen und am besten Farben unterscheiden.

In der starken Fokussierung dieser Fähigkeiten steckt freilich eine große Gefahr: Wird der winzige gelbe Fleck geschädigt, verschlechtert sich die Sehschärfe im gesamten zentralen Gesichtsfeld beträchtlich. Eben das ist bei der so genannten Makula-Degeneration der Fall, einem meist im höheren Alter auftretenden Augenleiden. Allein in Deutschland sind schätzungsweise ein bis zwei Millionen Menschen betroffen, und etwa jeder Vierte über siebzig Jahren hat damit zu tun. Zwar erblindet man selbst im späten Stadium der Krankheit gewöhnlich nicht völlig. Doch immer dort, wo man gerade hinblickt, erscheint ein grauer zentraler Schatten, der es schließlich unmöglich macht, etwa zu lesen, fernzusehen oder Gesichter zu erkennen. Kaum sonst wo im menschlichen Organismus hat der Ausfall eines so winzigen Gewebestücks derart dramatische Folgen.

Seit langem können Augenärzte die verschiedenen Formen der Krankheit akkurat diagnostizieren. Die Erforschung ihrer Ursachen, vor allem auf molekularer Ebene, hat aber erst in neuerer Zeit deutliche Fortschritte gemacht. Von weiteren Erfolgen erhofft man sich neue medizinische Verfahren, um den schleichenden Verfall des gelben Flecks wirksam zu verlangsamen oder sogar zu stoppen. Oberstes Fernziel aber bleibt, auch schon bestehende Schäden zu beheben.

Was im gelben Fleck degeneriert, sind die Sehzellen der kompliziert gebauten Netzhaut und die Schutzzellen darunter. Jeder Photorezeptor trägt einen langen, als Außensegment bezeichneten Fortsatz. Nach dessen Form sind die beiden Haupt-typen von Sehzellen benannt: Bei den "Zapfen" verjüngt der Fortsatz sich zu einer Spitze, bei den "Stäbchen" bleibt er auf ganzer Länge zylindrisch.

Die Stäbchen, zuständig vor allem für das Dämmerungssehen, liegen überwiegend im Randbereich der Netzhaut. Da sie lediglich Hell-Dunkel-Unterschiede registrieren, erscheinen alle von ihnen erfassten Gegenstände "farblos". Zur Mitte der Netzhaut hin konzentrieren sich die farbtüchtigen Zapfen. Am dichtesten liegen sie in der Sehgrube, der Stelle allerschärfsten Sehens. Dort gibt es überhaupt keine Stäbchen mehr.

Im Außensegment der Photorezeptoren stapeln sich flache Membransäckchen wie Teller übereinander, allerdings zu Hunderten. Der Zellkörper produziert unablässig solche Membranen, bestückt mit Licht absorbierenden Molekülen, und fügt sie unten dem Stapel an. Tag für Tag werden so etwa zehn Prozent der "Teller" nachgeliefert. Unterdessen baut eine angrenzende Zellschicht, das Retina-Pigmentepithel (RPE), entsprechend viel von der Spitze ab. Dieser Prozess verhindert wahrscheinlich, dass sich im ältesten Teil des Außensegments Eiweiß- und Fettbausteine ansammeln, die durch Licht und Sauerstoff – also durch Photooxidation – geschädigt wurden.

- sorgt dafür, dass die Flüssigkeit um die Sehzellen immer die richtige Ionen-Zusammensetzung behält,

- bereitet den Vitamin-A-Abkömmling wieder auf, den die Sehzellen zur Lichtdetektion brauchen,

- transportiert und filtert Nährstoffe aus der stark durchbluteten Aderhaut, die hinter ihm liegt.

Mehr noch: Dank seiner starken Pigmentierung aus dunklen Melanin-Körnchen schluckt es alle Photonen, die Zapfen und Stäbchen durchdringen, und mindert so den Verlust an Bildqualität, den Streulicht im Auge verursachen würde.

Für Patienten macht sich eine Degeneration des gelben Flecks zwar ziemlich einheitlich bemerkbar: als Schärfeverlust des zentralen Gesichtsfeldes. Ihre Netzhaut sieht dabei jedoch von Fall zu Fall sehr verschieden aus. Die senile oder altersabhängige Makula-Degeneration geht häufig mit einem Verlust von Pigmentzellen einher. Wenn der Arzt den Augenhintergrund mit einem Ophtalmoskop, einem "Augenspiegel", betrachtet, so sieht er entfärbte oder nur noch unregelmäßig pigmentierte Bereiche.

Genauer lässt sich diese Zellzerstörung mit der Fluoreszenz-Angiografie untersuchen. Dazu injiziert der Arzt einen speziellen, gelbgrün fluoreszierenden Farbstoff in eine Armvene. In gesunden Augen zeichnen sich daraufhin die feinen Gefäße der Netzhaut selbst gut ab. Die viel größeren der Aderhaut hingegen verschwinden, obwohl sie leuchten, hinter dem Licht schluckenden Schirm des Pigmentepithels weit gehend. Bei der senilen Makula-Degeneration schimmern sie aber überall dort deutlich dort durch, wo Pigmentzellen fehlen.

Das Verfahren kann außerdem ein gravierendes Problem sichtbar machen: Bei rund zehn Prozent der Patienten wuchern aus der Aderhaut Blutgefäße in die Netzhaut ein oder machen sich direkt unter ihr breit. Dort liegt eigentlich die dünne Bruch’sche Membran; sie besteht aus Proteinen und Zuckerketten. Die nach dem Anatomen Karl Wilhelm Bruch (1819-1884) benannte Membran soll die Aderhaut am Pigmentepithel fixieren. Zugleich wirkt sie als Grenzschicht. Dennoch durchgedrungene neue Gefäße neigen zu Blutungen. Die Netzhaut trägt dann bleibende Narben davon.

Verheerende Schlackstoffe

Bei defekter Bruch’scher Membran sammelt sich außerdem leicht Flüssigkeit unter oder über dem Pigmentepithel. Mediziner sprechen von feuchter Makula-Degeneration. Die Flüssigkeitsansammlung ist hinderlich, weil die eigentliche Schicht der Sehzellen normalerweise keine die Ordnung störenden Blutgefäße enthält; Sauerstoff und Nährstoffe müssen aus der Aderhaut bis in diesen Teil der Netzhaut wandern können.

Im Pigmentepithel von Erwachsenen schließen sich Lücken offenbar nur unvollständig wieder, vermutlich weil seine Zellen sich kaum mehr teilen oder ausdifferenzieren können. Warum aber funktionieren ausgereifte Zellen dieser Schicht im höheren Alter schlechter oder sterben sogar ab?

Besonders gefährdet dürfte das Pigmentepithel durch seine Mammutauf-gabe sein, unablässig die Spitzen der Außensegmente von Zapfen und Stäbchen abzubauen und das Material zu recyceln. Die Epithelzellen sind flach und dabei so groß, dass jede rund fünfzig Photorezeptoren zu betreuen hat. Von ihnen muss sie täglich, lebenslang, zehn Prozent des "Tellerstapels" aufnehmen und abbauen. Das entspricht einer Masse von fünf roten Blutkörperchen. So viel verleibt sich keine andere "fressende" Zelle des Körpers ein. Und das kann auch Verdauungsprobleme geben.

Seltene erbliche Krankheiten

Mit den Jahren sammelt sich ohnehin in vielen Körperzellen, so auch in den Müllschluckern des Pigmentepithels, immer mehr "Altersabfall" an: ein körniges gelbliches Materialgemisch namens Lipofuscin. Direkt unter dem Epithel, außerhalb der Zellen, können sich so genannte Drusen bilden. Woraus diese Ablagerungen bestehen, ist nicht vollständig geklärt; wahrscheinlich entstehen auch sie zumindest teilweise aus "unverdaulichen" Resten von Außensegmenten. Die Drusen werden so groß, dass der Arzt sie im Ophthalmoskop erkennen kann. Sie sind ein Warnzeichen: Parallel zu ihrer Menge steigt die Gefahr, durch eine senile Makula-Degeneration Sehkraft einzubüßen.

Aus epidemiologischen Studien haben sich übereinstimmend drei Risikofaktoren für die Entwicklung einer senilen Makula-Degeneration herausgeschält: zunehmendes Alter, Rauchen und frühere Fälle dieses Leidens in der Familie. In den Vereinigten Staaten sind grob fünf Prozent der Sechzigjährigen, zehn Prozent der Siebzigjährigen und zwanzig Prozent der Achtzigjährigen betroffen. Die meisten von ihnen leiden zwar erst an einem Frühstadium, das ihre Sehkraft relativ wenig beeinträchtigt; aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit sich verschlimmert, ist nicht unbeträchtlich.

Wenn ein solches Altersleiden gehäuft innerhalb einer Familie auftritt, könnte dies zwar auch auf gemeinsame Umwelt- und Lebensbedingungen ihrer Mitglieder zurückzuführen sein. Doch stützen überzeugende Befunde den Verdacht auf eine genetische Komponente: Erkrankt einer von eineiigen Zwillingen, bleibt auch der andere fast nie verschont. Die so genannte Konkordanz beträgt hier also fast hundert Prozent. Bei zweieiigen Zwillingen und gewöhnlichen Geschwistern liegt sie dagegen unter fünfzig Prozent. Eine Konkordanz verrät freilich nicht, mit wie vielen Genen man es zu tun hat und welche der schätzungsweise 30000 Gene des Menschen die Anfälligkeit bewirken. In dieser Hinsicht stellt die senile Makula-Degeneration die Forscher vor eine besondere Herausforderung. Denn üblicherweise untersuchen sie zum Nachweis einer erblichen Disposition zunächst Sippen mit zahlreichen Betroffenen. Eine Krankheit aber, die erst im hohen Alter auftritt, findet sich häufig nur bei wenigen Mitgliedern einer Familie, weil viele dafür noch zu jung und andere bereits vor dem Auftreten der ersten Symptome gestorben sind.

Deswegen haben sich die Genetiker auf seltene Formen der Makula-Degeneration konzentriert, die meist bereits jüngeren Leuten zu schaffen machen und eindeutige Vererbungsmuster erkennen lassen. Besonders eingehend untersucht sind bislang die

- Doyn’sche Honigwaben-Dystrophie,

- Best’sche Makula-Dystrophie,

- Sorsby’sche Fundus-Dystrophie,

- Stargardt’sche Makula-Dystrophie.

Die Namen beziehen sich auf den jeweiligen Erstbeschreiber, im letzten Beispiel auf den deutschen Augenarzt Karl Stargardt (1875-1927). Diese Krankheit ist mit etwa einem Fall unter 10000 Personen die häufigste unter diesen vier erb-lichen Formen.

Typisch für alle vier ist, dass der zentrale Bereich der Netzhaut geschädigt wird und dass sich im Pigmentepithel oder darunter störendes Material ansammelt. Sicherlich müssen diese Erkrankungen, die in jungen oder mittleren Jahren ausbrechen, ohnehin intensiv erforscht werden, aber ihre äußerliche Ähnlichkeit mit der senilen Makula-Degeneration macht Hoffnung, entscheidende Hinweise auch auf die Ursachen des Altersleidens zu erlangen.

Gestörte Müllentsorgung durch Gendefekte

Tatsächlich sind die Forscher bei den erblichen Formen genetisch fündig geworden. Durch Vergleich der Vererbungsmuster ließ sich zunächst bestimmen, auf welchen Chromosomen jeweils weiter zu suchen war; dann identifizierte man die fraglichen Gene selbst anhand der Unterschiede zwischen den DNA-Sequenzen von Kranken und Gesunden. Bei drei der Sehstörungen stellte sich heraus, dass eine ganze Reihe von Mutationen in dem jeweils relevanten Gen eine Erkrankung hervorrufen können. Eine Ausnahme bildet die Honigwaben-Dystrophie: Offensichtlich tragen sämtliche Betroffenen die exakt gleiche Mutation; sie alle müssen, obgleich weit über Europa und die Vereinigten Staaten verteilt, einen gemeinsamen Vorfahren haben, bei dem der Defekt erstmals aufgetreten war.

Als Nächstes nahmen die Wissenschaftler die Proteine unter die Lupe, die von den mutierten Genen stammen – immer auch mit dem Hintergedanken, einen Ansatzpunkt für künftige Medikamente zu finden.

Bisher am besten durchschaubar ist die Stargardt-Krankheit, bei der sich schon in jüngeren Jahren Unmengen an Altersmüll im Pigmentepithel anhäuft; das eigentliche Problem liegt aber, wie wir seit kurzem wissen, in den Außensegmenten der Sehzellen – bei einem Transportprotein mit dem Kürzel ABCR. Es sitzt in den Membranen der gestapelten Teller und dürfte eine dort "verbrauchte" und nun zu recycelnde Hauptkomponente des Sehfarbstoffs ausschleusen. Dafür sprechen jedenfalls Reagenzglas-Versuche mit dem intakten Transporter.

Von der wichtigen Licht absorbierenden Komponente, einem Abkömmling von Vitamin A, weiß man, dass sie allmählich mit den Fettmolekülen in der Teller-Membran reagiert – umso mehr natürlich bei einem Transportstau an eben dieser Stelle. Das leider schwer abbaubare Produkt landet zwangsläufig mit den alten Tellern in den Zellen des Pigmentepithels und sammelt sich in ihnen als Bestandteil des Altersmülls an. Das tut es zwar auch in gesunden Augen mit der Zeit, aber in geringerer Menge. Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es die Pigmentzellen anfälliger für lichtbedingte Schäden macht und so ihre Lebensdauer verkürzt.

Bei der Stargardt-Krankheit kann das Gen für das Transportprotein an verschiedenen kritischen Stellen defekt sein. Interessanterweise kommen zwei andere Veränderungen des Gens bei Personen mit seniler Makula-Degeneration häufiger vor als in der Gesamtbevölkerung; derartige Spielarten könnten also zu einer gewissen Anfälligkeit auch für die Altersform der Erkrankung beitragen.

Die übrigen bekannten Gene, die bei den drei anderen früh einsetzenden Erkrankungen mutiert sind, zeigen sich zwar bei der senilen Degeneration unverändert intakt. Doch die aus den Defekten erwachsenden Folgen dürften in funktionell ähnlicher Form auch bei der Altersform eine Rolle spielen, nur dass sie dort andere Ursachen hätten. Mehreren Befunden zufolge beeinträchtigen die Mutationen, die Sorsby’sche Fundus-Dystrophie verursachen, möglicherweise auch die Fähigkeit des Auges, Material außerhalb der Zellen abzubauen. Bei den Patienten ist deshalb die – außerzelluläre – Bruch’sche Membran auf der Aderhaut stark verdickt. Wichtige Nährstoffe können dann nur schlecht zum Pigmentepithel und weiter in die Netzhaut wandern. Auch bei den beiden anderen erblichen Formen unserer Liste sind nach ersten Indizien Funktionen der Bruch-Membran und des Pigmentepithels gestört. Wie es aussieht, müssen also Medikamente gefunden werden, die insbesondere die Abbaufunktionen der Zellen unterstützen.

Einen anderen Ansatz für die Forschung bieten reaktionsfreudige freie Radikale. Das sind sauerstoffhaltige Verbindungen mit ungepaarten Elektronen, die wohl in allen Organismen – ob Bakterie, Pflanze, Tier oder Mensch – erhebliche Schäden anrichten können. Wie Untersuchungen an Labortieren erwiesen haben, schädigen freie Radikale sowohl die Sehzellen als auch das Pigmentepithel. Die aggressiven Stoffe entstehen durch den Sehprozess selbst. Eigentlich ist es eine Ironie der Natur, dass ausgerechnet die Eigenschaften von Vitamin A und seinen Abkömmlingen, die diese Moleküle so gut Licht absorbieren lassen, sie zu Produzenten freier Radikale machen.

Freie Radikale im Verdacht

Mehreren epidemiologischen Studien zufolge scheinen Menschen, die sich ausgiebig grellem Licht aussetzen, tatsächlich häufiger an einer altersabhängigen Makula-Degeneration zu erkranken. Das unverdauliche Produkt mit dem verbrauchten Vitamin-Abkömmling könnte die Sache noch verschlimmern; denn es fördert vermutlich die Produktion freier Radikale im Pigmentepithel.

Allerdings haben sich auch Schutzmechanismen entwickelt. Spezielle körpereigene Enzyme entschärfen verschiedene freie Radikale. Außerdem enthält die Netzhaut in hoher Konzentration mehrere "Radikalfänger": zum einen die beiden Carotinoide Lutein und Zeaxanthin in der Makula, zum anderen Vitamin E in den Außensegmenten der Photorezeptoren und im Pigmentepithel. Alle drei Verbindungen entnimmt der Körper der Nahrung. Besonders reich an Lutein und Zeaxanthin sind Eidotter und Blattgemüse wie Grünkohl und Spinat; viel Vitamin E liefern unter anderem Mais, Sojabohnen und Weizenkeime.

Auf Grund dieser Erkenntnisse vermuteten manche Wissenschaftler, eine entsprechende Ernährung könne das Risiko einer senilen Makula-Degeneration senken oder ihren Ausbruch hinauszögern. Epidemiologische Untersuchungen kamen in dieser Frage indes bisher zu widersprüchlichen Ergebnissen.

Allgemein anerkannte Methoden zur Behandlung der senilen Makula-Degeneration zielen darauf ab, die von der Aderhaut her einwachsenden Blutgefäße zu zerstören, weil sie die Sehkraft am stärksten gefährden. Beim Standardverfahren, der so genannten Photokoagulation, werden die Äderchen unmittelbar unter der Netzhaut mit Laserstrahlen verödet. Das energiereiche Licht passiert die transparenten Komponenten des Auges praktisch ohne Einwirkung; aber obgleich es scharf fokussiert ist, erhitzt es außer dem Ziel auch die angrenzende Netzhaut, sodass darin punktuell irreversible Schäden entstehen. Deshalb verspricht man sich viel von einer neueren Variante, der photodynamischen Therapie. Dazu wird zunächst ein Licht absorbierender Farbstoff intravenös injiziert. Es genügt dann ein energieärmerer Laserstrahl, der aus dem so genannten Photosensibilisator große Mengen freier Radikale entstehen lässt; erst diese töten das Gefäßgewebe ab, verschonen aber die benachbarte Netzhaut weit gehend. Das Verfahren ist seit September 2000 in Deutschland zugelassen, aber nur bei bestimmten Fällen der "feuchten" Makula-Degeneration sinnvoll.

Die Netzhaut repariert sich selbst

Photokoagulation und photodynamische Therapie sind leider für mindestens neunzig Prozent aller Patienten irrelevant, da bei ihnen erst gar keine neuen Blutgefäße entstehen. Selbst bei der in Frage kommenden Gruppe können erneut Gefäße wuchern, sodass die Behandlung – wenn nötig und möglich – nach gewisser Zeit wiederholt werden muss. Darum verfolgt man zurzeit weitere, teils gänzlich andere therapeutische Ansätze. So werden, um die gefährlichen Gefäßwucherungen zu beseitigen oder zu hemmen, Methoden erprobt, die der Strahlentherapie von Krebskranken entlehnt sind. Anomale Blutgefäße sind unter Umständen auch mikrochirurgisch durch kleine Einschnitte in die Netzhaut zu entfernen.

Interessant ist ferner ein größerer chi-rurgischer Eingriff, der in Frage kommt, wenn sich die Gefäßwucherungen oder die Schäden am Pigmentepithel auf den Bereich der Sehgrube beschränken: Man löst die Netzhaut vorsichtig ab, dreht sie einige Grad um den Ursprung des Sehnervs und lässt sie wieder anwachsen. Die Stelle schärfsten Sehens liegt dann auf einem gesünderen Abschnitt des Pigmentepithels. Ohne weitere Korrektur würde das Gehirn allerdings daraufhin widersprüchliche Signale von den beiden Augen empfangen. Daher müssen an dem operierten Auge zum Ausgleich noch mehrere Muskeln so verlängert beziehungsweise verkürzt werden, dass der Augapfel sich entsprechend zurückdreht. Diese Technik wird aber erst erprobt.

Eine faszinierende Möglichkeit zeichnet sich mit Tierversuchen ab, bei denen Forscher Zellen des Pigmentepithels außerhalb des Körpers vermehren und unter der Netzhaut einpflanzen – mit großem Erfolg. Offen ist bislang, ob sich solche Zellen auch bei Menschen zuverlässig unter die Sehgrube bringen lassen, ohne dass die mikrochirurgischen Eingriffe zusätzlichen Schaden anrichten. Ob sich mit den aufgestockten Epithelzellen die Sehkraft erhalten lässt, bleibt ebenfalls abzuwarten. Zudem dürfte wie bei allen Transplantationen auch die Immunabwehr ein Problem sein. Zu umgehen wäre es, indem man nicht Zellen von Organspendern, sondern welche aus den Randbereichen der körpereigenen Netzhaut verwendete.

Manche Forscher malen sich sogar aus, die Netzhaut – die Retina – zur Selbstreparatur anzuregen. Das galt zwar lange als praktisch unmöglich, weil Retinazellen erwachsener Säugetiere durch nichts erkennen lassen, dass sie noch zu Teilungen fähig wären. Bei mehreren Fischarten aber wächst die Netzhaut während des ganzen Lebens weiter, obwohl sie ebenso kompliziert gebaut ist wie die menschliche. Der Grund dafür sind spezielle Stammzellen am Netzhautrand, die sich weiter vermehren und differenzieren. Neueren Befunden zufolge gibt es möglicherweise ähnliche Stammzellen auch am Rand der Netzhaut von Säugetieren, allerdings nur in einem Ruhezustand. Vielleicht könnte man sie aktivieren oder transplantieren, sodass sie geschädigte Bereiche der Netzhaut oder des Pigmentepithels ausbessern.

Derartige Verfahren wären jedoch so aufwendig und riskant, dass dafür wahrscheinlich nur Patienten mit schwerer, rasch fortschreitender Makula-Degeneration in Frage kämen. Für die Masse der Betroffenen sind schonendere Behandlungsmethoden wünschenswert. Gefragt sind beispielsweise Substanzen, die vor der Photooxidation durch freie Radikale schützen oder den Abbau alter Teile der Sinneszellen unterstützen. Die Entwicklung derartiger Therapeutika für die schleichend fortschreitende Form der Erkrankung mag als enorme Aufgabe erscheinen; aber wenn sich der Prozess bereits in einem frühen Stadium auch nur um zehn oder zwanzig Prozent verlangsamen ließe, wäre schon viel an Lebensqualität gewonnen.

Literaturhinweise


Altersabhängige Makuladegeneration. Von Frank G. Holz und Daniel Pauleikhoff (Hg.), Springer, Berlin 1997.

Agerelated Macular Degeneration. Von Winfried E. Alberti et al. (Hg.), Springer, Berlin 2000.


In Kürze


- Wer ein Objekt scharf und deutlich sehen will, muss die Augen so drehen, dass es auf der Sehgrube im gelben Fleck der Netzhaut abgebildet wird. Eine Degeneration des gelben Flecks – der Makula – kann dieses Areal so schädigen, dass die zentrale Sehschärfe praktisch völlig verloren geht.

- Den Erkrankungstyp bei Älteren nennt man senile oder altersabhängige Makula-Degeneration, gelegentlich auch Netzhautverkalkung. Sie betrifft etwa ein Viertel der Menschen über 75. Dabei sterben spezialisierte Zellen ab, welche die Sehzellen bei der Regeneration ihrer Sensoren unterstützen.

- Offenbar bestehen gewisse Veranlagungen für diese Alterskrankheit. Ein erster Kandidat dafür ist nun ein verändertes Gen für ein Transportprotein, das beim Recycling des Sehfarbstoffs mitwirkt.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2002, Seite 48
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.