Tagebuch: 100 Jahre Raumzeit
Schon als Schüler hatte der 16-jährige Hermann auf sich aufmerksam gemacht, als er an einem Preisausschreiben der Pariser Akademie teilnahm und mit einem Beweis einer Formel für die Anzahl der Darstellungen einer ganzen Zahl durch fünf Quadrate den Wettbewerb gewann. Die Zahlentheorie, ein Spezialgebiet der reinen Mathematik, sollte ihn sein ganzes Leben begleiten.
1902 nimmt Minkowski einen Ruf auf einen Lehrstuhl in Göttingen an. Hier beginnt er, sich auch für physikalische Probleme zu interessieren. Er vertieft sich in die mathematische Struktur der speziellen Relativitätstheorie, die von Anton Lorentz und Albert Einstein unter verschiedenen Betrachtungsweisen vorgelegt worden ist, und macht eine aufregende Entdeckung: Raum und Zeit, die uns im Alltag so unterschiedlich erscheinen und die in der klassischen Physik seit Newton als getrennte absolute Größen behandelt werden, lassen sich als zwei miteinander gekoppelte Teile eines Raumzeitkontinuums verstehen. Minkowski wird diese mathematische Konstruktion "die Welt" nennen.
Innerhalb kurzer Zeit publiziert er verschiedene Abhandlungen über eine vierdimensionale Elektrodynamik, in der sein Raumzeitkonzept zur Anwendung gelangt. Doch erst nach seinem Vortrag 1908 wird das Konzept in der Physikerszene bekannt. Albert Einstein, der den Ideen des Göttinger Mathematikers zuerst ablehnend gegenüber steht, erkennt mit der Zeit deren Eleganz und Einfachheit und wird sie später zur Grundlage seiner Theorie machen.
Am 12. Januar 1909 erlitt Hermann Minkowski einen Blinddarmdurchbruch, der zu jener Zeit noch nicht operierbar war und an dem er kurz darauf verstarb. David Hilbert, Zeitgenosse Minkowkis und einer der größten Mathematiker seiner Zeit, der neben anderem das mathematische Fundament zur Quantenmechanik legen sollte, hatte eine enge Freundschaft mit Minkowski verbunden. In seinem Nachruf schreibt er 1910:
"Seit meiner Studienzeit war mir Minkowski der beste und zuverlässigste Freund, der an mir hing mit der ganzen ihm eigenen Tiefe und Treue. Unsere Wissenschaft, die uns das liebste war, hatte uns zusammengeführt; sie erschien uns wie ein blühender Garten. ... Gern suchten wir dort auch verborgene Pfade auf und entdeckten manche neue, uns schön dünkende Aussicht, und wenn der eine dem andern sie zeigte und wir sie gemeinsam bewunderten, war unsere Freude vollkommen. ... Er war mir ein Geschenk des Himmels, wie es nur selten jemand zuteil wird, und ich muss dankbar sein, dass ich es so lange besaß. ... Jäh hat ihn der Tod von unserer Seite gerissen. Was uns aber der Tod nicht nehmen kann, das ist sein edles Bild in unserem Herzen und das Bewusstsein, dass sein Geist in uns fortwirkt."
Vera Spillner
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