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Tagebuch: Aus deutschen Gruben frisch auf den Tisch

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Seit einigen Jahren ernähre ich mich weit gehend vegetarisch. Zum einen, weil ich einem Steak oder Rollbraten wenig abgewinnen kann. Zum anderen, weil für einen vegetarischen Hamburger nur ein paar Soja-Bohnen dran glauben müssen. Ein Projektbericht der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover bestärkt mich heute in meiner Haltung. Sein Thema: „Kann die CO2-Betäubung von Schlachtschweinen tiergerecht sein?“

Wer Wurst und Fleisch aus Kühltheken kauft, ist meilenweit vom blutigen Geschäft der Schlachter entfernt, die im Akkord Tier um Tier töten. Wie heißt es doch so schön: Fleisch ist ein Stück Lebenskraft. So sauber und rein, wie es auf den Teller gelangt, hat aber bitte auch seine industrielle Fertigung zu erfolgen. Glückliche Kühe, frei laufende Hühner und sich genüsslich suhlende Schweine sollen nach einem erfüllten Leben ahnungslos auf der Schlachtbank einfach tot umfallen. Kein panisches Kreischen bitte, keine Schmerzen. Zumal die von solchen negativen Emotionen frei gesetzte Hormone Adrenalin und Nordadrenalin den Geschmack der Ware verderben.

Kein Problem, die häufigste Tötungsmethode in Großbetrieben geht so: Zwei oder mehr Tiere fahren mit einer Gondel in eine Grube hinab. Dort wartet eine mindestens achtzigprozentige Kohlendioxid-Atmosphäre – Bewusstlosigkeit stellt sich ein. Wieder oben hängen Schlachter die betäubten Tiere in ein Gestell und öffnen die großen Halsgefäße. Tod durch Sturzblutung. Humanes Sterben auf dem Schlachthof?

Leider „vergeht eine gewisse Zeit bis zur Anflutung des Gases in den entsprechenden Geweben“, so die Experten der TiHo, sodass „die Tiere in den ersten zehn bis 15 Sekunden nach Eintauchen in die Kohlendioxid-Atmosphäre offenbar erheblichen Belastungen ausgesetzt sind.“ Erkennbar ist das an Atemnot, Fluchtversuchen, Schreien. Doch nicht nur das, vor dem „Entbluteschnitt“ würden manche Schweine wieder erwachen, denn sie zeigen Reflexe.

Anhand der Stresshormone sowie verschiedener Reflexe haben die Tierärzte 460 Fälle nach den Parametern der Schlachtung bewertet. Problematisch sei demnach vor allem eine – vermutlich auf höhere Produktivität zielende – Kombination aus achtzig-, statt neunzigprozentiger Kohlendioxid-Atmosphäre, eine Verkürzung des Grubenaufenthalts auf nur siebzig Sekunden und die verlängerte Zeit bis zum Schnitt – je mehr Tiere gleichzeitig abfahren, desto länger dauert es, bis das letzte am Haken hängt. Hohe Gaskonzentration bei hundert Sekunden Exposition und kleine Gruppen scheinen zumindest das Wiedererwachen zu vermeiden. Freilich nicht das Entsetzen, das ein Lebewesen befällt, wenn es keine Luft mehr bekommt. Dagegen helfe aber Sedieren mit Argon.

Da lobe ich mir doch Soja-Hackli und Räuchertofu. Sie ersparen dem einen oder anderen Tier, artgerecht unters Messer zu kommen. „Killing them softly“? Nein, Danke.

Von Klaus-Dieter Linsmeier

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