Tagebuch: "Erlebnisland Mathematik" in Dresden

© Spektrum der Wissenschaft / Christoph Pöppe (Ausschnitt)
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Kaleidoskop zum Reinkriechen (1) | Die fünf Spiegel stehen in den Symmetrieebenen eines Dodekaeders.
Einige Exponate sind in der Tat Kopien aus Gießen. Wer auch immer seinen Kopf in das fünfeckige Loch steckt (Bild 1), findet sich vielfach reproduziert. Dass die Spiegel in den Symmetrieebenen eines Dodekaeders stehen und damit aus dem hohlen Fünfeck in der Mitte den platonischen Körper aus zwölf Fünfecken zu machen scheinen, muss dem Besucher nicht auffallen.
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Das Katenoid und der Seifenhautzylinder (2/3) | Die Seifenhaut (links) realisiert die Minimalfläche, die zwischen zwei Kreisringen eingespannt ist; Mathematiker sprechen von einem Katenoid. Und der Seifenhautzylinder (rechts) ist zwar nicht stabil, aber eindrucksvoll. Die schnell hochgezogene Seifenhaut zerplatzt nach wenigen Sekunden.
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Bernhard Ganters Turm aus Oktaedern (4) und ein binäres Zählwerk (5) | Jede Ecke des Oktaederturms (links) entspricht einem Ton, jedes Dreieck einem Dreiklang. Und das binäre Zählwerk (rechts) ist als Kugelbahn realisiert. Die beiden Stellungen jder Klappe stehen für die Ziffern 0 und 1.
Mathematisch in einem subtilen Sinn
Auf einer kreisförmigen Bahn, die eine gepolsterte Kinderspielecke umschließt, laufen Billardkugeln bergab und zählen dabei binär von 0 bis 7 (Bild 5): Jede der drei Klappen im Vordergrund hat zwei mögliche Stellungen, die als die Binärziffern 0 und 1 interpretierbar sind. Jede anrollende Kugel verändert die Stellung der ersten Klappe und setzt dabei möglicherweise ihre Vorgängerkugeln in Richtung der nächsten Klappen in Bewegung, was dem Übertrag entspricht.
Und die Aufgabe, drei Ohren an drei Hasen zu verteilen (Bild 6), ist mathematisch in einem subtilen Sinn: Es geht nicht darum, irgendetwas auszurechnen, sondern die Aufgabenstellung so umzuinterpretieren, dass es eben doch geht (Bild 7).
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Drei Hasen und nur drei Ohren (6) | Wie soll da jeder Hase zu seinem Recht kommen?
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Ach sooo! (7)
Der Besucherandrang lässt nichts zu wünschen übrig
Zweitens gab es öffentliche Fördergelder für den Aufbau eines Mathematikmuseums – mit der Auflage, es noch im Jahr der Mathematik 2008 für das Publikum zu eröffnen. Da griffen die Dresdener Professoren Bernhard Ganter und Volker Nollau zu; und da die Entwicklung guter Exponate mehr Zeit braucht, als zur Verfügung stand, kauften sie den Grundstock bei Beutelspacher. Inzwischen ist das "Erlebnisland Mathematik" bei ungefähr 50 Prozent Eigenentwicklungen angelangt, und die Kalkulation ist aufgegangen: Der Besucherandrang lässt nichts zu wünschen übrig.
Manche selbstgemachten Exponate müssen noch ein bisschen nachreifen. So fällt es Besuchern mit weniger als drei Händen schwer, an dem Oktaederturm die drei Töne eines Dreiklangs zugleich erklingen zu lassen. Und die Mechanik der binär zählenden Kugelbahn kommt mit der lebhaften und nicht ganz sachgerechten Bedienung durch die kleinen Besucher noch nicht zurecht.
Ein neues platonisches Fraktal
Am 5. September nun feierte das "Erlebnisland Mathematik" seinen ersten Geburtstag, mit Geschenken, Ansprachen, einer Zauberschau und einer großen geometrischen Bastelaktion, die zu gestalten ich die Ehre hatte. Unter tatkräftiger Beteiligung der Besucher hat an diesem Samstag ein räumliches Fraktal das Licht der Welt erblickt, das es so – soweit ich weiß – noch nicht gegeben hat: ein Sierpinski-Tetraeder aus Rhombendodekaedern.
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Das große Bastelprojekt zum 1. Geburtstag des "Erlebnislands Mathematik" ... (8)
Freunden der fraktalen Geometrie ist dessen zweidimensionaler kleiner Bruder geläufig, das Sierpinski-Dreieck. Auf ähnlichem Weg kann man auch aus den anderen platonischen Körpern recht ansehnliche räumliche Fraktale erzeugen (siehe "Neue Fraktale aus platonischen Körpern" in SdW 11/2000 und "Fraktal zum Anfassen" in SdW 3/2001).
Natürlich nicht die unendlichen Gebilde. Wer mit realen Materialien, zum Beispiel Papier, arbeitet, muss sich mit Näherungen an unendlich begnügen, zum Beispiel 3 oder 4. Aus mathematischer Sicht ist das Wesentliche nicht der Urkörper, in unserem Fall das Tetraeder, sondern die Iterationsvorschrift, also "erzeuge vier auf die Hälfte verkleinerte Kopien und verschiebe sie ein gewisses Stück in Richtung der Ecken eines Tetraeders". Im Grenzwert kommt stets dasselbe heraus, einerlei was der Urkörper ist.
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... ist ein Sierpinski-Tetraeder ... (9)
Kein Platz für herrenloses Gelände
Fügt man nun jeder Kugel ihren "Vorgarten" hinzu, das ist die Menge aller Punkte, die der Kugel näher liegen als jeder anderen Kugel der Packung, so erhält man das Rhombendodekaeder, einen Körper aus zwölf Rauten, den man sich relativ einfach aus dem Würfel entstanden denken kann. Rhombendodekaeder füllen lückenlos den Raum – die Vorgärten der Kugeln aus der Kepler-Packung lassen keinen Platz für herrenloses Gelände –, und vor allem: Sie berühren einander mit ganzen Seitenflächen! Vier Rhombendodekaeder in Tetraederanordnung klumpen so dicht zusammen, dass ihre Kontaktflächen völlig im Unsichtbaren verschwinden. Das ist gut zu basteln.
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... aus Rhombendodekaedern. (10) | Stolz präsentiert Richard Stratenschulte, Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Museumspädagogik in den Museen der Stadt Dresden, das vollendete Werk.
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Der Blick in spezieller Richtung (11)
4 ist eine bessere Näherung an unendlich als 3; deswegen soll das Gemeinschaftswerk von 43=64 auf 44=256 Einzelteile anwachsen und in diesem Ausbauzustand im Erlebnisland zur Schau gestellt werden. Wer mitbasteln will, ist herzlich eingeladen; nähere Auskünfte gibt es bei Frau Gabriel vom Museum (silke.gabriel@museen-dresden.de, 0351-488-7255).
Technische Sammlungen Dresden, Junghansstr. 1–3, 01277 Dresden, Tel 0351-488-7201, Straßenbahn 4 oder 10 oder Bus 61 bis Pohlandplatz; geöffnet Dienstag bis Freitag 9–17 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertage 10–18 Uhr, Eintritt 4 Euro, ermäßigt 3 Euro
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