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Tagebuch: Es ist dunkel im Universum

Reinhard Breuer
Mitte November auf einem Workshop an der Uni in Heidelberg: Mehrere Dutzend europäischer Experten treffen sich, um über „Das dunkle Universum“ und seine Rätsel nachzudenken (ein Link zur Veranstaltung links unter "Zum Thema"). Und davon gibt es nun genügend. Das entscheidende: Um die 95 Prozent des Inhalts unserer Universums, da sind sich die Forscher einig, besteht aus unbekannten Stoffen. „Dunkle Energie“ und „Dunkle Materie“ nennen sie diese, die wie der neue Weltäther unsichtbar das Weltall erfüllen und auf der Erde bisweilen die Köpfe verwirren. Wie der Theoretiker Christoph Wetterich von Universität Heidelberg meint: „Wir tappen buchstäblich im Dunkeln.“ (Der theoretische Physiker ist Sprecher des Sonderforschungsbereichs, in dem sich Forscher aus Bonn, Heidelberg und München, für dieses Projekt zusammengeschlossen haben.) Das hindert die Forscher natürlich nicht, sich den Kopf zu zerbrechen, ihre Satelliten nach Röntgen- und Gammastrahlen aus den Tiefen des Alls und die Supercomputer mit Simulationen nach neuen Lösungsansätzen suchen zu lassen. Auch irdische Großeteleskope in Chile, Hawaii oder in den USA tragen mit groß angelegten „Surveys“ (Durchmusterungen) dazu bei, präzise Messungen von immer mehr Himmelsobjekten aufzuzeichnen. Riesige Datenmengen nie da gewesener Qualität strömen so laufend auf die Astronomen ein – nun liegt es an ihnen, darin die Schrift der Wahrheit über unser Weltall zu entziffern.

Kosmologische Konstante

„Dunkle Energie beschleunigt die kosmische Expansion“, fasst Matthias Bartelmann (Universität Heidelberg) den mysteriösen Befund zusammen, und kämmt durch die Möglichkeiten, wo sich dieser Stoff astronomisch manifestieren könnte. Die Dunkle Energie gleiche, so berichtet Uros Seljak von der ETH Zürich jedenfalls sehr der „kosmologischen Konstante“, die einst Albert Einstein in seine Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie eingeführt und dann wieder verworfen hatte: eine auf große Abstände abstoßend wirkende Kraft, welche die anziehende Gravitationswirkung kompensieren und dominieren kann.

Die Lehre von der kosmischen Beschleunigung basiert hauptsächlich auf der Beobachtung von Sternexplosionen eines bestimmten Typs, nämlich Ia. Da diese Supernovae stets einen bekannten, fast immer gleichen Verlauf nehmen – sie erreichen alle nach rund 20 Tagen ihre größte und fast immer gleichgroße Leuchtkraft –, eignen sie sich als Entfernungsmaßstab; und die genaue Bestimmung ihrer Entfernung hat gezeigt, dass sie sich von uns weiter entfernt befinden als gedacht. Das ließ sich am Ende nur damit erklären, dass das Weltall diese Objekte schneller von uns wegträgt, als es die alten Weltmodelle nahe legten.

Da die gesamte These von der Dunklen Energie auf der Vermessung dieser Supernovae basiert, ist ihnen mit allergrößter Skepsis zu begegnen. Nur wenn dabei jede nur denkbare Fehlerquelle und alternative Erklärung glaubhaft ausgeschlossen werden kann, „steht“ die These. Der Beobachter Pierre Astier legt akribisch den Stand der Dinge dar. Etwa 300 dieser Objekte haben Astronomen in den letzten Jahren beobachtet und einen Teil davon, nämlich 71 aus den Jahren 2003 und 2004, auch bereits nach allen Regeln der Kunst ausgewertet. An der Grundaussage kann danach weiterhin kein Zweifel bestehen: Die Expansion des Kosmos beschleunigt sich. Außerdem: etwa 5 Prozent des Kosmos steckt in uns bekannter („baryonischer“) Materie, den Elementen des Periodischen Systems; weitere 25 Prozent in unbekannter („nichtbaryonischer“) Dunkler Materie, und die übrigen 70 Prozent in Dunkler Energie.

Astier hofft nun darauf, mit den Großteleskopen und diversen Beobachtungsprogrammen in Kürze insgesamt 250 nahe und 500 ferne Supernova-Sterne aufgespürt zu haben – genug, um die kosmische Beschleunigung mit noch größerer Genauigkeit vermessen zu können.

Erdbeben auf Hawaii

Nur schlechte Winter und Erdbeben könnten ihn daran hindern, meint der Franzose mit dem Wuschelkopf: Erst im Oktober habe ein Erdbeben das tonnenschwere Keck-Teleskop erschüttert und, während einer Langzeitmessung, um drei Zentimeter hoch gehoben. „Danach war die Optik dejustiert, wir mussten die ganze Messung neu aufsetzen, hatten dadurch vier Beobachtungsnächte verloren.“ Kein Wunder: Die zwei 10-Meter-Spiegelteleskope sitzen auf dem Vulkan Mauna Kea auf Hawaii. Da darf man sich nicht beklagen, wenn es auch mal im Boden rumpelt.

In der Röntgenstrahlung großer Galaxienansammlungen, den „galaxy custers“, versucht Günther Hasinger der unsichtbaren Materie auf die Schliche zu kommen. Diese müsse zwar omnipräsent aber schwach wechselwirkend sein, also nur über ihre Schwerkraft auf die bekannten Objekte im All einwirken. Das aber ist für Beobachter schlimmer als eine Nadel im Heuhaufen. „Matter – dark matter – doesn’t matter“, scherzt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik in München. Immerhin würde die Röntgenstrahlung der Galaxienhaufen Tests für eine Präzisionskosmologie ermöglichen.

Aus welcher Art Teilchen diese Dunkle Materie bestehen könnte, ist heute noch völlig offen. Denn aus kosmologischer Sicht würde als Kandidat jedes Partikel in Frage kommen, so lange es nur etwas Masse hat (um schwer zu sein) und nur schwach wechselwirkt (um nicht indirekt nachweisbar zu sein). In den Computersimulationen der kosmischen Evolution, wie sie die Theoretiker auf der Tagung vorführten, würden solche Teilchen das Universum nur ähnlich wie eine Flüssigkeit erfüllen.

So harren die Forscher gespannt auf den großen Teilchenbeschleuniger LHC am Cern in Genf. Erst mit dem „Large Hadron Collider“, der Ende nächsten Jahres in Betrieb gehen soll, könnten solche Kandidaten entdeckt werden. In den 1920er Jahren entdeckte Edwin Hubble die Galaxienflucht und damit das expandierende Universum. Fast ein Jahrhundert später, in dem sich die Kosmologie längst zu einem ziemlich präzisen Forschungsthema entwickelt hat, sind fast alle wichtigen Fragen wieder offen – untrügliches Zeichen, dass wir in einer spannenden Phase der Forschung stecken, in der neue Kreativität gefordert ist.

Reinhard Breuer

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