Tagebuch: Galaxien folgen dunkler Materie

© R Jay Gabany (Blackbird Observatory) - collaboration; D.Martínez-Delgado(IAC, MPIA), J.Peñarrubia (U.Victoria), I. Trujillo (IAC), S.Majewski (U.Virginia), M.Pohlen (Cardiff) (Ausschnitt)
© NASA (Ausschnitt)
Satellit oder nicht? | Ob die Kleine Magellan'sche Wolke eine Satellitengalaxie der Milchstraße ist, können die Forscher noch nicht endgültig entscheiden.
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Kristin Riebe | Die promovierte Astrophysikerin entwickelt Computermodelle von Satellitengalaxien, ist aber auch als wissenschaftliche Illustratorin für Spektrum der Wissenschaft tätig.
Zweifel im Publikum
Im Saal sehen das manche zwar anders. Anhänger der so genannten MoND-Theorie (Modified Newtonian Dynamics) behaupten, die von Zwicky beobachtete und seither oft bestätigte Abweichung zwischen erwartbarer Schwerkraft und beobachteter Materie könnte auf ein modifiziertes Gravitationsgesetz zurückgehen. Für Kristin Riebe ist das eher unwahrscheinlich, denn das Dunkle-Materie-Modell funktioniert ihrer Meinung nach einfach zu gut. Das hat die junge Physikerin auch in ihrer Doktorarbeit über Zwerggalaxien gezeigt. Solche Galaxien mit höchstens einem Fünftel der Größe der Hauptgalaxie werden im Verlauf der kosmischen Strukturbildung oft gravitativ von größeren Galaxien eingefangen und dann als Satellitengalaxien bezeichnet.
Unsere Milchstraße etwa besitzt mehrere solcher Satelliten, darunter die Große Magellan'sche Wolke als die größte und wohl bekannteste. Zur Zeit werde allerdings darüber debattiert, ob unsere Galaxis die Magellan'schen Wolken wirklich schon eingefangen hat. "Falls nicht, wären sie noch keine echten Satelliten", so Riebe.
© R Jay Gabany (Blackbird Observatory) – collaboration; D.Martínez-Delgado(IAC, MPIA), J. Peñarrubia (U.Victoria), I. Trujillo (IAC), S.Majewski (U.Virginia), M.Pohlen (Cardiff) (Ausschnitt)
Gezeitenstrom um NGC 5907 | Bei ihrem Umläufen um die Galaxie NGC 5907 hinterließ deren Satellitengalaxie einen Gezeitenstrom. Aufgrund der Präzession der Umlaufbahn schlingt sich das helle Band aus zurückgelassenen Sternen und Staub in immer neuen Richtungen um die Zentralgalaxie. Ob sich der Satellit bereits aufgelöst hat oder sich derzeit schlicht hinter NGC 5907 befindet, ist noch unbekannt.
Da die Bahn der Satellitengalaxie präzediert, also von Umlauf zu Umlauf einen leicht veränderten Weg einschlägt, entstehen riesige Materiebänder, die sich um die jeweilige Zentralgalaxie winden. Beobachten lasse sich ein solcher Sternstrom etwa bei der Galaxie NGC 5907, so Riebe, allerdings sei noch nicht bekannt, ob sich die Zwerggalaxie, die ihn einst hinterließ, inzwischen aufgelöst hat oder derzeit schlicht hinter NGC 5907 liegt und deshalb nicht sichtbar ist.
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Die Pfeiler des CDM-Modells | Die Folie aus dem Vortrag von Kristin Riebe fasst die Pfeiler des Cold Dark Matter Model (CDM) zusammen. Demzufolge machen Dunkle Materie und Dunkle Energie einen hohen Anteil an der Gesamtmaterie des Universums aus. Im Rahmen des CDM-Modells entstehen während der kosmischen Expansion hierarchische Materiestrukturen, die allein von den Anfangsfluktuationen eines Quantenvakuums herrühren
Dass dies auch im echten Universum so geschieht, "dafür sprechen genügend Gründe". Zum Beispiel folgt aus der hierarchischen Strukturentwicklung, dass die Galaxienhaufen erst spät entstanden sein müssen, also zu den jüngeren Strukturen im Universum gehören sollten. Und tatsächlich beobachtet man Galaxienhaufen vor allem im nahen Universum, also bei kleinerer Rotverschiebung, wärend die Astronomen in sehr großen Entfernungen eher auf einzelne Galaxien stoßen.
Eine Galaxie wird geboren
Doch wie beginnt überhaupt der Prozess der Galaxienentstehung? "Zunächst bilden sich annähernd sphärische so genannte dunkle Halos, große kugelförmige Wolken aus Dunkler Materie also. In ihnen sammelt sich nach und nach Gas an, aus dem sich Sterne bilden können – eine Galaxie wird geboren."
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Satellitengalaxien im Dunkle-Materie-Halo | Eine Galaxie ist stets in einen Halo aus dunkler Materie eingebettet. In diesem wiederum existieren Subhalos, die das Zentrum des Haupthalos umkreisen. Wenn diese Substrukturen baryonische, also sichtbare Materie enthalten, lassen sie sich mit Teleskopen entdecken. Uns erscheinen sie dann als Satellitengalaxien.
© Kristin Riebe/Arman Khalatyan (Ausschnitt)
Kosmische Strukturenbildung im Computer | CDM-Simulationen des Kosmos umfassen üblicherweise einen großen würfelförmigen Raumbereich. In diesem Fall (links) besitzt er eine Kantenlänge von 64 Megaparsec, das sind rund 210 Millionen Lichtjahre, geteilt durch den so genannten Hubble-Parameter h. Riebe griff sich für ihre Arbeit einen Kubus mit einer Kantenlänge von einem Megaparsec geteilt durch h heraus und untersuchte dort die in der Umgebung der Zentralgalaxie entstandenen Satelliten.
Mittlerweile hat sie ihren Computer aber soweit, dass er die zwei Gezeitenarme einer Sateliltengalaxie zumindest in den weniger komplexen Fällen automatisch identifiziert und unterschiedlich einfärbt.
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Gezeitenarme einer Satellitengalaxie | Riebes Software-Algorithmen gelingt es, den der Satellitengalaxie vorauseilenden Gezeitenarm von dem nachfolgenden Arm zu unterscheiden. Der in Richtung des Beobachters zeigende Arm ist in blau dargestellt.
Vernachlässigbar: die Gravitation der sichtbaren Materie
Letztlich ist die Dunkle Materie sogar so übermächtig, dass sie "die sichtbare Materie in meinen Simulationen einfach vernachlässigt" habe, sagt Riebe. "Sie ist geradezu irrelevant." Weil sich das natürlich nicht einfach behaupten lässt, überprüfte sie schließlich auch, ob sich die sichtbare Materie nicht doch auf unerwartete Weise verhält, berücksichtigte in weiteren Simulationen also auch die Physik von Gas und Sternen. "Als ich dann sah, dass die Sterne genau den Bahnen der dunklen Materie folgten, hatte ich endlich den direkten Beleg dafür, dass meine Ergebnisse grundsätzlich auch auf sichtbare Materie angewendet werden können und dass ein Dunkle-Materie-Universum die Bahnen der Satellitengalaxien sehr gut beschreibt."
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Wie aus Punkten Arme werden | Die Unterscheidung von vorauseilendem und nachfolgendem Gezeitenarm ist für einen Beobachter im Zentrum des Halos nicht einfach. Denn er beobachtet die Arme zunächst nur als helle Punkte und gegen den sphärischen Himmel projiziert. Auch in Computersimulationen helfen Algorithmen bei der Interpretation der Daten.
Stellen sich günstige Umstände ein, also hohe Dichte und geringe Temperatur, wird aus solchen Gasteilchen von einem Rechenschritt auf den nächsten ein "Sternteilchen". Dieses entspricht nicht einem einzigen Stern, sondern einem ganzen Sternhaufen, der typischerweise eine Masse von 100 000 bis zu einer Million Sonnenmassen besitzt. Weiterhin wird berücksichtigt, dass die massereichen unter ihnen – ihre Zahl wird statistisch ermittelt – heiß und hell brennen und schnell wieder als Supernova verglühen.
Ganz falsch kann das CDM-Modell nicht sein...
Die dabei entstehenden Winde, das so genannte Supernova Feedback, gehen dann in die Simulationen für das Verhalten des Gases ein. Ganz perfekt ist das Verfahren aber noch nicht: Denn noch immer entstünden in Riebes Computer keine Scheibengalaxien, die in allen physikalischen Größen mit den beobachteten Exemplaren übereinstimmen.
© Kristin Riebe (Ausschnitt)
Satellitengalaxien im Film | In dieser Computeranimation (zum Download bitte auf diese Seite wechseln) reißt eine Zentralgalaxie Sterne und Sternenstaub aus einer sie umkreisenden Satellitengalaxie. Dabei bildet sich wie in der Realität ein vorauseilender und ein nachfolgender Gezeitenarm. DM steht für Dunkle Materie, Gas für Gaswolken und Stars für einzelne Sterne. In der Animation unten rechts sind alle drei Elemente der Simulation gemeinsam dargestellt.
Die Autorin Vera Spillner ist Physikerin und promoviert zurzeit an der Universität Bonn in Philosophie.
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