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Tagebuch: Küchen- und andere Zurufe

Sollten wir titeln „Lässt sich der Klimawandel stoppen?“, wie wir kürzlich in einem Spektrum-Spezialheft taten, oder eher „So lässt sich der Klimawandel stoppen“, wie uns Markus Reiter empfahl? Oder auf der aktuellen Gehirn&Geist-Ausgabe statt „... aber oho!“ besser doch „So bleiben Sie geistig fit im Alter“? Den ehemaligen FAZ-Journalisten und heutigen Medienberater aus Stuttgart hatten wir eingeladen, uns einen Workshop über Kleintexte zu gestalten. Alle Redakteure der fünf Print-Zeitschriften des Spektrum-Verlags (Spektrum der Wissenschaft, Gehirn&Geist, Astronomie Heute, Abenteuer Archäologie, Sterne und Weltraum) waren zusammengekommen, um zu sehen, ob sie über Kleintexte („Unser täglich Brot“) tatsächlich etwas noch nicht wussten.

Wie jeder Journalist weiß, entscheidet sich häufig an Überschrift, Vorspann und Bildunterschrift, ob ein bestimmter Artikel gelesen – oder ein Magazin letztlich wieder gekauft wird. Reiter kennt sein Metier, hat in vielen „Relaunches“ (Neugestaltungen) Zeitschriften aufgefrischt. Mit einer äußerst nützlichen Mischung aus allgemeinen Regeln (etwa zur Kunst des Vorspanns) und konkreten Übungen (wir fühlten uns bisweilen wie in einer Schulklasse) durften wir Beispiele aus fremden Magazinen betexten. Seine vielleicht wichtigste Botschaft: Jeder Artikel sollte, genau!, eine knappe Botschaft haben, die sich in einem Satz weitererzählen lässt. Der frühere Stern-Chefredakteur Henri Nannen hat das einst den „Küchenzuruf“ genannt – Papi sitzt auf dem Sofa, liest die Zeitung und ruft seiner Frau in der Küche zu: „Hör mal, die Russen haben da eine neue Raumstation gebaut!“ Und Küchenzurufe sollten in Titel oder Vorspann auftauchen.

Aber auch die „Heftkritik“ kam nicht zu kurz. So ermunterte Markus Reiter uns, attraktive Themen auf der Titelseite nicht unter Wert zu verkaufen. „Nicht mit Reizen geizen!“ Aus unserer Verlagsproduktion der letzten Monate hatte der Stuttgarter sich beispielhaft Höhen und Tiefen herausgepickt und kritisch gewürdigt – manches Gesicht wurden da zwischendurch etwas länger. Aber über solch kleine schmerzliche Stiche konnte Markus Reiter unser Problembewusstsein schärfen – und uns damit unser Handwerk aufpolieren. Und so systematisch reflektiert, haben wir alle etwas gelernt, obwohl wir doch schon „alles“ dazu wussten. Denn die nächste Titelzeile ist die schwerste. Und mancher Küchenzuruf über Küchenzurufe wird uns im Gedächtnis bleiben.

Reinhard Breuer

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