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Tagebuch: Schwerelosigkeitsexperimente auf Texus 44: Der Count-down läuft

In Kiruna hat das Zittern begonnen. Ursache dafür sind allerdings weniger die niedrigen Temperaturen. Minus 10 Grad Celsius dürften keinen der kälteerprobten Einwohner der nördlichsten Stadt Schwedens wirklich umwerfen. Grund zum Bangen gibt es vor allem auf dem Gelände des Raketenstartplatzes Esrange (European Space Range), etwa 45 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt und 150 Kilometer nördlich des Polarkreises gelegen. Dort fiebern Techniker und Wissenschaftler seit einigen Tagen dem Start von Texus 44 entgegen. Eigentlich hätte die Forschungsrakete von DLR und Esa schon am frühen Donnerstagmorgen abheben sollen, doch eine Sturmfront aus westlicher Richtung verhinderte den „Launch“.
Blick auf Esrange | Der zivile Raketenstartplatz Esrange (European Space Range) liegt etwa 45 Kilometer östlich der schwedischen Stadt Kiruna. Er dient als Startplatz für europäische Forschungsraketen und Stratosphärenballone. Zu erkennen ist das Kontrollzentrum (links) sowie das so genannte Blockhaus (Mitte), aus dem die Rakete Texus 44 gestartet wird.
Dabei schienen die Bedingungen Tags zuvor noch günstig: Gegen 12 Uhr Mittag hatten zwei wissenschaftliche Mitarbeiter von Esrange einen ersten Wetterballon auf Erkundungsreise geschickt. Seine Aufgabe: die Windverhältnisse in verschiedenen Schichten der Atmosphäre auszukundschaften. Denn sind sie erst einmal abgeschossen, verfolgen die Texus-Forschungsraketen einen exakt vorab berechneten Kurs, der einer Parabel gleicht. Texus 44 soll ihren Scheitelpunkt in etwa 250 Kilometer Höhe erreichen – bevor die Nutzlast samt der wissenschaftlichen Experimente zurück zum Boden stürzt. Ein Fallschirm bremst deren Fall fünf Kilometer über dem Erdboden dann wieder ab.
Start des Wetterballons | Mit Hilfe der Wetterballone erkunden die Mitarbeiter der Esrange die Windverhältnisse in den oberen Schichten der Atmosphäre. Weil die Luftdichte mit zunehmender Höhe abnimmt, dehnt sich der Ballon allmählich auf das vierfache seiner ursprünglichen Größe aus – bis er schließlich platzt und die Messapparatur auf den Boden stürzt, sodass sie geborgen und ausgewertet werden kann.
Am frühen Donnerstagmorgen hatte allerdings ein aus westlicher Richtung heranströmendes Sturmtief das Gebiet um Kiruna erfasst, wie Messungen eines zweiten Wetterballons ergaben. Um dennoch das anvisierte (unbewohnte) Landegebiet zu erreichen, hätte der Abschusswinkel der Startrampe verändert werden müssen. In diesem Fall hätte Texus 44 die vorgeschriebene parabelförmige Flugform aber nicht mehr erreicht. Die Alternative: ein neues Zielgebiet. Dafür wiederum waren die Informationen über die dort herrschenden Windverhältnisse zu spärlich – ein unkalkulierbares Risiko.

Der Count-down wurde deshalb abgebrochen – sehr zur Enttäuschung der beteiligten Wissenschaftler. Insgesamt sind allein auf Texus 44 sechs Experimente aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen geplant – von materialwissenschaftlichen Untersuchungen bis hin zur Pflanzenforschung. Für ihre Forschungszwecke erreichen die Raketen ideale Bedingungen, denn während des parabelförmigen Flugs herrscht für etwa sechs Minuten annähernde Schwerelosigkeit.Biologen um Dieter Volkmann von der Universität Bonn zum Beispiel untersuchen mit ihrem Experiment die Schwerkraftwahrnehmung von Pflanzen. Dafür, dass diese die Schwerkraft „spüren“, sorgen spezielle Zellen in der Wurzelspitze, die schon bei geringsten Veränderungen biochemische Prozesse auslösen und damit auch das Wachstum der Wurzel beeinflussen. Die Wissenschaftler wollen diese Vorgänge nun genauer untersuchen. „Gegenüber anderen Möglichkeiten zur Forschung in der Schwerelosigkeit hat Texus zwei Vorteile“, sagt Volkmann. „Im Vergleich zu Parabelflügen lassen sich die Auswirkungen der Schwerelosigkeit intensiver untersuchen, weil die Phase der Mikrogravitation länger ist. Und anders als bei Shuttle-Flügen lassen sich die Proben noch bis etwa zwei Stunden vor dem Start behandeln.“

Noch müssen seine Maisgewächse und die Ackerschmalpflanze allerdings am Boden bleiben. Doch in wenigen Stunden könnte es soweit sein ...

Christoph Marty

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