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Tagebuch: David Foster Wallace (1962–2008)

Vor wenigen Tagen starb überraschend der US-amerikanische Autor D. F. Wallace, ein Literat, der sich für Mathematik und Naturwissenschaften interessierte. Solche Interessenkonstellationen sind nicht die Regel; Georg Büchner, Robert Musil, Primo Levi sind eher seltene Beispiele für Schriftsteller, in deren Werk die Wissenschaft nicht nur als Stoff vorkommt, sondern auch die literarische Form prägt.

Diese Autoren haben es schwer; ihr angestrengter Spagat über die Kluft zwischen den berühmt-berüchtigten "zwei Kulturen" wirkt leicht unästhetisch. Schöngeister rümpfen die Nase, Liebhaber traditioneller Romane sprechen von literarischem Scheitern.

D. F. Wallace versuchte eine riskante Literatur auf der Höhe der Zeit. Bei ihm kommt die Hektik des Zappens zwischen unzähligen Fernsehprogrammen zu Wort, der reflexhafte Konsum, die kommerzialisierte Politik, die verzweifelte, hartnäckige Arbeit an Texten, die sich gegen das Verschwinden in den Pixeltornados der audiovisuellen Epoche stemmen.

Außerdem wagte er ein Buch über das Unendliche, mit der Infinitesimalrechnung als Sujet und dem Mengentheoretiker Georg Cantor als Hauptfigur. Dafür erntete Wallace respektvolles Murmeln in den Feuilletons, aber entsetztes Kopfschütteln unter Experten, sofern sie von dem gescheiterten Versuch überhaupt Notiz nahmen. Eine Rezension steht in der kommenden Oktobernummer von "Spektrum der Wissenschaft".

Um diesen geradezu tollkühn modernen Autor, der einen frühen Freitod wählte, ist es unendlich schade. Die deutsche Übersetzung seines monströsen Hauptwerks "Infinite Jest" (Unendlicher Scherz) wird er nicht mehr erleben.

Michael Springer

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