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Tagebuch: "Viele einfache Fragen sind noch nicht beantwortet!"

Jürgen Wolfrum und Wolfgang Ketterle
Mitte Oktober im großen Chemiehörsaal der Universität Heidelberg: Wolfgang Ketterle hält den Festvortrag zum 70. Geburtstag von Jürgen Wolfrum. Bei dem Heidelberger Physikochemiker hatte Ketterle, Nobelpreisträger in Physik 2001, als Postdoc einige Jahre über Verbrennungsprozesse gearbeitet, bevor er 1990 ans Massachusetts Institute of Technology wechselte – "von hohen zu den tiefsten Temperaturen", wie Ketterle sagt. Dort gelangen ihm bald die Erzeugung und Charakterisierung eines neuen Zustands der Materie: des so genannten Bose-Einstein-Kondensats ("Vom Bose-Einstein-Kondensat zum Atomlaser", SdW 11/1996).

Jubilar Jürgen Wolfrum mit Wolfgang Ketterle | Nach dem Festvortrag: Wolfgang Ketterle (rechts), 2001 für seine Arbeiten über Bose-Einstein-Kondensate mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, im Gespräch mit Jürgen Wolfrum, bei dem er in Heidelberg einige Jahre über Verbrennungsprozesse gearbeitet hatte.
Wie genau Ketterle sein Durchbruch gelang und was es mit diesem Zustand auf sich hat, berichtet der Physiker in einem großen Interview im kommenden Novemberheft von "Spektrum der Wissenschaft". (Das Porträt läuft in unserer Serie, in der wir jeden zweiten Monat einen großen Forscher präsentieren, zuletzt den Hirnforscher Wolf Singer im Septemberheft.)

Ketterle nun bei seinem Vortrag zu beobachten, bereitet mir ein reines Vergnügen. Er tritt locker auf, ganz amerikanischer Redestil, der zu seinem noch immer jungenhaften Charme passt. Er bemüht sich offensichtlich um Verständlichkeit, fragt in den rammelvollen großen Hörsaal hinein, wer denn etwa keine Vorlesung "Quantenmechanik I" gehört habe. Als sich zaghaft doch eine Reihe von Händen heben, schluckt er kurz, versucht dann aber tatsächlich, die bisweilen haarsträubenden Fakten seiner Physikexperimente am absoluten Nullpunkt sehr anschaulich zu erklären.

Und was ich dabei lerne, obwohl ich auch mal Physik studiert habe, ist die enge Verbindung von Supraleitung, erklärt durch die so genannte BCS-Theorie, und den Bose-Einstein-Kondensaten. Eigentlich, so erklärt Ketterle dem staunenden Publikum, handelt es sich um zwei Extreme einer einzigen Phänomengruppe, mit allen Zwischenformen. Das Bild von den tanzenden Molekülen, die sich mal mehr oder weniger innig paarweise oder umeinander bewegen, bleibt mir im Gedächtnis.

Doch Poesie hat der Physiker weniger im Sinn. Was er sucht, sind ganz konkret neue Werkstoffe und, als Fernziel, eine Erklärung für die auch nach 20 Jahren noch immer unverstandene Hochtemperatur-Supraleitung, HTSL. In der Dezemberausgabe von Spektrum werden wir übrigens über den neuesten Stand dieses "heißen" Themas berichten.

Magnetfelder faszinieren Ketterle seit einigen Jahren – und ferromagnetische Substanzen. Das sind Festkörper, die bei angelegtem äußerem Magnetfeld selbst magnetisch werden und wo in ganzen Bezirken die Elementarmagnete sich jeweils in der gleichen Richtung anordnen. Ich wollte es kaum glauben, aber in offenbar äußerst diffizilen Experimenten versucht er nicht Festkörper, sondern Gase zu erzeugen, die ferromagnetisch reagieren.

"Es sind solche einfachen Fragen, die noch nicht geklärt sind", sagt der Physiker bescheiden. Noch hat er dieses Ziel trotz Teilresultaten nicht erreicht. Aber wenn Wolfgang Ketterle damit Erfolg hat und vielleicht auch dem Rätsel der HTSL näher kommt, dann ist sicher wieder einmal ein großer Preis fällig.

Reinhard Breuer,
Chefredakteur

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