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Tagebuch: Wann kriege ich eine neue Uhr?

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Meine letzte Armbanduhr habe ich kürzlich bei einer Tankstelle erstanden. Für ein paar Euro so genannter Zuzahlung und vermutlich also für treues Tanken bekam ich das gute Stück, das seitdem klaglos seinen Dienst tut und mir allzeit die exakte Zeit verrät. Wirklich exakt? Natürlich nicht. Typische Armbanduhren mit Quarzlaufwerk weichen vom rechten Gang in 300 Jahren etwa um eine Sekunde ab. Das muss einen im Alltag nicht unbedingt irritieren, solange man nur mit Blumen in der Hand rechtzeitig zum Stelldichein eintreffen will. Aber für die Forschung wäre eine solche Ungenauigkeit schlichtweg unerträglich. Kürzlich hörte ich dem französischen Zeit-Physiker Christoph Salamon zu, der in einem Kolloquium die Bedürfnisse und Möglichkeiten moderner Zeitmessung berichtete. Der Forschungsdirektor vom CNRS in Paris zeigte die atemberaubende Steigerung der Ganggenauigkeit von Uhren: zu Galileis Zeiten noch mit einer Ungenauigkeit von täglich 50 Sekunden, im Jahr 2000 mit höchstens zehn Pikosekunden, also um eine Hundertmilliardstel Sekunde. Da liegt ein Faktor von hundert Milliarden dazwischen. Seit 1967 ist die Länge einer Sekunde festgelegt als – Vorsicht, bitte kurz festhalten! – 9 192 631 770 Perioden einer Strahlung, die aus dem Übergang zweier Hyperfeingrundzustände des Atoms Cäsiums-133 entsteht. Bis dahin galt eine „terrestrische“ Konvention: Man teile einen mittleren Sonnetag durch 86 400 und erhalte eine Sekunde. Heute ein Graus für Physiker, die sich lieber an Fundamentalkonstanten halten. Nur die Einheit der Masse ist bis heute dem „Pariser Urkilogramm“ verpflichtet, ein Ärgernis.

Diracs paradoxe Idee: Wie konstant ist konstant?
Mit der Cäsium-Definition leben Forschung und Technik seitdem eigentlich ganz gut, mit einer relativen Genauigkeit von 10–15, was eine jährliche Gangstabilität bis auf eine Hundertmillionstelsekunde garantiert. Aber die Gier nach mehr Präzision wuchs natürlich in den letzten vier Jahrzehnten. Kosmologen zum Beispiel untersuchen die Konstanz der fundamentalen Naturkonstanten – eigentlich eine paradoxe Idee von Dirac, aber man kann ja mal nachmessen! Die Stringtheorie lässt eine Änderung etwa der berühmten Feinstrukturkonstante Alpha um 10–16 pro Jahr erwarten. Bald können die kosmologischen Tests mit Labortests konkurrieren.

Die Sekunde kommt in die Jahre
Hochpräzise Zeitmessungen verschärfen auch gängige Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie. Auf Satelliten postierte Uhren sollen bis 2015 die Erdoberfläche auf 10 Zentimeter genau vermessen. Das lässt die „Sekunde“ nicht unberührt. Salomon: „Ein neuer Zeitstandard wird diskutiert.“ Das Cäsium-133 könnte demnach bald ausgedient haben, ein Aluminiumatom könnte folgen. Das würde die Genauigkeit des Cäsium-Zeitstandards noch mal um das Zehnfache steigern. Immerhin: Aus Aluminium ist meine Armbanduhr schon heute!

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