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Tagebuch: Wie groß ist das Proton?

Theodor Hänsch
Theodor Hänsch beim Kolloquiumsvortrag in Heidelberg | In der Stadt am Neckar hatte Theodor Hänsch das Gymnasium besucht, studiert und promoviert. Für einen Vortrag kehrte er an die Stätten seiner Anfänge zurück.
In Heidelberg hat er das Gymnasium besucht, studiert und auch promoviert. Theodor Hänsch freut sich sichtlich, an die Stätten seiner Anfänge zurückzukehren. Im alten Hörsaal des Physikalischen Instituts spricht der Nobelpreisträger für Physik von 2005 über die "Spektroskopie des Wasserstoffatoms".

"Hier hörte ich meine erste Physikvorlesungen", beginnt Hänsch seinen Vortrag. "Der Hörsaal war – wie heute – gerammelt voll." Da habe der Professor gesagt: "Wenn Sie alle reingehen, werden nicht alle reingehen. Aber wenn Sie nicht alle reingehen, werden alle reingehen." Und Hänsch grinst vergnügt wie nur jemand, dem man ansieht, dass er mit den Dingen spielerisch mit Humor und kreativ umgeht. Der fast Siebzigjährige wirkt in allem jugendlich und sprüht vor Ideen. Dass er auch nach seinem Nobelpreis, der für viele das Ende ihrer wissenschaftlichen Arbeit bedeutet, noch weiter hochkarätige Forschung macht und nach einer Sonderregelung auch über den "Ruhestand" von 65 hinaus machen darf, überrascht da nicht mehr.

Nach der Promotion in Laserphysik ging er zu Arthur L. Schawlow an die Standford University. Der Laserphysiker, der selbst 1981 den Physik-Nobelpreis erhalten sollte, pflegte auf den Fluren seine Mitarbeiter mit der Frage zu quälen: "Was hast Du entdeckt?" Das ließ sich der junge Postdoc aus Deutschland nicht zweimal sagen – und schon 1973 wurden er und Schawlow für ihre laserphysikalischen Forschungen als "California Scientist of the Year“ ausgezeichnet. Aber heute geht es ja um den Wasserstoff. "Wasserstoff ist der Rosettastein der Spektroskopie", sagte Hänsch; auch ein Kollege hatte ihm zugeraten, es reiche, die Spektroskopie des Wasserstoffs zu machen, um gute Physik zu betreiben.

Arbeitspferd der Spektroskopen

In der Tat ist die moderne Spektroskopie ohne dieses Arbeitspferd undenkbar. Die Beschreibung der Linien im Wasserstoff-Spektrum leisteten zuerst Balmer und Rydberg. Letzterer zeigte im Jahr 1895, wie sich die Frequenzen der Spektrallinien in eine simple Formel packen ließen:

f = R × (1/m2 – 1/n2)

Mit m = 1,2,3, ... und n = m+1, m+3, ... für m = 2 und n = 3,4,5, ... reproduzierte diese Formel, in der f für die Frequenz und R für die Rydbergkonstante steht, das vorher schon bekannte Resultat für die Balmer-Linien.

Ende des 19. Jahrhunderts lieferten diese Ergebnisse dem Dänen Niels Bohr die Vorlage, um sie in seinem Atommodell zu erklären und damit die junge Quantenphysik voranzutreiben. Weitere Stationen des Wasserstoff-Rosettasteins markieren die Vorhersage von Antiteilchen durch Dirac sowie 1947 die Entdeckung der so genannten Lambshift mit Hilfe der Quantenelektrodynamik, ein Feinstruktureffekt in den Elektronenbahnen von Atomen.

Hänsch erklärt das Prinzip des von ihm entwickelten Frequenzkamms.
Was Theodor "Ted" Hänsch als nächstes gelang, sollte ihm 2005 den Nobelpreis für Physik einbringen: Er entwickelte den so genannten Frequenzkamm. Kurz gesagt gelang es dem Heidelberger Physiker, eine Messeinrichtung für die hochgenaue Messung von Frequenzen per Interferenz zu konstruieren. Das lag natürlich voll auf der Linie seines Lehrers Schawlow, der einmal gesagt hatte: "Messe niemals etwas anderes als Frequenzen!"

Dieses Präzisionsinstrument erlaubte zum ersten Mal, Frequenzen mit einer Genauigkeit von 10-15 zu bestimmen. Die Anwendungen des Hänsch-Verfahrens sind heute unüberschaubar geworden. In seinem Vortrag zeigte der Max-Planck-Direktor einen Evolutionsbaum neuester Anwendungen – von Messtechnik zur Eichung ultrapräziser Atomuhren über Längenbestimmungen bis hin zur Messung von Fundamentalkonstanten der Natur.

Evolutionsbaum neuester Anwendungen | Die neuesten Anwendungen von Frequenzkämmen reichen von der Eichung ultrapräziser Atomuhren über Längenbestimmungen bis hin zur Messung von Fundamentalkonstanten der Natur. Unter anderem gelang Hänsch mit dieser Methode eine verbesserte Messung des Protonenradius.
Gerade zu letzterem Thema gelang es Hänsch und einer großen internationalen Team im letzten Jahr ein schier unglaubliches Ergebnis: eine Neuvermessung des Protonenradius. Es bereitete Hänsch sichtbar Vergnügen, seine Entdeckung dem atemlosen Heidelberger Publikum nachzuerzählen.

In Wahrheit ziemlich starker Tobak

Das Ganze führt zurück auf die Ursprünge der Spektroskopie am Wasserstoff. In der genannten Formel taucht entscheidend die Rydbergkonstante auf. Wie Theoretiker seit dem Jahre 1996 berechneten, hängt der Wert dieser Konstante auf raffinierte Weise vom Protonenradius ab. Was Hänsch in seiner Arbeit zusammen mit vielen Kollegen zeigte: Das Proton, genauer: sein Ladungsradius, scheint um 0,00000000000003 Millimeter kleiner zu sein als die Forscher bis dahin dachten (Nature Band 466, Seite 213-216, 8. Juni 2010).

Das mag wie eine Bagatelle aussehen, ist aber in Wahrheit ziemlich starker Tobak. Der Protonenradius war aufgrund von Experimenten zur Elektron-Proton-Streuung bis letztes Jahr nur bis auf ein bis zwei Prozent Genauigkeit bekannt – ohnehin unüblich für eine Fundamentalkonstante. Der neue Messwert lag nun sogar außerhalb dieses breiten Wertebereichs; das hätte jeder Physiker für unmöglich gehalten. Schließlich ist der Protondurchmesser seit den 1960er Jahren in Hunderten von Experimenten immer wieder auf knapp einen Femtometer (10-15) bestimmt worden.

Um den Messwert für den Protonenradius zu verbessern, ging Hänsch dazu über, anstatt gewöhnlichem Wasserstoff (mit einem Proton und einem Elektron) so genannten myonischen Wasserstoff für seine Messungen zu verwenden. Darin wird das Proton nicht von einem Elektron, sondern dem 200 mal schwereren Myon umkreist. Das hat nicht nur den Vorteil, dass das Atom 200 mal kleiner ist. Wichtiger noch: In den kompakteren Atomen kann das Myon stärker als das Elektron auf das Proton reagieren.

Nun sind Myonen ziemlich flüchtige Objekte: Sie müssen aufwendig in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden und zerfallen bereits nach zwei Mikrosekunden wieder. Die Forscher produzierten also Myonen in einem Beschleuniger und lenkten sie in eine Gaskammer, die mit Wasserstoff gefüllt war. Atome, bei denen das Elektron im Verlauf des Beschusses durch ein Myon ersetzt worden war, filterten sie heraus. Diese Prozedur dauerte fast eine Mikrosekunde. In der verbleibenden Mikrosekunde begann dann die eigentliche Arbeit.

Vielleicht trauen sie der Sache noch nicht

Doch trotz aller Mühen konnten die Forscher das erwünschte Messsignal nicht finden. 2005 drohte daher schon das "Aus" für die Experimente. Doch dann erhielt Hänsch plötzlich den Nobelpreis, "and that made them reconsider", erzählt er schmunzelnd. Mit dem Mut der Verzweiflung begannen die Forscher damals auch außerhalb ihres Beobachtungsfensters, das rund um den bisherigen Standardwert lag, zu suchen. Und dann passierte es: Ein wunderschönes Signal zeichnet sich in den Daten ab.

Doch der Wert wich so deutlich vom Standard ab, dass die Forscher ins Grübeln kamen. Der Protonenradius lag nun nicht mehr bei 0,8768(69) Femtometern,so behaupteten sie, sondern in Wahrheit bei 0,84184(67) Femtometern. "Entweder muss die Rydbergkonstante geändert werden", folgerten sie, "oder die Berechnungen des normalen und des myonischen Wasserstoffs sind ungenügend."

Spannend ist das Ergebnis in jedem Fall, zumal sich hinter der kleinen Differenz ein großes Problem der Quantenphysik verstecken kann. Das sehen wohl auch andere so. "Unser Wert ist bisher nicht offiziell anerkannt", sagt Hänsch. "Vielleicht trauen sie der Sache noch nicht."

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