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Teilchenphysik: Dunkle Materie im Zwiespalt

Einige Experimentatoren schließen die Existenz der WIMP-Teilchen in gewissen Energiebereichen aus. Andere wollen sie gerade dort nachgewiesen haben, formulieren ihre Funde aber vorerst zurückhaltend. Eine Klärung des Widerspruchs steht wohl noch länger aus.
Das Herzstück des CRESST-II-Detektors
Die Suche nach der Dunklen Materie scheint derzeit in einem Dilemma zu stecken: Die Betreiber des nunmehr dritten Großexperiments melden ein positives Zwischenergebnis. CRESST, Akronym für Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers, hat seine Daten aus den letzten zwei Jahren vorgestellt. Demnach sind zwischen Juni 2009 und April 2011 insgesamt 67 verdächtige Streuereignisse registriert worden [1]. Zumindest ein Teil davon könnten Teilchen der Dunklen Materie, genannt WIMPs, sein, die mit einem Detektoratom kollidierten. Allerdings steht diese Schlussfolgerung im Widerspruch zu den Ergebnissen von anderen Großversuchen, darunter XENON. Denn erst kürzlich hat der aktuelle XENON100-Aufbau mit verbesserter Statistik WIMPs in gerade jenem Energiebereich ausgeschlossen, in dem nun laut CRESST am wahrscheinlichsten liegen.

Die Existenz der Dunklen Materie wurde schon in den 1930er Jahren anhand von Galaxienbeobachtungen postuliert. Deren Außenbereiche rotieren so schnell, dass sie von der Fliehkraft eigentlich weggerissen werden müssten. Da dies nicht geschieht, muss es in den Galaxien offenbar noch weitere – dunkle – anziehende Masse geben.

Illustration der Dunklen Materie im System Abell 520 | So müsste die Dunkle Materie – dargestellt in blau – verteilt sein. Im System Abell 520 sind zwei Galaxiencluster kollidiert. Die Zeichnung stellt die einzelnen Galaxien gelblich dar, heißes Gas rot und die Dunkle Materie blau.
Da auch die Menge an nicht strahlenden astronomischen Körpern (so genannten MACHOs) die beobachtete Massendifferenz nicht überbrücken konnte, entstand bald die Idee, dass es sich bei der Dunklen Materie um bisher unbekannte Elementarteilchen handelt. Und auch in der Welt des ganz Kleinen, in der Elementarteilchenphysik, würden diese Teilchen eine noch bestehende Lücke in der Theorie der Supersymmetrie schließen. Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass wir nur vier bis fünf Prozent unseres Universums kennen. Etwa 73 Prozent dagegen sind dunkle Energie und die verbleibenden rund 23 Prozent Dunkle Materie. Die Teilchen der Dunklen Materie nannte man kurzerhand WIMPs: Weakly Interacting Massive Particles – schwach wechselwirkende, massereiche Teilchen. Und sucht seither nach ihnen.

Interaktionsscheue WIMPs

Denn sie aufzuspüren ist nicht trivial. WIMPs passieren die meiste Materie, ohne mit ihr zu interagieren. Ohne Interaktion kann es jedoch keine Detektion geben. Die Versuchsaufbauten sind daher oft riesig und tief unter der Erde, um von der Hintergrundstrahlung abgeschirmt zu sein, die sonst die wenigen WIMP-Ereignisse überdecken würde. Drei solcher Großversuche befinden sich in den Tiefen des Bergmassivs Gran Sasso in Mittelitalien. CRESST ist eines davon und steht zusammen mit DAMA/LIBRA (DArk MAtter/Large sodium Iodide Bulk for RAre processes) und XENON in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso.

Jeder dieser Versuche setzt auf etwas andere Prinzipien oder Materialien zur Detektion der WIMPs. Beim aktuellen Aufbau CRESST-II sind es bis zu 33 Kalziumwolframat-Kristalle (CaWO4), acht davon sind nun ausgewertet worden. Trifft ein WIMP auf eines der Kalzium-, Wolfram- oder Sauerstoffatome, entstehen erstens leichte Vibrationen im Kristallgitter – Phononen – und zweitens elektromagnetische Strahlungsquanten – Photonen. Das besondere an CRESST-II: Phononen und Photonen werden getrennt registriert und das Energienverhältnis genutzt, um die registrierten Ereignisse vorzusortieren. Denn auf ein potentielles WIMP kommen tausende, wenn nicht Millionen bekannter Phänomene wie Hintergrundstrahlung, radioaktive Ereignisse und freie Neutronen. Die allermeisten davon liegen allerdings nicht im für WIMPs angenommenen Phonon-zu-Photon-Verhältnisbereich und können auf diese Weise schnell ausgeschlossen werden.

Das Herzstück des CRESST-II-Detektors | mit Platz für bis zu 33 Kalziumwolframat-Kristallen. Hier wird er im Frühjahr 2009 für den zweijährigen Messlauf vorbereitet, der mittlerweile beendet ist.
Übrig blieben den Wissenschaftlern auf diese Art 67 Stoßereignisse, die in den angenommenen Verhältnisbereich fielen. Doch auch davon könnten etliche, wenn nicht gar alle, vom Hintergrund herrühren. Die Wissenschaftler rechneten daher die statistische Wahrscheinlichkeit aller bekannten Hintergrundereignisse durch. Ihr Ergebnis: Nur etwa die Hälfte der 67 Ereignisse sind bekannten Teilchen zuzuschreiben. Die andere Hälfte, so argumentieren die CRESST-Forscher, könnten daher WIMPs sein.

Doch die beteiligten Wissenschaftler geben sich weiterhin vorsichtig: "Wir behaupten nicht, dass wir Dunkle-Materie-Teilchen gefunden haben. Wir sind von den Ergebnissen fasziniert, aber sie sind noch nicht definitiv", sagt Leo Stodolsky, Gründer des CRESST-Projekts.

Drei Hinweise sind noch kein Beweis

Nun ist CRESST nicht der erste Versuch, der die Teilchen der Dunkle Materie detektiert haben will. Schon zuvor hatten die beiden Großexperimente DaMa/LIBRA sowie CoGeNT (Coherent Germanium Neutrino Technology) am Pacific Northwest National Laboratory im US-Bundesstaat Washington positive Hinweise registriert. Jedoch: Die beiden weiteren Aufbauten XENON100 und CDMSII (Cryogenic Dark Matter Search II), Letzterer in Minnesota, USA, haben nichts oder nicht viel bemerkt.

Man könnte meinen, es stünde nun drei gegen zwei – oder sogar vier gegen einen, da sogar CDMSII zwei Signale gesehen hat, die eventuell mehr sind als bloßer Hintergrund. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn die Experimentatoren von XENON100 sind sich sicher, dass wenn die CRESST-Ergebnisse stimmten, sie ebenfalls Teilchen hätten messen müssen [2]. Das Ausbleiben von Streuereignissen bei XENON100 kann für sie nur bedeuten, dass WIMPs, wenn sie existieren, in einem gewissen Verhältnisbereich von Masse und Wirkungsquerschnitt der Teilchen auszuschließen sind. Und mit jeder Verbesserung des XENON-Experiments werden die Grenzen dieses ausgeschlossenen Bereichs sicherer. Irritierenderweise haben die drei anderen Experimente ihre positiven Funde genau in diesem verbotenen Bereich gemacht.

Wie lässt sich das erklären? Im Moment noch gar nicht, und die CRESST-Wissenschaftler versuchen es nicht einmal. "Wir berichten nur, was wir gesehen haben", meint Stodolsky. Tatsächlich wurde die Vorstellung der neuen CRESST-Ergebnisse schon seit einer Weile von Teilchenphysikern erwartet. Nun wird rege darüber diskutiert. Allgemein ist man erfreut, dass die CRESST-Kollaboration ihre Ergebnisse mit Vorsicht präsentiert. Auch wenn nun weiterhin alles offen zu sein scheint. "Jedes der Experimente", so Stodolsky weiter, "hat seine Vor- und Nachteile. Wir brauchen einfach mehr Daten, um entscheiden zu können, wer Recht hat."

Lieber experimentelle Weiterentwicklungen als eine neue Theorie

In diesem letzten Punkt sind sich die Wissenschaftler einig. Die verschiedenen WIMP-Detektoren werden daher ständig erweitert und verbessert. Marc Schumann, Wissenschaftler an der Universität Zürich und Teil der XENON-Kollaboration, erklärt, dass ein optimaler Detektor für Dunkle Materie einen möglichst niedrigen Hintergrund an Nicht-WIMP-Teilchen messen sollte. Er ist deshalb stolz auf den XENON100-Detektor, der ihmzufolge etwa hundert Mal weniger Hintergrundereignisse registriert als DAMA, CoGeNT und CRESST. "Außerdem", so Schumann, "sollte ein Detektor möglichst zwischen WIMP, also Signal, und Hintergrund unterscheiden können."

Diesen zweiten Punkt erfüllt CRESST. Und an einem niedrigeren Hintergrund arbeiten die CRESST-Forscher aktuell. Ein Problem sind die Halterungen der Kalziumwolframat-Kristalle. Sie enthalten winzige Verunreinigungen mit radioaktiven Materialien. Daher werden derzeit neue Klammern hergestellt, deren Produktionsschritte penibel überwacht werden. Noch dieses Jahr sollen sie die bisherigen Halter ersetzen.

"Wenn die gemessenen Ereignisse auch im nächsten Durchgang noch da sind, wissen wir mehr", sagt Jens Schmaler, der zusammen mit Stodolsky an den Messungen von CRESST beteiligt ist. "Sollte sich auch in Zukunft weiter bewahrheiten, dass wir etwas sehen, wo andere Experimente die WIMPs ausschließen, müssten wir überlegen, unsere Modelle mit anderen physikalischen Annahmen anzusetzen." Doch dies, so betont auch Marc Schumann, soll der letzte Ausweg bleiben.

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  • Quellen
[1] Angloher, G. et al.: Results from 730 kg days of the CRESST-II Dark Matter Search. arXiv:1109.0702v1

[2] Aprile, E. et al.: Dark matter results from 100 live days of XENON100 data. arXiv:1104.2549v3

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