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Wolf Singer in Heidelberg: Gehirn bei der Selbstfindung

Wolf Singer
Der Hirnforscher Wolf Singer, seines Zeichens Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt, ist populär und podiumserprobt. Als er sich kürzlich auf das Podium des Deutsch-Amerikanischen Instituts in Heidelberg begibt und den Fragen des Moderators Manfred Osten stellt, ist der Saal gerammelt voll.

Wolf Singer | Der Hirnforscher diskutierte in Heidelberg, ob unsere Gehirne sich selbst begreifen können.
Osten zieht den Hirnforscher gleich auf das Thema der Meditation, über das Singer mit dem Mönch Matthieu Ricard einen Dialog geführt hat (“Hirnforschung und Meditation”, Suhrkamp Verlag). Doch Singer wiegelt ab: Meditation sei sicher eine gute Art, mal abzuschalten, sich auf sich zu besinnen und zu entschleunigen; aber es gebe so viele Arten von Meditation – und dabei viel Scharlatanerie. Außerdem: Wenn man meditiere, könne man nichts anderes tun – eine Frage des Zeitaufwands.

Wolf Singer betont die Grenzen, innerhalb der unser Bewusstsein versuche, Klarheit über sich selbst zu gewinnen. Der Hirnforscher spricht vom “epistemischen Kaveat”. Klingt gelehrt, bedeutet aber nur: Das Gehirn versucht, sich mit seinen eigenen Fähigkeiten zu begreifen. “Da wird man schon bescheiden”, sagt Singer. “Manches, was die Hirnforschung zutage fördert, ist uns nicht angenehm.”

Es geht ihm um eine erkenntnistheoretische Warnung: “Wir können nur erkennen, erdenken, uns vorstellen, was die kognitiven Leistungen unserer Gehirne zu fassen erlauben. Diese kognitiven Leistungen verdanken sich evolutionären Prozessen, für die nur jene Aspekte der Welt relevant waren, die für das Überleben wichtig sind. Folglich müssen unsere kognitiven Leistungen begrenzt und eklektisch sein – und sie sind es!”

Wie sehen diese Grenzen aus, was fehlt unserem Gehirn? Wir können, berichtet Singer als wichtigsten Punkt, nicht auf große Entfernungen Empathie empfinden. Die Katastrophe am anderen Ende der Welt interessiert uns zwar, aber nach dem Umblättern der Zeitungsseite ist der Fall schnell vergessen. Zum zweiten sind wir unfähig, nichtlineare Phänomene zu erfassen. Das klingt zwar abstrakt, erklärt sich aber aus der Evolution: Im Kleinen, und nur darauf ist unser Gehirn eingestellt und nur daran ist es angepasst, verhält sich die Welt linear. Diese Unfähigkeit sei auch kein Wunder, denn nichtlineare Vorgänge sind nicht vorhersagbar, das Hirn als prädiktives System wäre also überfordert.

Dritter Punkt: Das Hirn ist selbst ein komplexes, nichtlineares System, das sich nicht von einer Hierarchie steuern lässt, sondern selbst organisieren muss. Die Konsequenz: Es kann gar keine zentrale, hierarchische Steuerungseinheit im Kopf geben, den berühmten Homunkulus, auch wenn wir subjektiv überzeugt sind, dass es diese Zentrale im Hirn gibt. Vielmehr treten jeweils auseinander liegende Bereich des Großhirns zueinander in Beziehung, um das zu erzeugen, was wir als “bewusst” erleben.

Aber auch dieses Bewusstsein ist sehr beschränkt, erfasst nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Geschehen in Hirn. Wir alle tragen zwei Entscheidungsmechanismen in uns: Bewusste, rationale Überlegungen kommen dort zum Tragen, wo wir uns Einflussfaktoren und Gründe explizit klarmachen. Unbewusste Mechanismen treten in Aktion, wenn wir sehr viele Variablen in kurzer Zeit abwägen müssen. “Das sind die berühmten Bauchentscheidungen!” Beide Entscheidungsprozesse laufen zwar parallel, nicht immer aber in Übereinstimmung miteinander. Dies produziert die berühmten Konflikte zwischen Gefühl und Verstand, angesichts derer wir oft in scheinrationale Erklärungen ausweichen.

Interessantes berichtet Singer auch zur Erziehung: “Tiere erziehen nicht, sondern machen vor”, sagte der Forscher. Sie lernen durch Nachahmung, ein Modus, der aber auch bei Menschenkindern nicht ungewöhnlich ist. Menschen erziehen jedoch über symbolische Inhalte, die über die Sprache vermittelt werden. “Das macht uns zu Kulturwesen.” Zur Reformpädagogik merkt Singer an, dass sie ja derzeit etwas umstritten sei. Loben allein sei vielleicht gar nicht das Allerbeste. “Ab und zu a Watsch`n” sei manchmal vielleicht auch hilfreich. “Loben und Strafen – im Tierversuch jedenfalls wirkt beides.”

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