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Zoologie: Was Meisen alles mit Rufen kommunizieren

Heidelberg. Meisen produzieren zwar recht einförmige, eher schlichte Reviergesänge – aber was sie einander sonst zurufen, ist überraschend vielseitig.
Carolinameise (Poecile carolinensis)

Meisen zählen zu den klügsten Vögeln. Das zeigt sich auch in ihrem unermüdlichen Geschwätz und Gezirpe. Damit teilen sie sich Vielerlei differenziert mit: Genaue Informationen über Feinde und Gefahren, Futterquellen, Stimmungen, sogar Verhaltensabsichten. Amerikanische und baltische Forscher untersuchen die komplex aufgebauten Laute von Carolinameisen, die sich mit ihren "Chick-a-dee"-Rufen besonders hervortun. Es handelt sich um eines der komplexesten Lautsysteme in der Tierwelt. Die Wissenschaftler denken sogar, dass solche Studien zum Verständnis grundlegender Strukturen der menschlichen Sprache beitragen können.

Zum Hintergrund: Meerkatzen unterscheiden mit spezifischen Warnrufen, ob sie einen Feind in der Luft, am Boden oder im Baum gesehen haben – ob sich ein Adler nähert, ein Löwe oder eine Schlange. Einige Meisen können Ähnliches wie diese Affen im Prinzip auch. Die amerikanischen Carolinameisen, Poecile carolinensis, verwenden etwas andere Rufkombinationen für große oder kleine Eulen, für Habichte oder Adler. Sie unterscheiden zudem zwischen nur ansitzenden oder schon anfliegenden Raubvögeln. Die Vielfalt und anscheinend unbegrenzte Variabilität ihrer Rufe erläutern die Evolutionsbiologen und Ornithologen Todd Freeberg von der University of Tennessee in Knoxville, Jeffrey Lucas von der Purdue University in West Lafayette und Indrikis Krams von der Universität Tartu (Estland) nun in der März-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft".

Mit ihren typischen "Chick-a-dee"-Rufen teilen Carolinameisen einander noch Vieles mehr mit. Wenn sie andere zu einer Futterstelle locken, klingt das anders, als wenn sie zur gemeinsamen Attacke auf einen Raubvogel aufrufen. Wer in der Luft ist oder nur Auffliegen will, gibt das kund. Womöglich erkennen territoriale Meisentrupps und selbst Individuen einander an der Stimme. Zumindest scheinen die Populationen ihre Rufe mit eigenen Signaturen zu versehen.

Die "Chick-a-dee"-Rufe von Carolinameisen setzen sich aus sechs "Notentypen" zusammen. Diese Einzelnoten werden meist streng in gleicher Reihenfolge aneinandergereiht, jedoch können die Vögel Typen auslassen oder sie mehr- bis vielfach wiederholen. Selbst nachdem die Forscher über 5000 solcher Rufe sonagrafisch analysiert hatten, entdeckten sie immer noch neue Varianten. Die Kombinationsmöglichkeiten scheinen unerschöpflich – und damit die Möglichkeiten für abgestufte Mitteilungen.

Anders als andere Singvögel ziehen Meisen im Winter nicht fort. Viele von ihnen bilden nun kleine Trupps oder Schwärme, und bei den meisten Arten beanspruchen diese Gruppen Territorien, oft mit exklusiven Mitgliedern. Vermutlich dient die reichhaltige Kommunikation dem Zusammenleben im Verband. Bei Carolinameisen wachsen mit der Gruppengröße sogar Komplexität und Informationsgehalt der Rufe. Gewöhnlich schließen sich andere Vögel, auch andere Meisen, solchen festen Schwärmen an – als Nutznießer der Mitteilungen.

Vieles am Chick-a-dee-Rufsystem erinnert an Eigenschaften der menschlichen Sprache, wie der regelhafte Aufbau eines Rufs, die aneinandergereihten Einzelnoten oder die höchst variable, situationsgemäße Gestaltung. Nach bisheriger Erkenntnis haben die Rufe der verschiedenen Meisenarten evolutionsgeschichtlich einen gemeinsamen Ursprung. Um ihre soziale und ökologische Bedeutung noch besser verstehen und einordnen zu können, müsste man das Verhalten vieler Meisenarten vergleichen, die alle etwas unterschiedlich leben. Nach Ansicht von Freeberg, Lucas und Krams sind besonders Kohlmeisen eine spannende Art. Ungewöhnlich für Meisen bilden sie ganz unterschiedlich große, sehr flexible Schwärme und geben sich dann nicht territorial, sondern streifen oft weit herum.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, März 014
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