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Mathematische Knobelei: O'Knobelys letzte Chance

"Nun ist es genug", denkt Shonett O'Knobely. "Alles hat seine Grenzen, und die sind weit überschritten. Von irgend etwas müssen wir auch leben. Das geht so nicht weiter. Hier kann nur einer helfen: der König der Kobolde." Doch dessen Hilfe hat ihren Preis.
Shonett O'Knobely wirft einen Blick auf ihren Mann Patrick. Laut schnarchend sitzt, nein - hängt er in seinem Stuhl und schläft seinen Rausch aus. Wieder einmal hat er seinen ganzen Lohn versoffen und verspielt, bevor er spät in der Nacht laut singend nach Hause gekommen ist. Shonett hatte ihn schon erwartet, mit der schwachen Hoffnung im Herzen, dass er dieses Mal genug Verstand oder zumindest ausreichend Willensstärke haben möge, der Sucht zu widerstehen.

Vergeblich. Whiskey und Würfel - gegen beide kommt er nicht an. Und so verschleudert er Monat für Monat das Geld, das sie so dringend bräuchten. Von Shonetts magerem Verdienst als Verkäuferin in einem Souvenirgeschäft können sie gerade eben die Miete zahlen, schon für ihre kargen täglichen Mahlzeiten muss sie beim Laden an der Ecke anschreiben lassen. "Das Maß ist voll, Patrick O'Knobely", flüstert Shonett, als sie die Haustür öffnet und eingehüllt in ihr großes Plaid nach draußen schlüpft.

Ihr Weg führt sie aus dem Dorf hinaus, zwischen Weiden entlang zum Mochtglrn Hill, dem Berg der Kobolde. "Schließe die Augen, stelle dich auf die Zehenspitzen, und pfeife das alte Lied des Windes", hatte ihre Großmutter immer gesagt, dann erscheint der König der Kobolde. Shonett hatte nie daran geglaubt, doch was bleibt ihr anderes übrig?

Wohl eine halbe Stunde summt, singt und pfeift sie vor sich hin, ohne dass etwas geschieht. Sie will gerade aufgeben, da hört sie ein Räuspern hinter sich.
"Das musst du aber noch üben, schönes Kind!"
Shonett öffnet die Augen und dreht sich rasch um. Vor ihr sitzt ein Männlein auf der Mauer am Wegesrand. Selbst in der dunklen Nacht kann sie erkennen, dass es prächtige Kleider trägt, einen roten Samtumhang und eine kleine Krone aus Gold, die mit kostbaren Edelsteinen besetzt ist.
"Ich hoffe, du hast mich nicht herbeigerufen, um mir etwas vorzusingen", sagt das Männlein. "Dann hätte ich mir den Weg aus dem Mochtglrn Hill heraus besser ersparen sollen."
"Nein, Majestät", antwortet Shonett. "Ich bin verzweifelt und weiß nicht mehr ein, noch aus."
Mit Tränen in den Augen, unterbrochen von gelegentlichem Schluchzen klagt sie dem König der Kobolde ihr Leid. Aufmerksam hört er ihr zu.
"Möglich, dass ich dir helfen kann, mein Kind", sagt der König schließlich. "Doch nur, wenn dein Patrick genug Grips im Kopf hat. Sonst solltest du ihn fallen lassen und dir einen besseren Mann suchen."
Umständlich stopft er seine Meerschaumpfeife, zündet sie mit seinem Daumen an und nimmt ein paar kräftige Züge.
"Außerdem will ich auch die Chance auf einen kleinen Vorteil haben bei der Sache. Darum höre mein Angebot: Ich führe deinen Patrick in meinen Berg. Dort werde ich ihm eine schwierige Rätselnuss zu knacken geben. Kann er sie lösen, wird er geläutert zu dir zurückkehren. Versagt er, so muss er für alle Zeiten als mein Diener im Mochtglrn Hill bleiben. Das sind meine Bedingungen. Wir machen es so oder gar nicht. Bist du einverstanden?"
"Ich bin einverstanden", erwidert Shonett schweren Herzens. In gedrückter Stimmung, aber mit einem winzigen Funken Hoffnung macht sie sich auf den Heimweg.

Als Patrick O'Knobely am nächsten Zahltag nach der Arbeit nur mal schnell für ein Bierchen einen Abstecher in seinen Stammpub machen will, sieht er ein kleines, in Lumpen gekleidetes Männlein am Weg stehen.
"Sieh mal einer an: So ein großer Mann und kann trotzdem nicht weiter als seine eigenen Fußspitzen spucken", höhnt es ihm entgegen.
"Was soll das heißen?", fragt Patrick erbost. "Wer bist du? Und wieso behauptest du, ich könne nicht gut spucken?"
"Wer ich bin? Ich bin einer, der besser und weiter spuckt, als du es jemals könntest." Während dieser Worte zieht das Männlein einen glutroten Rubin aus seiner Manteltasche, groß wie ein Taubenei. "Den hier setze ich als Wetteinsatz, dass ich weiter spucken kann als du."
"Donnerwetter", denkt Patrick. "Wo hat so ein kleiner Bettler wohl einen solchen Edelstein her?" Mit diesem Schatz wären all seine Probleme gelöst: Er könnte seine Spielschulden begleichen, Shonett würde den Lebensmittelhändler bezahlen, und ein feines Kleid für sie wäre auch noch drin.
"Abgemacht!", schlägt er ein.
Die beiden stellen sich nebeneinander auf, und jeder spuckt eine Prise Kautabak den Weg entlang. Patricks Geschoss fliegt einen guten Meter weiter. Mit breitem Grinsen nimmt er dem Männlein den Rubin aus der Hand.
"Diesmal hast du gewonnen. Ein zweites Mal gelingt dir das nicht", brüstet es sich. "Ich setze noch so einen Stein."
"So soll es sein", antwortet Patrick guter Dinge.
Wieder spuckt er weiter.
"Den zweiten Stein habe ich nicht bei mir. Er ist bei mir zu Hause", sagt das Männlein. "Komm mit, und hole ihn dir. Es ist nicht weit."
"Dieser kleine Kerl ist keine Gefahr für mich, davon könnte ich es mit fünfen aufnehmen", denkt Patrick und folgt ihm zu einen Stollen, der in den Berg führt.

Kaum sind die beiden in den Stollen getreten, schließt sich das Erdreich hinter ihnen.
"Willkommen in meinem Reich, Patrick O'Knobely", ruft das Männlein aus, das nun königlich gekleidet ist und eine Krone auf dem Kopf trägt. Zu spät wird Patrick klar, dass er dem Herrscher der Kobolde in die Falle gegangen ist.
"Lass uns trinken und spielen", schlägt der König vor. Er klatscht in die Hände, und zwischen den beiden erscheint ein derber Tisch wie aus einem Wirtshaus.
"Nimm einen Schluck Whiskey."
Mit diesen Worten schiebt der König Patrick einen Trinkbecher in Form eines Würfels zu. Patrick setzt ihn an die Lippen und trinkt. Obwohl er einiges gewöhnt ist, brennt der Whiskey in der Kehle, als würden lauter Rasierklingen darin schwimmen. Doch als Patrick den Becher absetzen will, kann er es nicht. Immer mehr und mehr Whiskey rinnt seine Speiseröhre hinab und schmerzt ihn wie flüssiges Eisen. Endlich versiegt der Strom, und seine Arme gehorchen Patrick wieder.
"Hat es dir geschmeckt?", fragt der König mit einem hässlichen Lächeln. "Von nun ab wird dir jeder Whiskey so munden. Überlege also gut, was du in Zukunft trinken möchtest."

"Jetzt spielen wir!", befiehlt der König. "Wirf deinen Würfel!"
Erstaunt bemerkt Patrick, dass der Becher in seiner Hand sich in einen Würfel gewandelt hat. Er wirft - und der Würfel zerfällt. Als seien die Nähte zwischen einigen Flächen aufgegangen, entrollt der Würfel sich zu sechs flachen, zusammenhängenden Quadraten, die platt auf dem Tisch liegen. Patrick nimmt das Gebilde vom Tisch auf, da hält er plötzlich wieder einen Würfel in der Hand. Er versucht einen zweiten Wurf, mit dem gleichen Ergebnis. Nur sind die Quadrate diesmal anders angeordnet.
"Das nennt man ein Hexomino, Patrick", erklärt ihm der König der Kobolde. "Es sind sechs gleich große, aneinanderliegende Quadrate. Ab heute wird jeder Würfel, mit dem du spielen willst, zu einem Hexomino zerfallen."

"Schluss mit dem Spuk!", ruft Patrick entsetzt aus. "Ich will nach Hause."
"Oh, du darfst nach Hause", grinst ihn der König an. "Aber nur, wenn du mir sagst, wie viele verschiedene Hexominos es gibt, die man zu einem Würfel falten kann. Weißt du es nicht, musst du hier bleiben und mir dienen bis an das Ende aller Zeiten."

Geschockt sitzt Patrick am Tisch und sieht dem König der Kobolde in sein lachendes Gesicht. Wie viele Hexominos aus identischen Quadraten (ohne Berücksichtigung der Augen) können zu einem Würfel gefaltet werden? Wie viele?
Unten den 35 Hexominos (vernachlässigt man Spiegelungen und Drehungen) gibt es genau 11 Stück, die das Netz eines Würfels bilden (grün abgebildet). O'Knobelys letzte Chance - Lösung

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