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Mathematische Knobelei: Harald Pottkowski und das Buch der Rätsel

War das ein mieses Schuljahr. Nicht nur, dass seine spießigen Pflegeeltern Harald in das entlegene Mathe-Internat auf Schloss Hochwärts abgeschoben haben, obendrein lauert der ur-badische Lehrer Professor Schneep stets darauf, ihn bei jedem noch so kleinen Regelübertritt mit den unmöglichsten Strafen zu belegen.
"Das mir hier joh alles glänst un blitze tut", mahnt Professor Schneep und pustet ein halbes Staubkörnchen von seinem Rechenschieber. "Vor alle die Bücher, wo da in dem Rägal schtehe, müsse sottiert wedde. Sonscht säh ich mich gezwunge, Haus Gruftentühr n Polygone abzuziehe." Mit einem zufrieden langgedehntem "Hajoh" schließt er die schwere Eichentür hinter Harald und seinen beiden Freunden und verriegelt sie mit einem unbeschränkten Integral.

"So ein Mist! Ausgerechnet das mathematische Kuriositätenkabinett - hier hat doch noch nie jemand aufgeräumt." Angewidert lässt Herjemineh ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Quadrierte Kreise türmen sich neben riesigen Minimalflächen, ein Mäuschen knabbert an indischen Reiskörnern mit dem aufgemalten Beweis für Fermats letztes Theorem, und einige ausgediente Ziffern von Pi verlieren sich am Rande einer unvollendeten Unendlichkeit.

"Was ist das?", fragt Rob Wieslie. Zwischen spitzen Fingern hält er ein leicht irre vor sich hinkicherndes Buch in die Höhe.
"Wenn du im Unterricht zwischendurch auch mal aufpassen würdest," doziert Herjemineh mit gerunzelter Stirn, "wüsstest du, was das ist. Nämlich die gesammelten mathematischen Knobeleien der University of Middlesix in Ohio."
"Und warum gackert es so komisch?", will nun Harald wissen.
"Weil jeder, der es in die Finger nimmt, automatisch im neuesten Rätsel vorkommt. Das Buch schreibt sich selbst."
"Primzahl-cool!", entfährt es den beiden Jungen.
"Los, schlag es mal auf", verlangt Herjemineh. "Ich will sehen, ob wir schon drinstehen."
"Wer? Wir? In dem Buch?" Mit offenem Mund und noch weiter geöffneten Augen schaut Rob sie ungläubig an. Aber da hat Harald ihm das Buch schon aus der Hand genommen und ganz hinten aufgeschlagen.
"Tatsächlich! Da stehen unsere Namen", ruft er aus. "Und was wir gerade machen."
"Lass sehen", sagt Rob und drängt seine große Nase in das Buch. Sofort zog er sie wieder heraus.
"Wieso 'große Nase'? So groß ist die doch gar nicht. Und überhaupt: Alle in meiner Familie haben diese Nase. Harald, meine Nase ist doch nicht groß, oder?"
Doch Harald achtet nicht auf ihn. "Vielleicht weiß das Buch, wie wir hier herauskommen, ohne alles saubermachen zu müssen", überlegt er laut.
"Natürlich weiß das Buch es", antwortet Herjemineh ihm. "Dieses Buch weiß alles. Man muss es nur höflich und zuvorkommend behandeln, um an die Information zu kommen." Welch kluges Kind. Endlich mal jemand, der ein gutes Buch zu schätzen versteht. Fragt sich nur, ob sie auch bereit ist, ihrerseits dem Buch einen kleinen Gefallen zu tun und es aus diesem erniedrigendem Zimmer mitzunehmen, um es auf einen gebührenden Ehrenplatz in der Schulbibliothek zu platzieren.
"Genaugenommen ist es unsere erste Pflicht, dieses erlauchte Buch allen Schülern und Lehrern in der Bücherei zugänglich zu machen", spricht sie mit ihrer Engelsstimme. Na also!
Robs ständiges "eine ganz gewöhnliche Nase wie alle anderen auch" überhören Harald und die empathische, sanfte, feinfühlige Herjemineh und schauen wie gebannt in das Buch, das ihre Aufmerksamkeit auf den Sims des zugemauerten Kamins lenkt. Dicht an dicht stehen dort acht altrömische Rechensteine mit den eingravierten Ziffern von 1 bis 8 in der Reihenfolge

8, 4, 2, 7, 1, 5, 3, 6.

Sie nehmen den ganzen Sims ein, weder links noch rechts oder zwischen ihnen ist Platz. Wenn es jemandem gelingt, die Steine mit der geringst möglichen Zahl von Zügen neu zu ordnen, sodass sie in aufsteigender Reihe von 1 bis 8 stehen, wird der Kamin sich seitlich verschieben und einen Geheimgang freigeben. Für jeden Zug darf man jedoch nur jeweils einen Stein vom Sims nehmen und beliebig viele von den stehen gebliebenen Steinen verschieben, bevor man den Rechenstein an seinen neuen Platz stellt.
"Das schaffen wir doch", ruft Harald.
"Eure Nasen sind auch nicht kleiner", jammert Rob.
"Aber denk dran, dass wir die minimale Anzahl von Zügen machen müssen", mahnt Herjemineh, bevor sie das weise Buch mit zarten Händen vorsichtig in ihre Tasche gleiten lässt.

Für diese Aufgabe findet sich schnell eine Lösung in fünf Schritten: Dazu nehme man die längste monoton steigende Teilfolge, die es gibt. In diesem Fall ist das entweder 1, 5, 6 oder auch 1, 3, 6. Welche man nimmt, spielt keine Rolle. Diese Rechensteine lässt man stehen und sortiert nun alle anderen Steine an der jeweils richtigen Stelle ein. Das macht genau fünf Sortierakte. Kürzer geht's nicht, wie folgendermaßen einzusehen ist: Wenn man m Sortierakte hat, bleiben die 8-m Bücher, die man nicht rausgenommen, sondern allenfalls verschoben hat, untereinander in ihrer Reihenfolge. Wenn die nicht von Anfang an monoton war, kann es am Ende auch nicht die Richtige sein. Also muss die Teilmenge der unangefassten Bücher monoton sein, qed.

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