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Mathematische Knobelei: Ein Crashkurs in Aktienhandel

Die internationalen Finanzbörsen sind wahrlich eine Welt für sich. Und das ist auch gut so. Denn wer könnte noch ruhig schlafen, wenn er wüsste, wie die schnieken Broker mit unserem hart verdienten Risikokapital umgehen? Eine kleine Kostprobe von unserem Insider auf dem Parkett gefällig?
"Was ist das?" Ein wenig verwirrt betrachtete ich die Schnur in meiner Hand.
"Ein Shareholdervalue", antwortete Matthew und rückte seine Krawatte zurecht.
"Sieht aus wie ein Stück Seil", meldete ich zaghaft meine Zweifel an.
"Tickst du noch richtig?" Matthew erstarrte mitten in der Bewegung und starrte mich mit großen Augen an. "Mit einem Seil kannst du dich aufhängen, wenn wir es nicht schaffen, diesen Börsencrash zu stoppen. Und dafür brauchen wir das hier." Er hielt mir seine linke Hand unter die Nase, die Enden von vier weiteren Shareholderbändchen baumelten zwischen seinen Fingern. "Nur mit richtig aufgespannten Values lassen sich diese untamed Fonts noch redistributieren."
Ich hatte kein Wort von dieser Erklärung verstanden, doch Matthews leicht fanatisierter Blick verbat mir jeden Anflug von Wankelmut.
"OK!", sprach ich mannhaft mit dem Ton standhafter Überzeugung. "Packen wir's also an. Was soll ich machen?"
"Knote den Value dort an dem Painstack-Index fest." Aufmerksam beäugte Matthew, wie mein Blick unsicher seinem ausgestreckten Zeigefinger folgte. Er deutete offenbar auf einen klapprigen alten Stuhl, dessen Sitzfläche voll eingetrockneter Farbspritzer war. Nach einem kurzen Zögern band ich das eine Ende meines Shareholdervalues an die Lehne. Matthew seufzte leicht, schien jedoch zufrieden.
"Für einen kleinen Moment dachte ich schon, du hättest alles vergessen, was man dir auf dem Pioneer Advanced Numeric Incasso College (PANIC) beigebracht hat. Fast sahst du so aus wie jemand, der nach dem gesunden Menschenverstand handelt." Verächtlich blickte er auf seine teure Rollup-Uhr. "Wird höchste Zeit, dass die anderen mit den Aktionären hier auftauchen."

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, schwangen die großen Flügeltüren auf, und eine große Menge älterer Herren in maßgeschneiderten Nadelstreifenanzügen strömte herein. Erst beim genaueren Hinsehen bemerkte ich, dass auch einige Damen darunter waren, die in ihren unbequemen Designerschuhen mühsam mit der Masse Tippelschritt halten konnten. Eine Handvoll breitschultriger Anzugträger mit großen Cowboyhüten auf den Köpfen achtete durch kleine Hiebe mit langstieligen Peitschen peinlichst darauf, dass niemand aus dem Strom ausbrach oder zurückfiel. Sie trieben die Menschen in ein kreisrundes Gatter in der Mitte des Saales. Kaum waren alle darin, sperrte der größte Treiber das Gatter hinter ihnen zu und reckte eine Faust mit hochgestrecktem Daumen zu Matthew.

"Wir haben sie", rief Matthew mit offenkundiger Genugtuung. "Nun bist du dran."
"W-Womit?" Plötzlich wurde mir sehr heiß in meinem Anzug. Die Krawatte schnürte mir die Blutzufuhr zum Gehirn ab. Ich versuchte, mit dem Zeigefinger meinen Kragen zu lockern.
"Hör' mal: Jetzt ist Schluss mit den Späßen! Du weißt genau, dass wir den gewaltigsten Börsencrash aller Zeiten erleben, wenn du nicht ganz schnell diese Aktionäre in neue Anlegergruppen einteilst. Mach hinne, Mensch!"
Mir war, als sei Matthew nun ernsthaft wütend. Sein Gesicht war puterrot, und Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Ich wusste nicht, ob sie vom Zorn über mein Zaudern kamen oder aus reinster Angst.
"W-w-was soll ich denn tun?", flüsterte ich, und meine Beine fingen gegen meinen Willen an zu schlottern.
"Beim heiligen Dax", brüllte Matthew. "Du musst diese Leute mit den fünf Shareholdervalues in möglichst viele Gruppen teilen. Spann die Dinger quer durch die Menge, aber zieh sie ordentlich straff, damit es keine Schlaufen oder so gibt. Und mach schnell!"

Ich schluckte. Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Matthew, die Treiber mit den Cowboy-Hüten, die Aktionäre in ihren Anzügen, sogar die Damen auf den Cent-Absätzen - sie alle sahen mich an. Flehentlich, als sei ich ihre letzte Rettung. Und wirklich: Ich bin ihre letzte Rettung. Oder nicht. Denn ich habe absolut keine Ahnung, in wie viele Gruppen ich diese Leute mit meinen fünf Schnüren maximal aufteilen kann. Es ist wie ein Alptraum, aus dem mich nur einer erwecken kann: Sie! Sagen Sie mir die Lösung. Schnell, bitte!
Aktienhandel ist offensichtlich ein sehr spezielles Geschäft. Das durften dieser Tage nicht nur die Vorstandsmitglieder der frisch an der Börse notierten Postbank feststellen, sondern auch die Leser unserer mathematischen Knobelei. Nun erfahren Sie das Geheimnis der Shareholdervaluebändchen.
Das erste Shareholdervaluebändchen teilt die Aktionärsgruppe in 2 Teile. Mit dem zweiten Bändchen kommen maximal 2 neue Gruppen hinzu, wenn dieses Band das erste schneidet. Macht in Summe also 4. Das dritte Band liefert maximal 3 neue Gruppen - eine pro bereits gespanntes Band plus eine weitere. Insgesamt sind es also schon 7 Grüppchen. Entsprechend kommen beim 4. Band 4 und beim 5. Band 5 Gruppen hinzu, was uns 11 bzw. 16 Gruppen bringt. Damit haben wir eigentlich schon die Lösung. Aber vielleicht lässt sich auch eine Formel für die maximale Gruppenzahl aufstellen.

Zunächst der Übersicht halber eine kleine Tabelle mit dem bisherigen Ergebnis:
Bändchen nGruppenzahl Gn
01
12
24
37
411
516

Eine einfache Rekursionsformel lautet also offensichtlich:

Gn = Gn-1 + n

Mithilfe der arithmetischen Folge lässt sich aus dieser Rekursionsformel eine Summenformel für Gn gewinnen, die beispielsweise mit vollständiger Induktion bewiesen werden kann:

Gn = n(n+1)/2+1 Ein Crashkurs in Aktienhandel

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