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Mathematische Knobelei: Eine patente Klagewelle

Die in diesem sowie anderen mathematischen Texten enthaltenen Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 und 9 unterliegen dem globalrechtlichen Schutz des Knobelpatents 987654321, unabhängig von der Art der Darstellung oder Form der permanenten oder zwischenzeitlichen Speicherung in handschriftlicher, gedruckter, elektronischer oder neurovisueller Form. Mit dem Lesen dieser Zeilen erkennen Sie die patentrechtliche Lage an und verpflichten sich, bei Nutzung der genannten Ziffern unaufgefordert und unverzüglich die gesondert festzulegende Lizenzgebühr an den Patentinhaber zu entrichten. Zuwiderhandlungen sind als schwere Straftat anzusehen und werden mit besonders kniffligen Dreisatzaufgaben und im Wiederholungsfalle mit Entzug der Rechenerlaubnis geahndet.
Es war ein strahlender Frühlingstag in Washington. Die Rotoren der Helikopter zwitscherten fröhlich vor dem Weißen Haus, ihre Abgase diffundierten wie zufällig in die Bronchien der Piloten, und ein streng dreinblickender Herr im teuren Nadelstreifenanzug hielt auf dem Weg vom Hubschrauber zum Gebäude mit einer Hand krampfhaft einen braunen Pappumschlag fest, während er mit der anderen sein Toupet daran hindern wollte fortzufliegen und ihm der Luftzug ständig seine Krawatte ins Gesicht schlug.
"Sofort zum Präsidenten!", rief er dem entgegenkommenden Bediensteten entgegen.
"Aber der Herr Präsident ist noch nicht aufgestanden", wollte jener entgegenhalten.
"Mann, hier geht es um die nationale Sicherheit! Das hier", der Nadelstreifenträger hob drohend den Umschlag, "wird ihn garantiert wach machen. Glauben Sie mir."

Zwei Flure und fünf Türen weiter zappte der Präsident zur gleichen Zeit im Morgenmantel durch die TV-Programme.
"Nachrichten, Politik, Bildungsprogramme...", schimpfte er. "Warum gibt es keine Micky Maus, die dem Kater eine Bratpfanne ins Gesicht schlägt, so wie früher, als ich klein war?"
"Das war nicht Micky Maus, Schatz, sondern Tom und Jerry", antwortete die Stimme der First Lady beiläufig, ohne dass ihre Augen sich auch nur einen Wimpernaufschlag von der Modezeitschrift gewandt hätten.
"Ah, Micky Maus, Tom und Jerry. Das ist doch egal. Hauptsache nicht so ein ernstes Zeug. Ich will was zum Lachen haben." Auf einem Kanal, in dem Bugs-Bunny-Werbung für gesalzene Karottenchips aus Maismehl machte, stoppte er das Zappen. "Na also, warum nicht gleich so?", knurrte er zufrieden.

"Mr. President, wir haben ein Problem." Ein wenig außer Atem und mit leicht verrutschtem Toupet trat der Herr im Nadelstreifenanzug in den Raum, den Pappumschlag in der leicht vorgestreckten Hand.
"Ja, Mann, Sie haben wirklich gleich ein Problem", fuhr ihn der Präsident ungnädig an. "Wie können Sie es wagen, mich beim Fernsehen zu stören?" Trotzig drückte er seinen Daumen auf den Lautstärkeregler der Fernbedienung und ließ die TV-Knusperflocken mit 80 Dezibel in die Schüssel donnern.
"Mr. President", versuchte der Nadelgestreifte den Apparat zu überbrüllen. Doch der Präsident konterte mit 120 Dezibel. Da fasste sein Kontrahent sich ein Herz und zog den Stecker aus der Dose.
Schlagartig war es bedrohlich still im Raum. Der Präsident blickte verwirrt auf die leere Mattscheibe, dann auf die Fernbedienung in seiner Hand und schließlich auf den Herrn mit Umschlag und Stecker.
"He, was fällt Ihnen ein?", brauste er auf. "Wissen Sie etwa nicht, wer ich bin? Ich bin der Präsident! Sie haben soeben Ihrem Präsidenten den Stecker während seiner Lieblingssendung rausgezogen. Wer sind Sie überhaupt, Mann?"
"Mr. President, ich bin Ihr Vizepräsident, und seien Sie versichert, dass ich niemals gewagt hätte, Sie zu stören, wenn es nicht von allerhöchster Wichtigkeit und Dringlichkeit wäre", stieß der Vizepräsident in Nadelstreifen schnell hervor.
"Was kann wichtiger sein als meine TV-Show?"
"Wir werden verklagt, Mr. President. Sehen Sie selbst." Der Vizepräsident öffnete den Umschlag und zog einen Stapel Unterlagen hervor. "Insgesamt 45 Klagen. Viele davon in Milliardenhöhe. Wenn die durchkommen, dann können wir einpacken, Mr. President."
"Wieso Klagen? Ich bin demokratisch gewählt - der Wähler ist für meine Fehler verantwortlich. Wie kann er mich dann verklagen?"
"Es geht nicht um Sie persönlich, Mr. President. Eher um die Vereinigten Staaten von Amerika. Und die Kläger sitzen im Ausland. Hier zum Beispiel verweist ein Grieche darauf, dass seine Vorfahren vor rund 2500 Jahren die Demokratie erfunden haben. Die Rechte dafür seien auf ihn übergegangen, und nun verlangt er von uns Lizenzgebühren für die Nutzung des geistigen Eigentums seiner Urahnen. Außerdem Nachzahlungen für die Zeit seit Einführung des Wahlrechts." "Ein Grieche? Wo liegt denn Griechenland? Ist das nicht in Italien?"
"Nicht ganz, Mr. President. Aber aus Italien ist auch eine Klage dabei. Eine Nachfahrin von Amerigo Vespucci fordert ebenfalls Lizenzgebühren. Wegen der Verwendung des Namens 'Amerika', der auf ihren Familiennamen zurückgeht."
"Aber was können wir dafür, dass die gute Frau so heißt?"
"Das hier könnte auch gefährlich werden, Mr. President. Eine Liselotte Müller aus Deutschland verlangt Schmerzensgeld als Wiedergutmachung für die seelische Grausamkeit, die sie durch unsere Fernsehserien erlitten hat. Der Klage liegt ein psychiatrisches Gutachten bei, dass die Frau noch heute Angstzustände bekommt, wenn sie daran denkt, wie Lassie verloren gegangen ist."
"Oh Mann, daran kann ich mich auch noch erinnern. Das war wirklich hart damals. Aber Lassie hat doch am Ende wieder zu ihrer Familie gefunden, oder? Ich meine, es war ein amerikanischer Film... die können doch gar nicht schlecht ausgehen."
"Lassie ist schon lange tot, Mr. President. Der Punkt ist, dass diese Klagen auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt sind - wir können also wegen dieses Formfehlers die Anerkennung als Sammelklage abschmettern und das ganze in lauter Einzelverfahren zerfleddern. Ich habe da einen Präzedenzfall gefunden, der sich in fünf Jahren an der University of Middlesix in Ohio in der Fakultät für experimentelle Zeitlosigkeit wegen Schummelns bei einer Zwischenprüfung entwickeln wird. Der dürfte auf unser Problem übertragbar sein."

Der Vizepräsident zog eine kleine Mappe aus dem braunen Umschlag. Sein Staatsoberhaupt wirkte seltsam geistesabwesend und hielt den leeren Blick auf den Fernseher gerichtet.
"Wir stützen uns dabei auf Primzahlen. Ich habe das überprüft: Auf Primzahlen hat bislang noch niemand ein Patent angemeldet, die dürfen wir also benutzen. Die 45 Klagen werden gemäß dem erwarteten Streitwert geordnet und beschriftet. Wir haben einen Fall, in welchem der Kläger das gesamte sichtbare Universum einfordert - der bekommt die Ziffer 1. Dann zwei, die sich mit der Erde zufrieden geben würden - das gibt jeweils die Ziffer 2. Dreimal will man von uns den nordamerikanischen Kontinent - also dreimal die 3. Und so geht es weiter mit vier Vieren, fünf Fünfen etc. bis zu neun Neunen bei Klagen, in denen es um eine Gratiscola im nächsten O'Donalds geht."
Eine Träne kullerte über die linke Wange des Präsidenten. Sein Vize bemerkte es nicht und redete ungebremst weiter. "Wir können unsere Gegner mürbe machen, indem wir die einzelnen Prozesse teilweise miteinander koppeln und dadurch in absurden Verknüpfungen agieren. Die Gerichte lassen das zu, wenn die Nummern der Klagen zu Primzahlen kombiniert werden und die Summe dieser Primzahlen minimal ist. Eine Klage der Kategorie 9 darf folglich nicht alleine verhandelt werden, da 9 keine Primzahl ist. Zusammen mit einem Fall aus der Kategorie 2 ließe sich dagegen die Primzahl 29 bilden - das geht also. Nur muss die Gesamtsumme der Primzahlen eben so klein wie möglich sein. Und da ist der Haken: Meine Jungs brechen schon den ganzen Morgen die Bleistifte ab bei dem Versuch, die richtige Kombination zu finden und die Primzahlensumme an das Gericht zu übermitteln. Wenn wir da nicht schleunigst Hilfe bekommen, geht es uns an den Kragen, Mr. President. Hallo, Mr. President?"
Besorgt beugte der Vizepräsident sich zu seinem Vorgesetzten nieder, der leise schluchzend auf dem Sofa zusammengesunken war.
"Ist Ihnen nicht gut, Mr. President? Soll ich den Arzt rufen?"
Mit großen feuchten Augen sah der Präsident auf.
"Lassie war so ein guter Hund", schluchzte er schwach.


Wenn Sie sich emotional wieder gefangen haben, können Sie vielleicht dem Vizepräsidenten helfen und schnell ausrechnen, wie die gesuchte minimale Summe der Primzahlen lautet.
Diesen Monat galt es, niemand geringerem als dem Präsidenten der Vereinigten Staaten aus der Patsche zu helfen. Glücklicherweise haben sich unsere Leser dabei weitaus geschickter angestellt, als die Angehörigen des Beraterstabs. Hier nun unsere Musterlösung sowie die Gewinner der mathematischen Knobelei.
Die Klagen sollen also zu Primzahlen gruppiert werden, um die Gerichte möglichst lang zu beschäftigen. Dabei soll die Summe aller Primzahlen minimal werden. Was müssen wir beachten?

Zunächst sind auch einstellige Primzahlen erlaubt. Die Ziffern 2, 3, 5 und 7 müssen also prinzipiell nicht mit einer anderen Ziffer kombiniert werden. Dann dürfen die aus den Ziffern zusammengesetzten Zahlen nicht auf eine gerade Zahl oder 5 enden, sonst wäre sie auf jeden Fall teilbar. Damit die Summe der Zahlen nicht zu groß wird, versuchen wir erstmal alle Ziffern in ein- und zweistelligen Zahlen unterzubringen. Die geraden Ziffern 4, 6 und 8 müssen dann auf jeden Fall auf der Zehnerstelle stehen und durch eine ungerade Ziffer zur Primzahl ergänzt werden. Bei der 8 kommt als Partner nur die 9 oder 3 in Frage - von letzterer gibt es allerdings nur drei. Also nutzen wir zunächst alle 9er. Wir erhalten also

8·89 = 712

Eine 9 bleibt übrig, um diese kümmern wir uns später. Weiter geht's mit den 6ern. Diese bilden nur mit Hilfe der 7 oder der 1 eine Primzahl. Die 1 gibt's zur einmal. Also greifen wir zu der 7 und erhalten:

6·67 = 402

Die übrig bleibende 7 macht keine Arbeit, da sie auch solo prim ist. Vielleicht brauchen wir sie später noch. Kommen wir zu den 4ern. Hier schaffen wir eine Primzahl durch Ergänzen einer 7, einer 3 oder einer 1. Da wir nur eine 1 und lediglich eine 7 übrig haben, bedienen wir uns der 3er:

3·43 = 129

Die übrig bleibende 4 kombinieren wir außerdem mit der 7 zu 47. Die 1 können wir schließlich vielleicht noch auf der Zehnerstelle gebrauchen.

Übrig bleiben: eine 1, zwei 2er, fünf 5er und eine 9 - alles Primzahlen, von der 9 einmal abgesehen. Ergänzen wir diese also kurzerhand mit der verbleibenden 1 zur 19 - kleiner geht's nicht - und addieren nun alle Primzahlen:

1 · 19 = 19
2 · 2 = 4
3 · 43 = 129
1 · 47 = 47
5 · 5 = 25
6 · 67 = 402
8 · 89 = 712
---------------------------
   1338

Die Summe lautet also 1338. Weniger ist nicht möglich.

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