Direkt zum Inhalt

Mathematische Knobelei: Der letzte Alchematiker

Aus wertlosen Quadraten edle Kreise zu machen - danach streben seit jeher die Alchematiker an allen euklidischen Königshöfen. Was sie dafür brauchen, ist der sagenumwobene Stein der Leisen. Zum großen Jammer für die traditionsreiche Zunft herrscht aber selbst in der hintersten Ecke des tiefsten Verlieses kein ausreichend stilles Schweigen. Das ewig fortklingende Echo der längst verblichenen Seelen stört die mathemagische Aura des Steins - und kostet die Alchematiker nach und nach ihren Kopf.
Unerfreuliche Neuigkeiten. Nach Bernhard von Binom, Theodorus Triangel und dem sanftmütigen Ferdinand Fermatius weilt nun auch Lothar Limeter nicht mehr unter den aktiven Alchematikern des Abendlandes. Mit einem Federstrich hat König Rabiatus die Planstelle wegen ineffektiver Forschung auf dem Gebiet der Quadratur des Kreises kurzerhand gestrichen und den bisherigen Amtsinhaber seiner Einheit von Leib und Seele entledigt. Berufsrisiko. Welch Wunder, dass bei solchen Aussichten keine Auszubildenden für Alchematik mehr zu finden sind. Wer Karriere machen will, entscheidet sich doch lieber für den aufstrebenden Zweig der Alchemie mit seinen fast todsicheren Erfolgsaussichten.

Nun ist Ulrich Ultimus also der letzte Vertreter seiner Zunft. Und auch sein Job ist keineswegs krisensicher. Erst neulich tobte Herzog Habegier im Zorn des Ungerechten ob der hohen Personalkosten und des zweifelhaften Entdeckerruhmes, der stetig winkt, doch diskret ausbleibt. Ulrich hatte Mühe, ihn mit ein paar Logarithmentafeln zur Basis sieben und einem güldenen Möbiusband zu besänftigen. Das würde die Laune des Despoten nicht lange heben, vor allem nicht über den angekündigten Besuch des französischen Herrscher-Beratungs-Unternehmens Giju Tine hinaus.

Es bedarf folglich eines kniffligen Kleinods, welches den Herzog eine Weile beschäftigt und Ulrichs Lebenszeit um selbige verlängert. In tiefes Grübeln versunken kratzt der Alchematiker mit dem Zirkel an der schorfigen Wunde unter seiner Fußfessel mit der schweren Eisenkette und der noch viel schwereren Eisenkugel. Wenn ihm doch nur ein Rätsel einfiele, auf dass er den Untergang seines Berufes hinauszuzögern vermöge. In tiefem Gram senkt Ulrich sein Haupt und erblickt auf dem staubigen Kerkerboden einen Tropfen Blut, den ihm der Zirkel aus dem Bein gestochen hat. Ringsum haben sich acht Schuppen seiner Haut gelegt, sodass ein kleines weißes Quadrat mit einer roten Mitte entstanden ist. Erstaunt kratzt der Alchematiker mit dem Fingernagel am Rande seiner Wunde. Herab fallen 16 weitere Schuppen, die sich zu einem zweiten quadratischen Ring um den Blutstropfen lagern. "Heureka!", ruft Ulrich vor Freuden aus. "Damit soll der Herzog sich üben."

Laut mit der Kette rasselnd ruft er den Kerkermeister herbei. "Eile dich!", trägt er ihm auf. "Bringe mir geschwind einen prächtigen Rubin von dunkelstem Blutrot und einen großen Korb wasserreiner Diamanten, dem Herrscher zum sinnreichen Vergnügen." Alsdann setzt er sich an seinen Tisch, greift Gänsekiel und Pergament und verfasst die Anleitung für den Herzog. In prachtvoll verschlungener Schrift legt er Habegier nahe, den Rubin in die Mitte seines Thronsaals zu legen. Die Diamanten sollen dabei derart den Rubin umgeben, dass sie ineinander geschachtelte Quadrate bilden mit dem Rubin in der Mitte. Das erste Quadrat besteht aus acht Diamanten. Je vier Edelsteine grenzen hier entweder als direkter Nachbarn oder zumindest diagonal an den Rubin. Der zweite quadratische Ring aus Diamanten bringt es bereits auf eine Kantelänge von fünf Steinen und so fort. "Sobald seine Herrlichkeit mir sagen kann, wie viele Diamanten nötig sind, um den 111-ten Ring zu ziehen, werden meine Forschungen mir das Geheimnis der Quadratur des Kreises eröffnet haben." Zufrieden versiegelt Ulrich den Brief und lässt ihn mit den Edelsteinen zum Herzog schicken, im Glauben, dem Tode für eine lange Weile entgangen zu sein. Wollen wir hoffen, dass der Herzog nicht so schnell wie Sie berechnen kann, welche Anzahl von Diamanten den 111-ten Ring bildet.
Ulrich Ultimus' Rechnung ging auf - Ihre auch? Der Alchematiker hatte sich durch seine Aufgabe genug Zeit verschafft, dass Herzog Habegier über die schier endlose Grübelei glattweg das Enthaupten seines Bediensteten vergessen hat. Falls auch Sie sich vergeblich an einer Lösung versucht haben, hier unser Vorschlag.
Das erste Diamant-Quadrat setzt sich aus 8 Edelsteinen zusammen, wobei je 3 Steine eine Kante bilden. Für das zweite braucht es bereits 16 Steine, mit je 5 Steinen pro Kante. Überlegen wir uns zunächst, wie viele das dritte Quadrat braucht?

Nun die Kantenlänge verlängert sich um zwei Diamanten - die beiden diagonal angrenzenden Steine. Macht also 7. Das dritte Quadrat setzt sich also aus
(7-1) · 4 = 24 Diamanten zusammen - wir mussten pro Seite je einen abziehen, da sonst die Ecksteine doppelt gezählt worden wären. Die gleiche Überlegung liefert
(9-1) · 4 = 32 Edelsteine für das vierte Quadrat.

Wir wollen jetzt aber nicht peu à peu alle Quadrate bis zum 111-ten durchrechnen, sondern eine allgemeine Formel finden. Dazu schreiben wir uns zur besseren Übersicht einmal alle bereits bekannten Diamant-Quadrate mit der Zahl ihrer Edelsteine En in einer Tabelle auf:

n   En
1     8
2   16
3   24
4   32

Gucken wir uns die Zahlen scharf an, dann sieht es so aus, als würde sich die Zahl der Edelsteine En für das n-te Quadrat folgendermaßen berechnen lassen:

En = 8 ·n

Beweisen lässt sich die Formel beispielsweise durch vollständige Induktion. Für das 111-te Quadrat braucht man also 888 Diamanten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.