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Mathematische Knobelei: Aus Opas technischer Krimskramskiste

Was die Jugend kann, davor wird die reifere Generation doch nicht zurückschrecken. Experimentieren, forschen, Probleme lösen, dass es stinkt und knallt - auch in diesem Jahr hat der Wettbewerb "Tattergreise tüfteln" einige raffinierte Attraktionen zu bieten. Als erster Preis auf Bundesebene winkt dem rüstigen Erfinder eine Jahresration Tiefkühl-Pommes frei Haus. Entsprechend verbissen sind die Finalisten bei der Sache.
In der Kategorie "Fit-und-gesund-um-jeden-Preis" hat Gertrude Prosit im wahrsten Sinne des Wortes die Nase vorn. Ihre explodierenden Nasenperlen für alle, die auf Gesellschaften auch einmal spontan im Mittelpunkt des Interesses stehen möchten, verzeichnen bei den Juroren sowie diversen Papiertaschentüchern durchschlagende Erfolge. Wenngleich die Teilnehmerin wegen des laufenden Patentverfahrens nur so viel von ihrem Rezept verraten darf, dass neben Salz, Pfeffer und geriebenen Schabenfüßen das getrocknete Kräutlein Niesmitlust aus dem Hause Nasenzwerg zu den Hauptbestandteilen gehört, dürfte ihr der Sieg kaum zu nehmen sein. Zumal einer ihrer schärfsten Konkurrenten beim Testen der Nasenperlen seine eigene Entwicklung, die Leine ohne Hund, ebenso weggepustet hat wie den am Nebenstand präsentierten Hund ohne Leine. Ein Malheur, das nach Aussage von Frau Prosit ausschließlich auf einen dummen Bedienungsfehler zurückzuführen sei. Bei sachgemäßem Umgang seien die explodierenden Nasenperlen stufenlos einstellbar, vom verhaltenen Einzelnieser bis zur Pollenattacke der Stärke 12 auf der internationalen Heuschnupfenskala. Um für Amateure wie Hochleistungsnieser gleichermaßen ein risikofreies Training zu ermöglichen, gehören zum Lieferumfang der Nasenperlen eine akustische Fernbedienung sowie ein Pulssensor mit Plüschbezug in den Farben Tornadograu, Hurrikangelb oder Blizzardweiß.

Etwas weniger Komfort, dafür aber noch mehr Spontanität bietet die Maschine von Herbert Schwerfuß. Welchem Zweck der Apparat eigentlich dient und was er wann macht, ist selbst dem Erfinder rätselhaft, weshalb er ihr vorläufig die Bezeichnung Nuaber! gegeben hat. Während der halbstündigen Begutachtung durch die Jury spuckte der Nuaber! sporadisch Bonbons mit Truthahngeschmack ins Publikum, rezitierte seitenweise aus dem Oldenburger Telefonbuch und häkelte 27 Blumentopfwärmer aus ökologisch angebauter Schurwolle. Ursprünglich hatte Herr Schwerfuß den Nuaber! für die Sparte "Weg-vom-Fernseher" anmelden wollen, sich angesichts des kreativen Potenzials an Nutzlosigkeit aber umentschieden für "Wozu-brauche-ich-da-noch-Enkel?" und zählt dort nun zum ganz engen Favoritenkreis. Erste Bestellungen von Karnevalsvereinen und Museen für unmoderne Kunst liegen bereits vor.

Eine große Zukunft wartet auch auf die Entwicklung von Mathilda Steinbeißer. Sie dominiert die Konkurrenz in der Kategorie "Das-mach-ich-doch-selber" mit ihrem vollautomatischen Wanddurchbrecher für den nachträglichen Fensterbau. Bislang existiert nur ein Prototyp für Fenster in Form eines Rechtecks mit aufgesetztem Halbkreis, weitere Versionen sind jedoch bereits in Planung. Die Jury gibt allerdings zu Bedenken, dass vor einer erfolgreichen Vermarktung noch diverse Schwächen in den Steuerungsalgorithmen zu beheben seien. So meißelte sich der Prototyp während der Begutachtung mit Begeisterung durch den Boden des Ausstellungssaales und konnte erst drei Stockwerke tiefer von einer zufällig passend platzierten Hochzeitstorte gestoppt werden. Weiteren Punktabzug gibt es für die mangelhafte Berechnung der optimalen Fenstermaße. Im Bestreben, möglichst viel Licht durch die Öffnung zu lassen, klopft der Wanddurchbrecher in immer größer werdenden Linien und Bögen nach und nach die ganze Wand weg, womit er sich lediglich für den Einbau von Panoramafenstern und Garagentoren eignet. Frau Steinbeißer sucht daher dringend nach einem Assistenten, der ihr für die besondere Fensterform des Prototyps das Verhältnis der Rechtecksseiten bei einer maximalen Fensterfläche und gegebenem Gesamtumfang U berechnen kann. Sollte sie niemanden finden, geht der Preis womöglich doch an Friedhelm Knacks für seinen akkubetriebenen Bleistiftspitzenabbrecher. Darum schnell geknobelt, bevor Herr Knacks Ihren Bleistift in die Finger bekommt. Wie lautet die Formel für die Rechteckseiten?
Mehr Fenster für mehr Licht in der Wohnung - Frau Steinbeißers Maschine scheint genau das Richtige zu sein für kommende Sommertage. Indes, mit den richtigen Maßen für die neuen Öffnungen haperte es bei unserer mathematischen Knobelei. Gut, dass findige Leser weiterhelfen konnten.
Die Geometrie des maschinellen Fensterdurchbruchs ist nicht sonderlich kompliziert: Man setze einen Halbkreis auf ein Rechteck. Fertig! Doch um herauszufinden, welche Rechtecksmaße den größten Flächeninhalt des Konstrukts liefern, bedarf es schon einer waschechten Extremwertaufgabe. Zunächst eine Skizze (siehe unten).

Der Umfang U berechnet sich mit den Seitenlängen a und b des Rechtecks wie folgt:

U(a,b)=a+2b+1/2*Pi*a

Für den Flächeninhalt F gilt:

F(a,b)=ab+1/8*Pi*a2

Drücken wir nun b durch U und a aus…

b=1/2U-1/2a-1/4*Pi*a

… und setzen b in die Flächengleichung ein:

F(a)=1/2Ua-1/2a2-1/8*Pi*a2

Notwendige Bedingung für ein Maximum an der Stelle amax ist, dass die erste Ableitung F'(amax) an dieser Stelle verschwindet. Wir leiten also F(a) ab und berechnen die Nullstellen der Ableitung:

F'(a)=1/2U-a-1/4*Pi*a

F'(amax)=1/2U-amax-1/4*Pi*amax=0

amax=U/(2+1/2*Pi)

Zur Überprüfung, ob amax tatsächlich Minimalstelle von F(a) ist, überprüfen wir die zweite Ableitung an der Stelle:

F"(a)=-1-1/4*Pi<0

Die zweite Ableitung von F(a) ist in jedem Fall negativ. Das heißt, bei amax handelt es sich um eine Maximalstelle. Jetzt ist lediglich noch zu prüfen, ob es sich um ein lokales oder ein globales Minimum handelt. Dazu müssen wir die Ränder des Definitionsbereichs von a untersuchen. Die eine Grenze ist durch a=0 gegeben, wenn also das Rechteck und mit ihm der Halbkreis gänzlich verschwindet. Die andere Grenze ergibt sich für b=0 - für diesen Fall ist a noch auszurechnen:

b=1/2U-1/2a-1/4*Pi*a=0

a=U/(1+1/2*Pi)

Berechnen wir also die Fläche für die Grenzen von a:

F(0)=0

F(U/(1+1/2*Pi))=U2*Pi/(2Pi2+8Pi+8)

Auch die Fläche für amax müssen wir berechnen:

F(U/(2+1/2*Pi))=U2/(8+2Pi)

Bleibt noch zu zeigen, dass gilt:

F(amax)>F(U2/(1+1/2*Pi))

8>0

Das heißt also, an der Stelle amax befindet sich tatsächlich ein globales Maximum. Doch wie ist nun das Verhältnis der Rechteckslängen a und b, nach dem gefragt ist?

Berechnen wir dazu noch die Seite b:

b=U/(4+Pi)

Jetzt können wir das Seitenverhältnis ermitteln:

a/b=2

Der Fensterbrecher reißt also maximale Öffnungen in die Wände, wenn die Seitenlängen des Rechtecks im Verhältnis 2 zu 1 stehen, wobei der Kreisbogen auf einer der beiden langen Seiten steht.

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