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Tagebuch: Pflastern Sie mit!

Pflastersteine
Es geht darum, die Ebene lückenlos und überdeckungsfrei mit Pflastersteinen zu bedecken, die untereinander alle gleich sind oder zumindest aus einem sehr begrenzten Sortiment stammen. Das einfachste Beispiel ist die klassisch-langweilige Badezimmerkachelung aus lauter Quadraten. Gleichseitige Dreiecke und regelmäßige Sechsecke pflastern ebenfalls die Ebene; es ist erlaubt, die Quadrate zu Parallelogrammen zu verzerren und – unter Beibehaltung der Eckpunkte – parallele Seiten zu deformieren, irgendwie, bloß beide Seiten in derselben Weise. Man darf auch zum Beispiel in der Quadratekachelung den Quadraten alle Ecken abschneiden, sodass nur noch regelmäßige Achtecke übrig bleiben, und schräge Quadrate in die Lücken füllen. Wenn man diese Techniken verallgemeinert und kombiniert, bekommt man wesentlich mehr Pflasterungen, als der ambitionierteste Fliesenleger je verwenden kann.

Aber das ist alles noch die erste Stufe der Parkettierkunst: periodische Parkette. Man hat zwei Vektoren in der Ebene, die nicht gerade parallel zueinander sind. Verschiebt man das ganze Parkett um einen dieser Vektoren, so sieht es genau so aus wie zuvor. Dann kann man es auch beliebig oft mit jedem der beiden Vektoren verschieben und damit ein begrenztes Stück Parkett bis ins Unendliche ausdehnen: sehr praktisch für den Fliesenleger, aber es kommt eben auch nichts Neues.

Die nächste, schwierigere und interessantere Stufe sind die nichtperiodischen Parkette. Bei ihnen gibt es diese Verschiebungsvektoren, die das ganze Parkett auf sich selbst abbilden, einfach nicht; stattdessen sind Eigenschaften wie Fünfersymmetrie erreichbar, die bei einem periodischen Parkett aus prinzipiellen Gründen nicht auftreten können.

Fünfzählige Drehsymmetrie – eine wesentliche Eigenschaft des regelmäßigen Fünfecks – und Periodizität vertragen sich nicht, weswegen zwar regelmäßige Drei-, Vier- und Sechsecke sich zum Badezimmerkacheln eignen, aber regelmäßige Fünfecke eben nicht. Wenn man sie parallel in eine Reihe legt, kann man eine weitere Reihe Fünfecke "auf dem Kopf" darüber legen und eine weitere spiegelbildlich darunter. Das gibt immerhin ein periodisches Muster; aber man muss eine weitere Fliese in Form einer schmalen Raute (Öffnungswinkel 36 Grad) einführen, damit es eine Pflasterung wird (Bild 1).
Bild 1 | Periodische Muster mit regelmäßigen Fünfecken brauchen (zum Beispiel) schmale Rauten als Lückenfüller.


Versucht man Fünfecke dicht an dicht in der Ebene auszulegen, kommt man auf Zehnerringe mit einem Zehneck in der Mitte. Oder man umgibt ein Pentagramm (einen Fünfstern) recht anmutig mit solchen Zehnerringen. Und dann geht es irgendwie nicht richtig weiter. Die nächsten Zehnerringe, die man außen daranfügen möchte, geraten sich in die Quere, und wie man es auch anstellt, es bleiben irgendwelche Lücken, in die keine Regelmäßigkeit hineinzubringen ist. Kein Geringerer als Johannes Kepler hat sich an solchen Mustern versucht, ist allerdings auch nicht besonders weit gekommen (Bild 2).
Bild 2 | Johannes Keplers Pflasterung der Ebene mit Fünfecken und "Lückenfüllern". Aus "Harmonice Mundi"


Ein paar Jahrhunderte später machte sich Roger Penrose daran, Keplers Gedanken weiterzudenken. (Ich übrigens auch. Meine Bemühungen, mit Lineal, Geodreieck und hinterher bunten Filzstiften möglichst viele Fünfecke auf ein Blatt Papier zu packen, haben mir viele langweilige Geschichtsstunden versüßt. Leider bin ich damals nicht auf die Idee gekommen, eine ernsthafte mathematische Theorie daraus zu machen.) Er genehmigte sich außer den Fünfecken selbst noch ein paar Pflastersteine, die genau in die Lücken passen: die schmale Raute, das Pentagramm und ein dreispitziges Teil, das ich "Schiffchen" genannt habe. Und siehe da, es gelang ihm, keplersche Muster bis ins Unendliche auszudehnen – nichtperiodisch, wohlgemerkt.

Als echter Mathematiker suchte er natürlich nach der einfachsten möglichen Ausdrucksform für die von ihm gefundenen Pflasterungen. Man zerlege ein Fünfeck in fünf Dreiecke, indem man seinen Mittelpunkt mit jeder Ecke verbindet. Zwei Dreiecke aus benachbarten Fünfecken kann man zu einer dicken Raute (Öffnungswinkel 72 Grad) zusammenfassen. Eine dicke Raute kann man längs statt quer zerteilen und zwei Hälften aus verschiedenen Rauten wieder zusammenfügen ... es gibt sehr viele Möglichkeiten, aus einem bestehenden Parkett ein neues zu machen. Penrose verwandelte auf diesem Wege seine ursprünglichen nichtperiodischen Parkette in solche von unübertroffener Einfachheit und Eleganz. Sie enthalten nur zwei Sorten Pflastersteine: entweder dicke und dünne Rauten oder "Drachen" (aus zwei halben dünnen Rauten) und "Pfeil" (zwei halbe dicke Rauten). Beide Parkettarten sind obendrein noch ineinander umwandelbar. Die Umwandlungsvorschriften geben das Material für eine höchst reichhaltige und weit verzweigte Theorie her (Spektrum der Wissenschaft 11/1979, S. 22, 11/1998, S. 112, 2/2002, S. 64; siehe die Links auf der linken Seite). Und kaum haben die Mathematiker ihre Theorie einigermaßen beisammen, kommen die Physiker und entdecken die Quasikristalle. Das sind nichtperiodische Anordnungen von Atomen, und es stellt sich heraus, dass die nichtperiodischen Parkettierungen ein geeignetes Hilfsmitel sind, um Quasikristalle zu verstehen (siehe Link auf der linken Seite). Da gibt es also über den Spaß an den schönen Mustern hinaus sogar noch eine richtige Anwendung.

Am schönsten wäre es, wenn man an jede Ecke eines Penrose-Rautenmusters ein Atom setzen könnte (und zwar Atome verschiedener Elemente in die verschiedenartigen Ecken) und auf diese Weise einen Quasikristall erhielte. Aber das funktioniert nicht ganz so einfach. Erstens müsste man die zweidimensionalen Parkettierungen der Ebene auf drei Dimensionen erweitern – dafür gibt es immerhin Möglichkeiten; zweitens sitzen die Atome nicht unbedingt auf den Ecken, sondern man muss das Rautenparkett abermals, durch geschicktes Zerlegen und Zusammenfügen, in ein anderes Parkett umwandeln, bevor man die neu gewonnenen Pflastersteine durch Atome "dekorieren" kann. Eine solche Umwandlung hat Petra Gummelt von der Universität Greifswald vor einigen Jahren vorgenomen (Spektrum der Wissenschaft 7/1999, S. 14, siehe Link auf der linken Seite). Von der physikalischen Anwendung ganz abgesehen, sieht das Ergebnis ausgesprochen ansehnlich aus; ein Poster, das ich aus diesem Anlass verfertigt habe, ist übrigens immer noch erhältlich. A propos Ästhetik: Kürzlich haben Peter J. Lu und Paul J. Steinhardt islamische Parkettierungen als Umwandlungen des klassischen Penrose-Rautenparketts identifiziert ("Decagonal and quasi-crystalline tilings in medieval Islamic architecture", Science, Bd. 315, S. 1106, 23. Februar 2007, siehe Link auf der linken Seite).

Drittens könnte es durchaus nichtperiodische, auf der Geometrie des regelmäßigen Fünfecks basierende Pflasterungen der Ebene geben, die richtig neu sind in dem Sinne, dass sie sich nicht als Umwandlungen eines Penrose-Parketts interpretieren lassen. An dieser Stelle kommen Mukundi Hartmann und seine "Krone" ins Spiel.

Der Mann mit dem markanten Vornamen hat ein regelmäßiges Fünfeck genommen und eine seiner fünf Ecken mitsamt den ihr anliegenden Seiten "nach einwärts umschnappen lassen", so als hätte das Fünfeck an dieser Ecke fürchterlich eins auf die Nase gekriegt (Bild 3).
Bild 3 | Mukundis Krone entsteht aus einem regelmäßigen Fünfeck durch Wegnehmen einer dicken Raute.

Oder: Es handelt sich um ein Fünfeck minus einer dicken Raute. Mit etwas Fantasie kann man tatsächlich eine kleine Krone darin sehen. Soweit nichts wirklich Bemerkenswertes.

Erst bei näherer Betrachtung stellt sich heraus: Die Krone hat es in sich! Zunächst eignet sie sich für periodische Parkettierungen, trotz der einspringenden Ecke, die bei Pflastersteinen sonst nicht so gut kommt. Setzt man Kronen wie zuvor die Fünfecke parallel nebeneinander, ergibt sich eine Pflasterung, die wie zuvor mit schmalen Rauten aufzufüllen ist (Bild 4).
Bild 4 | Periodische Pflasterung aus Kronen und schmalen Rauten


Aber die Krone kann es auch ganz alleine! Eine gerade Krone, darauf eine schräge, darauf wieder eine gerade und so weiter ergeben einen geradlinig begrenzten Streifen (Bild 5).
Bild 5 | Noch eine periodische Pflasterung: Die Krone schafft es auch alleine.
Deren kann man natürlich beliebig viele nebeneinanderlegen, parallelverschoben oder kopfstehend, und obendrein die Streifen beliebig gegeneinander verschieben. Nur die Puristen verlangen, dass eine Ecke nicht mitten auf eine andere Seite treffen soll.

Das ist aber noch nicht alles. Die parallele Anordnung von Kronen kann man statt mit schmalen Rauten auch mit weiteren, schrägen Kronen stopfen, auf die kann man wieder gerade Kronen aufsetzen oder auch noch schrägere, was in der Fortsetzung auf die Streifen von oben hinauslaufen würde (Bild 6), man kann sich noch andere Anordnungen ausdenken.
Bild 6 | Und noch eine periodische Pflasterung mit schräg aufeinander getürmten Kronen
Ich schätze, es gibt – selbst für Puristen – unendlich viele wesentlich verschiedene Möglichkeiten, mit Kronen die Ebene zu pflastern.

Zu allem Überfluss fügen sich zehn Kronen bereitwillig zu einem regelmäßigen Zehneck (Bild 7), welch selbiges man mit einem Ring von Fünfecken umgeben könnte.
Bild 7 | Zehn Kronen ergeben ein Zehneck.


Eine Krone, ein Fünfeck und eine schmale Raute zusammen ergeben einen klassischen (periodischen) Pflasterstein (Bild 8).
Bild 8 | Wieder eine periodische Pflasterung: Zwei Kronen, eine dicke und eine schmale Raute ergeben einen periodischen Pflasterstein.


Umgibt man ein Fünfeck mit Kronen und füllt die entstehenden Lücken mit schmalen Rauten, ergibt sich auf einmal ein Pentagramm mit der doppelten Seitenlänge (Bild 9).
Bild 9 | Fünfstern aus Kronen: Das Pentagramm hat die doppelte Kantenlänge seiner Bestandteile.


Ein Pentagramm ist zerlegbar in zwei Kronen plus eine schmale Raute, ein Schiffchen in eine Krone plus eine schmale Raute (Bild 10), ein Fünfeck sowieso in eine Krone plus eine dicke Raute, ein Zehneck in zehn Kronen (siehe oben).
Bild 10 | Pentagramm und Schiffchen lassen sich aus Kronen und schmalen Rauten zusammensetzen.


Also kann man Penroses ursprüngliches Muster aus Fünfecken, schmalen Rauten, Pentagrammen und Schiffchen auch durch Kronen, schmale Rauten und dicke Rauten ausdrücken – ein anderer denkbarer Weg zu Einfachheit und Eleganz.

Es gibt bloß einen Nachteil. Für die Zerlegung eines Fünfecks, Schiffchens oder Pentagramms in Krone plus Sonstiges gibt es jedesmal mehrere Möglichkeiten (Bild 11).
Bild 11 | Eine klassische Parkettierung aus Fünfecken, Zehnecken, schmalen Rauten, Pentagrammen und Schiffchen An diesem Parkett habe ich verschiedene Möglichkeiten durchprobiert, ausschließlich mit Fünfecken, schmalen Rauten und Kronen auszukommen. Deswegen sieht das alles etwas willkürlich aus.
Das gibt dem Fliesenleger mehr künstlerische Freiheit, als ihm recht ist. Wenn man jedes ursprüngliche Penrose-Teil per Zufall zerlegt, ist das Ergebnis zwar unperiodisch, aber auch irgendwie beliebig und sieht dementsprechend nicht besonders eindrucksvoll aus. Interessant wäre eine Vorschrift, die einem zu jedem Teil sagt, wie man es zerlegen soll, mit dem Ergebnis, dass das Muster so aussieht, als müsste es so und nicht anders sein.

Beim klassischen Penrose-Parkett wird dieses Problem – neben vielen anderen – mit einem besonderen Verfahren gelöst. Es heißt "Inflation"; aber das Wesentliche daran ist nicht das "Aufblasen" (was die wörtliche Bedeutung von "Inflation" ist), sondern das vorhergehende Zerlegen. Am besten arbeitet man nicht mit den Rauten selbst, sondern mit den halben Rauten: Eine schmale Raute ergibt zwei hohe Dreiecke, eine dicke ergibt zwei breite (Bild 12 oben).
Bild 12 | Inflation für halbe Rauten: Ein hohes und ein breites Dreieck werden in verkleinerte Versionen ihrer selbst zerlegt.

Man zerlegt nun jedes breite Dreieck in ein hohes und ein kleines breites und jedes hohe Dreieck in ein kleines breites und ein kleines hohes (Bild 12 unten). Das funktioniert, weil beide Dreiecke vom regelmäßigen Fünfeck abstammen und ihr Seitenverhältnis daher gleich dem Goldenen Schnitt τ (= (1+ √ 5 )/2) ist. Dann vergrößert man das ganze Muster mit dem Faktor τ und hat wieder Dreiecke der ursprünglichen Größe. Aus einem kleinen Stück Penrose-Parkett (im Extremfall einem einzigen Dreieck) macht man so ein größeres Stück und durch beliebig häufiges Wiederholen der Inflationsprozedur ein beliebig großes Stück. So ziemlich alles, was man über die Penrose-Parkette weiß – und das ist nicht wenig –, gewinnt man über das Inflationsverfahren und dessen Umkehrung (die "Deflation").

Bei genauerem Hinsehen stellt man fest: Im Prinzip gibt es zwei spiegelbildlich gleiche Möglichkeiten, ein hohes wie ein breites Dreieck zu zerlegen. Damit die Inflationsprozedur richtig funktioniert, müssen die beiden gleichen Seiten jedes Dreiecks als verschieden gelten: Eine ist zerlegbar, die andere nicht. Diese Eigenschaft vererbt sich nach festzulegenden Regeln auf die Kinderdreiecke, die durch Zerlegung aus jedem Dreieck hervorgehen. In jedem Penrose-Parkett kommen beide spiegelbildlich gleichen Versionen jedes Dreiecks vor.

Damit möchte ich Sie, verehrte Leser, zum Spielen einladen: Legen Sie hübsch symmetrische Parkette aus Krone, schmaler und dicker Raute und wenn Sie wollen, auch aus Fünfeck und Pentagramm. Auch ohne große Theorie kommt da allerlei zusammen (Bild 13).
Bild 13 | Drehsymmetrische Flächenfüllungen: Man kann ja mal ein bisschen rumprobieren ...


Wenn Sie tiefer einsteigen wollen: Suchen Sie ergiebige Inflationsregeln! Im Prinzip kann man die Krone und die beiden Rauten in verkleinerte Versionen ihrer selbst zerlegen (Bild 14).
Bild 14 | Eine von vielen denkbaren Inflationsregeln: Das dadurch erzeugte Muster ist sicher nicht sehr kronenreich. Aber es gibt andere Regeln ...


Allerdings sind die nicht mit dem Faktor τ, sondern mit τ² verkleinert. Vielleicht finden Sie schönere Zerlegungen. Ich weiß noch nicht, ob "meine" Regeln ansehnliche Parkette ergeben. Es ist auch noch unklar, ob eine Inflationszerlegung eher symmetrisch oder asymmetrisch sein sollte.

Inzwischen ist eine überarbeitete Version dieses Tagebucheintrags als Artikel im gedruckten Heft erschienen.

Christoph Pöppe

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