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Mathematische Knobelei: Backstage beim Tarifpoker

Tradition ist wichtig. Sie gibt dem Leben Halt, dem Weihnachtsmann einen sicheren Arbeitsplatz und den Funktionären eine Existenzberechtigung. Dabei geht es hinter den Kulissen oft banaler zu, als unsere TV-Nachrichten-Weisheit sich träumen ließe. Oder haben Sie gewusst, wie in Wahrheit die seltsamen Einigungen in Tarifstreits zustande kommen?
In jedem fortschrittlichen Gesellschaftssystem gibt es Menschen, die haben ihren Platz im Leben gefunden. Möglichst weit oben in der Hierarchie sollte der sein, mit einem ausgeprägten Quäntchen an Macht und Einfluss. Den eigenen Fähigkeiten entsprechend und selbstverständlich in Verantwortung tragender Position. André Untermann ist so ein Mensch. Als Pförtner eines großen Telemonologunternehmens ist er der Herr über Schlüssel und Türen. Untermann bestimmt, wer morgens in sein Büro kommt und wann er es wieder verlassen kann. Ohne ihn öffnet sich kein Konferenzraum und geht niemand auf Toilette. Von seinem Wohlwollen hängt es ab, ob Waren das Lager verlassen und Kontrolleure der Vereinten Nationen die Produktion inspizieren dürfen. Ohne Frage: Untermann ist die wichtigste Person im Unternehmen.

Leider ist Untermann ein harter Hund. So behaupten es zumindest die Vertreter der Gewerkschaft. Und die müssen es wissen, denn sie sitzen jedes Jahr wieder mit Untermann zum traditionellen Tarifpoker an einem Tisch. Die Gewerkschaften und ein zufällig ausgewählter Studierender der Spieltheorie, der mit dem Unternehmen und dessen Schicksal zwar eigentlich ganz und gar und überhaupt nichts zu tun hat und die Runde nur auf drei Teilnehmer aufstocken soll. Denn in Mathemazumbien trägt der Tarifpoker bekanntermaßen seinen Namen zu Recht. Und Pokern mit nur zwei Spielern macht eben nur den halben Spaß.

Gezockt wird auf den drei großen Gebieten: Arbeitszeit, Arbeitslohn und Urlaubstage. Mit hohen Einsätzen. So gibt es stets nur drei unterschiedliche Stufen pro Kategorie. Bei der Arbeitszeit sind dies "7 Tage die Woche rund um die Uhr", "So viel oder wenig wie alle anderen" und "Wenn gerade sowieso nichts im Fernsehen kommt“. Für den Arbeitslohn stehen zur Auswahl "Genug für ein Leben in Saus und Braus“, "Ausreichend für ein bescheidenes Häuschen oder eigene Kinder“ und "Woanders haben die Leute auch zwei oder drei Jobs nebeneinander“. Die Vorgaben der Urlaubstage lauten schließlich "Von Neujahr bis Silvester“, "Jederzeit, wenn es regnet“ und "Nur, wenn es in der Firma gerade brennt“. Insgesamt folglich 27 mögliche Kombinationen, wie die Arbeitsbedingungen für die Zukunft aussehen könnten.

Da es sich beim Tarifpoker um ein Kartenspiel handelt, ist jede dieser Kombinationen auf jeweils eine Karte aufgedruckt. Während dem Studierenden der Spieltheorie so ziemlich egal ist, welche Zeiten, Löhne und Urlaube dabei zusammenkommen, solange es mittags in der Kantine Käsespätzle und Schokoladenpudding gibt, bevorzugt die Gewerkschaft natürlich permanent hoch bezahlte Freizeit und Untermann dagegen anspruchslose Powerdrohnen. Ideale Voraussetzungen für lange Spielnächte voll hart gedroschener Pokerrunden.

Dazu werden die Karten gemischt und an die drei Tarifzocker ausgeteilt. Abwechselnd werfen sie je eine Karte in die Mitte. Gelingt es dabei dem Spieler, der sein Blatt als letztes ausspielt, einen Stich zu landen, erhält er einen Punkt. Als Stich gilt, wenn die drei liegenden Karten
• für den Arbeitslohn alle übereinstimmen oder alle verschieden sind,
• für die Arbeitszeit alle das gleiche anzeigen oder alle etwas unterschiedliches,
• für den Urlaub drei gleiche oder drei verschiedene Aussagen machen.
Allerdings bringt jede Konstellation nur einmal einen Punkt! Landet sie ein zweites Mal auf dem Tisch, verpufft sie ebenso wirkungslos wie die Warnstreiks und Aussperrungen, die gerne im Rahmenprogramm des Tarifpokers zelebriert werden.

Die Verhandlungen finden ihr Ende, wenn alle möglichen Punkte verteilt wurden. Dem Sieger werden alsdann die Augen verbunden und er zieht aus dem kompletten Kartensatz eine Karte, deren Aufdruck sodann alle drei Parteien als akzeptablen Kompromiss der Belegschaft und Öffentlichkeit vorstellen. Doch bis es soweit ist, geht so manche Nacht ins Land. Denn es sind nicht wenige Punkte, die beim Tarifpoker vergeben werden. Was meinen Sie – wie viele verschiedene Stiche sind möglich?
So eine Pokerrunde ist ja an sich schon eine kräftezehrende Sache. Und wenn dann auch noch die Stiche gezählt werden müssen, kann es wirklich anstrengend werden. Hoffentlich mussten Sie nicht wie die Tarifparteien mehrere Nächte opfern.
Die Stiche zu zählen, scheint anfangs gar nicht so leicht. Immerhin gibt es 2925 Möglichkeiten, Dreierkombinationen in diesem Spiel aus 27 Karten zu bilden. Und nun müssen ja noch die Stiche von den Nicht-Stichen getrennt werden ...

Mit einem kleinen Trick erweist sich das allerdings als gar nicht so schwer. Überlegen wir uns, wie so ein Stich zustande kommt. Der erste Spieler legt eine Karte auf den Tisch. Nehmen wir einmal an, auf der Karte steht in der Kategorie Arbeitszeit "7 Tage die Woche rund um die Uhr", in der Kategorie Arbeitslohn "Ausreichend für ein bescheidenes Häuschen oder eigene Kinder“ und in der Kategorie Urlaubstage "Nur, wenn es in der Firma gerade brennt“.
Nun legt der zweite Spieler seine Karte auf den Tisch. Er gibt mit seiner Karte die Bedingungen für einen Stich vor: Steht in der ersten Kategorie das gleiche wie auf der ersten Karte, also "7 Tage die Woche rund um die Uhr", so wird auch auf der dritten Karte "7 Tage die Woche rund um die Uhr" stehen müssen, um einen Stich herbeizuführen. Steht auf der zweiten Karte aber "So viel oder wenig wie alle anderen", muss die dritte Karte in dieser Kategorie "Wenn gerade sowieso nichts im Fernsehen kommt“ stehen haben. Entweder alle drei Karten sind bezüglich der Kategorie gleich oder verschieden. Es ist also eindeutig, was auf der dritten Karte bei "Arbeitszeit" stehen muss. Und natürlich gilt das analog für "Arbeitslohn" und "Urlaubstage". Wenn zwei Karten auf dem Tisch liegen, gibt es genau eine Karte, die für den Stich sorgen kann.

Der Rest ist ganz einfach. Wir müssen zunächst berechnen, wie viele verschiedene Kartenpaare man aus 27 verschiedenen Karten bilden kann. Da es zu jedem Paar genau eine Karte gibt, die daraus einen Stich macht, haben wir schon die Anzahl aller möglichen Stiche. Fast. Es darf nicht vergessen werden, dass die Reihenfolge, in der die Karten liegen, für uns keine Rolle spielt. Haben wir etwa einen Stich aus den Karten 5, 13 und 20 vorliegen, bei dem die Karte Nummer 20 dem Paar aus Karte Nummer 5 und 13 hinzugefügt wurde, so entspricht das dem Stich, bei dem den Karten Nummer 13 und 20 die Karte Nummer 5 oder den Karten Nummer 5 und 20 die 13 hinzugefügt wurde. Da auf diese Weise also jeder Stich dreifach gezählt wird, muss das bisherige Ergebnis noch durch drei dividiert werden. Das wars:

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