Gute Frage: Warum stehen Frauen auf True Crime?

Pendeln Sie gern mit einem Podcast über Serienkiller zur Arbeit? Oder verbringen Sie Ihre Feierabende mit Dokus über Sexualstraftäter? Kaum ein Genre boomt so sehr wie »True Crime«, Geschichten über wahre Verbrechen. Spannend dabei ist: Frauen konsumieren deutlich häufiger True Crime als Männer, egal ob in Buchform, als Podcast, im Fernsehen oder in den sozialen Medien. Selbst unter Menschen, die von sich selbst sagen, sie seien echte True-Crime-Liebhaber, gibt es diesen Trend. In einer Studie mit rund 600 Teilnehmenden fand ich heraus, dass weibliche Fans sich den Verbrechen im Schnitt etwa sieben Stunden pro Woche widmeten, männliche nur vier. Mord ist in dieser Hinsicht »Frauensache«. Aber weshalb?
Das Interesse an Gewalt scheint zunächst befremdlich. Die Welt ist grausam genug. Wieso holen sich manche Mord und Totschlag in ihrer Freizeit ins Haus? Lange glaubte man, dahinter stecke Voyeurismus oder Freude am Leid anderer. Doch in einer 2025 erschienenen Studie habe ich herausgefunden: 93 Prozent geht es darum, das Unbegreifliche einzuordnen – aber nicht darum, mit Tätern zu sympathisieren. Für uns Menschen ist Ungewissheit schwer auszuhalten. Wissen wir jedoch, wer hinter schlimmen Taten steckt, warum Menschen Schreckliches tun und wie sie dabei vorgehen, empfinden wir Verbrechen als weniger bedrohlich. Auf gewisse Weise haben wir das Gefühl, vorbereitet zu sein. So lässt sich auch erklären, dass manche von uns sich gern gruseln. Diese »Angstlust« könnte ein Trick unseres Gehirns sein, uns auf angenehme Weise mit negativen Dingen zu beschäftigen, um unser Überleben zu sichern.
Frauen fürchten sich im Schnitt mehr als Männer davor, einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Aus evolutionsbiologischer Sicht könnte das damit zu tun haben, dass Frauen im Schnitt weniger Muskelmasse und Kraft als Männer haben. Um gar nicht erst in einen Kampf verwickelt zu werden, ist es für sie wichtig, bestmöglich über Gefahren aus der Umwelt informiert zu sein. Ein Motiv für weiblichen True-Crime-Konsum ist also womöglich ein biologisch sinnvoller Selbstschutz! Dazu passt unser Forschungsergebnis, dass weibliche Fans sich mehr für Sexualdelikte und häusliche Gewalt interessierten – schließlich sind die meisten Opfer hier weiblich. Frauen sind unterm Strich empathischer als Männer. Deshalb interessieren sie sich womöglich mehr für Geschichten über Menschen und deren Psyche. So hängt auch True-Crime-Konsum mit mehr Empathie für andere zusammen, nicht mit weniger.
Frauen haben ein stärkeres Moralempfinden
86 Prozent der von mir befragten True-Crime-Konsumenten zeigten auch ein Interesse an Justiz und Polizeiarbeit. Hier geht es darum, Einblicke in mächtige staatliche Kontrollorgane zu erhalten – jene Instanzen, die über Recht, Ordnung und das Schicksal Einzelner entscheiden. Passend dazu zeigen Studien, dass Frauen ein stärker ausgeprägtes Moralempfinden haben als Männer. Geht es um Schuld, Strafe und Fairness, berührt das Frauen womöglich besonders und erklärt ihr Interesse an True Crime. Etwa drei Prozent fanden Straftäter sexuell anziehend, ein als »Hybristophilie« bezeichnetes Phänomen.
Selbstschutz, Empathie und Gerechtigkeitssinn erklären also in weiten Teilen die weibliche Faszination für True Crime. Individuelle Motive können natürlich davon abweichen; auch Freude am Rätselraten, die Sehnsucht nach Realitätsflucht oder ein Bedürfnis nach starken Emotionen spielen bei manchen eine Rolle. Die Forschung steht noch am Anfang. So ist bislang auch nicht gut untersucht, ob True-Crime-Konsum negative Auswirkungen haben und uns im Alltag ängstlicher, paranoider oder gewaltbereiter machen kann. Mein Rat: keine Sorge, wenn Sie True Crime mögen und sich gut dabei fühlen. Wenn sich Ihre Gedanken jedoch unablässig um Verbrechen drehen, gönnen Sie sich besser eine Pause – und wenden Sie sich wieder den helleren Seiten des Lebens zu.
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