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Gedächtnis: Können sich Menschen mit Tinnitus schlechter konzentrieren und Dinge merken?

Rund jeder siebte Deutsche hat einen Tinnitus. Stört der dauerhafte Lärm im Ohr auch Konzentration und Gedächtnis?
Frau mit Tinnitus

Es klingelt, saust oder pfeift im Ohr: Jeder vierte Deutsche wurde schon einmal von Ohrgeräuschen gequält. Meist sind sie nur von kurzer Dauer, doch etwa jeder siebte Bundesbürger lebt mit ihnen als Dauergast. Fast immer nehmen nur die Betroffenen selbst das Geräusch wahr. Es entsteht durch eine Fehlfunktion der Haarzellen im Innenohr oder in der Hörbahn, ohne dass eine Schallquelle existiert. Auslöser sind häufig Stress, Hörstürze oder eine Mittelohrentzündung. Nur in einem Prozent der Fälle ist der Tinnitus objektiv hörbar; seine Ursache ist dann ein Körpergeräusch wie der Blutfluss einer Vene in der Nähe des Ohrs.

So wie wir uns mit der Zeit an Verkehrslärm gewöhnen, wenn wir an einer stark befahrenen Straße wohnen, können die meisten Patienten ihren Tinnitus relativ gut ausblenden. Etwa 10 bis 20 Prozent empfinden ihn jedoch als störend und berichten häufig von Problemen, sich zu konzentrieren und zu lernen.

Tinnitus beeinträchtigt das Arbeitsgedächtnis sowie die autobiografische Erinnerung

Schwedische Forscher um Gerhard Andersson gingen der Frage nach, wie stark die Ohrgeräusche tatsächlich die Konzentration und das Gedächtnis beeinträchtigen. Sie verglichen die Leistung von Tinnituspatienten und Gesunden im so genannten Stroop-Paradigma. In diesem Test sollen die Probanden jeweils benennen, in welcher Farbe ein auf dem Bildschirm präsentiertes Wort geschrieben ist, und dabei den Begriff selbst ignorieren. Das ist gar nicht so einfach: Versuchen Sie einmal, die Farbe des Wortes ROT anzugeben. Ihr Gehirn muss dabei widersprüchliche Informationen verarbeiten. Dies erschwert es, die korrekte Antwort "Schwarz" zu geben. Patienten mit einem chronischen Ohrgeräusch gelang das häufig besonders schlecht.

Zwei Aufgaben gleichzeitig zu erledigen fällt schwer

Auch das gleichzeitige Bearbeiten zweier Aufgaben bereitet vielen Betroffenen Probleme, wie Catherine Stevens und ihre Kollegen von der University of Western Sydney zeigten. Menschen mit und ohne Tinnitus sollten Wörter vorlesen, die in einer Ecke des Bildschirms erschienen, und simultan immer dann eine Taste drücken, wenn in der Mitte des Monitors ein Rechteck auftauchte. Das beansprucht die "geteilte Aufmerksamkeit", eine Fähigkeit, die wir täglich brauchen, etwa wenn wir telefonieren und gleichzeitig darauf achten, dass unser Essen auf dem Herd nicht anbrennt. Personen mit Ohrgeräusch schnitten bei der Auf­gabe schlechter ab, ebenso schien ihr Arbeitsgedächtnis stärker beeinträchtigt als das Gesunder, da sie sich weniger gehörte Wörter merken konnten.

Die französische Psychologin Caroline Cuny präsentierte Patienten mit einseitigem Ohrgeräusch auf je einer Seite Klänge, die es zu kategorisieren galt. Auf der anderen Seite hörten die Probanden nur ab und zu Töne. Solche Störreize beanspruchen normalerweise kurz die Aufmerksamkeit und beeinträchtigen dadurch die Leistung. Hörten die Versuchspersonen die störenden Geräusche auf ihrem gesunden Ohr, waren sie weniger abgelenkt, als wenn diese auf jenem mit Ohrgeräusch dargeboten wurden. Denkbar wäre, dass die auditive Aufmerksamkeit bei Personen mit einseitigem Ohrgeräusch automatisch auf das Ohr mit Tinnitus gerichtet ist und es ihnen deshalb schwerer fällt, diese auf das gesunde Ohr zu lenken.

Außerdem haben Tinnituspatienten offenbar ähnliche Defizite in ihrem autobiografischen Gedächtnis wie Depressive. 2013 zeigte das Team um Gerhard Andersson Testpersonen eine Reihe von Adjektiven, zu denen sie eine möglichst konkrete Geschichte aus ihrem Leben erzählen soll­ten. Patienten mit Tinnitus oder einer Depres­sion taten sich damit schwerer als Gesunde und berichteten von weniger Erinnerungen.

Betroffene sollten lernen, dem Lärm im Kopf weniger ­Aufmerksamkeit zu schenken

Warum Tinnituspatienten bei einer Reihe von kognitiven Aufgaben schlechter abschneiden, ist noch nicht klar. Einer Annahme zufolge stören Ohrgeräusche die Informationsverarbeitung, indem sie kognitive Ressourcen verbrauchen, die dann nicht mehr für anderes zur Verfügung stehen. Es scheint jedoch so, als falle es bei schweren Aufgaben leichter, die Aufmerksamkeit vom Geräusch wegzulenken. Bei einfachen Aufgaben, die nicht die volle Konzentration benötigen, stört der Tinnitus möglichweise mehr. Allerdings steht die Forschung in diesem Bereich noch am Anfang.

Wie man mit dem ständigen Pfeifen im Ohr umgeht und ob man es als Feind betrachtet oder nicht, könnte mitentscheidend dafür sein, wie sehr es einen ablenkt. Deshalb sollten Betroffene lernen, den Tinnitus auszublenden. Dabei kann mehreres helfen: ein so genannter maskierender Reiz, der den Ton mit einem angenehmeren über­deckt; ein "Noiser", der ein ähnliches Geräusch erzeugt und wie ein Hörgerät aussieht; oder eine Psychotherapie, bei der der Patient lernt, dem Lärm im Kopf weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Denn je weniger kognitive Ressourcen der ungeliebte Dauergast schluckt, des­to weniger kann er die geistige Leistung stören.

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  • Quellen

Andersson, G. et al.: Autobiographical Memory Specificity in Patients with Tinnitus Versus Patients with Depression and Normal Controls. In: Cognitive Behaviour Therapy 42, S. 116–126, 2013

Andersson, G., McKenna, L: The Role of Cognition in Tinnitus. In: Acta Oto-Laryngologica 126, S. 39–43, 2006

Andersson G. et al.: Tinnitus and Cognitive Interference: A Stroop Paradigm Study. In: Journal of Speech, Language, and Hearing Research 43, S. 1168–1173, 2000

Cuny, C. et al.: Reduced Attention Shift in Response to Auditory Changes in Subjects with Tinnitus. In: Audiology & Neurootology 9, S. 294–302, 2003

Stevens, C. et al.: Severe Tinnitus and its Effect on Selective and Divided Attention. In: International Journal of Audiology 46, S. 208–216, 2007

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