Direkt zum Inhalt

Sinne: Hören wir mit geschlossenen Augen besser?

Malte Wöstmann ist Kognitionswissenschaftler an der Universität zu Lübeck. Er untersucht die Grundlagen der Aufmerksamkeit, etwa wenn sich Menschen unter erschwerten Bedingungen konzentrieren.
Frau mit geschlossenen Augen

Schließen Sie auch manchmal die Augen, wenn Ihnen das Zuhören schwerfällt? In »akustisch anspruchsvollen« Situationen wie etwa bei einem Hörtest oder am Handy bei schlechtem Empfang haben viele Menschen das Gefühl, dass ihnen das Schließen der Augen hilft. Handelt es sich dabei lediglich um einen subjektiven Eindruck, oder lässt sich das mit objektiven Messungen untermauern? In einer 2020 veröffentlichten Studie gingen meine Kollegen und ich von der Forschungsgruppe »Auditive Kognition« der Universität zu Lübeck dieser Frage nach.

Denkbar wäre tatsächlich, dass das Ausblenden visueller Informationen mehr Aufmerksamkeitskapazität für das Hören bereitstellt. So entdeckten Neurowissenschaftler bereits in den 1940er Jahren, dass die Hirnströme von Menschen mit geschlossenen Augen oft ganz ähnliche Muster zeigen wie beim konzentrierten Zuhören. In beiden Fällen steigt die Amplitude der so genannten Alphawellen, also relativ langsamer Hirnwellen mit einer Frequenz von zirka zehn Schwingungen pro Sekunde. Sie kennzeichnen den entspannten Wachzustand.

Die subjektiv empfundene und die objektive Leistung sind zwei Paar Stiefel

Aus vielen Untersuchungen ist ebenfalls bekannt, dass dieses typische Wellenmuster dann auftritt, wenn unser Gehirn Umweltreize unterdrückt, die für eine gegebene Aufgabe irrelevant sind oder dabei stören. Und genau darauf kommt es offensichtlich auch beim konzentrierten Zuhören an: Wir müssen selektiv auf das Wesentliche achten und alles Ablenkende ausblenden. Insofern erscheint es durchaus plausibel, dass wir mit geschlossenen Augen besser zuhören können.

In unserem Labor sollten studentische Versuchsteilnehmer entweder der männlichen oder der weiblichen von zwei abwechselnd dargebotenen Stimmen Beachtung schenken. Zusätzlich sollten sie dabei in manchen Durchgängen die Augen schließen. Währenddessen leiteten wir über Elektroden an der Kopfhaut die Hirnströme der Probanden ab. Beim konzentrierten Zuhören stieg die Amplitude der Alphawellen im Elektroenzephalogramm (EEG) wie zu erwarten an. Das rhythmische Auf und Ab der Hirnströme wurde durch das Schließen der Augen zudem noch verstärkt. Doch steigerte dies auch die kognitive Leistung in der gestellten Höraufgabe?

Entgegen der verbreiteten Annahme hatte das Schließen der Augen keinen Einfluss darauf, wie gut die Versuchspersonen den Inhalt dessen wiedergeben konnten, was die jeweils zu beachtende Stimme sagte. Im Nachhinein erinnerten sich die Probanden nicht besser an diejenigen Worte, denen sie zuvor mit gesenkten Lidern Aufmerksamkeit geschenkt hatten, als an jene, denen »sehenden Auges« gelauscht worden war. Sie konnten sich also nicht besser als sonst auf die jeweils relevante Stimme konzentrieren.

Ein weiteres Experiment bestätigte unser Ergebnis. Die Teilnehmer sollten nun einen leisen Ton aus dem allgemeinen Hintergrundrauschen heraushören – doch das gelang ihnen mit geschlossenen Augen ebenso gut oder schlecht wie mit geöffneten. Obwohl diese Befunde natürlich nicht generell widerlegen, dass Menschen mit geschlossenen Augen bestimmte Aufgaben besser bewältigen, zeigen sie zumindest: Die subjektiv empfundene und die objektive Hörleistung sind zwei Paar Stiefel. Anscheinend spiegelt unsere intuitive Selbstwahrnehmung nicht zwangsläufig die Realität wider.

Sollten Sie selbst zu denjenigen Menschen zählen, die gern die Augen schließen, wenn ihnen das genaue Zuhören schwerfällt, dann tun Sie dies getrost weiterhin. Nur erwarten Sie nicht, dass sich Ihr Gehör dadurch verbessert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Vredeveldt, A. et al.: The effects of eye-closure and »ear-closure« on recall of visual and auditory aspects of a criminal event. Europe’s Journal of Psychology 8, 2012

Vredeveldt, A. et al.: Eye closure helps memory by reducing cognitive load and enhancing visualisation. Memory & Cognition 39, 2011

Wöstmann, M. et al.: Does closing the eyes enhance auditory attention? Eye closure increases attentional alpha-power modulation but not listening performance. Journal of Cognitive Neuroscience 32, 2020

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.