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Nervenkitzel: Warum gruseln wir uns gern?

Der Psychologe Peter Walschburger beschäftigt sich mit der Lust am Gruseln und erklärt, warum manche Menschen Horrorfilme und Geisterbahnen lieben.
Horror-Clown vor gestreiftem Hintergrund

Das Unheimliche lässt uns schaudern und zieht uns gleichzeitig in seinen Bann. Doch was reizt uns so an gruseligen Orten und Geschichten, und warum faszinieren uns Horrorfilme ebenso wie Nachrichten von Unfällen, Gewaltexzessen oder Katastrophen? Wenn sich jemand gruselt, empfindet er meist mehr als bloße Angst. Vielmehr ist das Gruseln eine Mischung aus scheinbar widersprüchlichen Gefühlen, die mit körperlichen Veränderungen einhergeht. Zu Grunde liegt ein uraltes Handlungsmuster, das sich seit Jahrmillionen bewährt hat.

Gerade in Situationen, in denen wir uns sicher und geborgen fühlen, haben wir die Möglichkeit, auf spielerische Art verschiedenste neue Erfahrungen zu sammeln. Wir können dabei gefahrlos erproben, wie gut wir beispielsweise mit Aufregung und Bedrohung, also mit negativen Gefühlen, umgehen können. Wer so genannte Angstlust empfindet, etwa beim Ansehen von Filmen wie »Der Exorzist«, ist zunächst unangenehm erregt. Diese Anspannung weicht dann mitunter einem Gefühl der Erleichterung und Freude.

Die Suche nach Nervenkitzel ist ein Selektionsvorteil

Der spielerische Umgang mit Nervenkitzel zieht vor allem abenteuerlustige ältere Kinder und Jugendliche an, aber auch viele Erwachsene. Andere wiederum, zum Beispiel viele unsichere oder ältere Menschen, können dem nicht so viel Lustvolles abgewinnen und meiden solche Situationen. Ein Blick in die kindliche Gefühls- und Bedürfniswelt zeigt, wie unsere Lust am Gruseln entsteht.

Wir werden als unsichere, hilflose Wesen in eine Umwelt hineingeboren, die uns schnell überfordert und bedroht. Entsprechend haben Babys und Kleinkinder ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern dieses befriedigen. In einer frühen Phase der Entwicklung sind Kinder in der Lage, eine tiefe Bindung einzugehen, meist mit der Mutter. Diese Beziehung ist die Basis des kindlichen Urvertrauens, einer Geborgenheitserfahrung, die den Grundstein für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Welt legt. Es sind dann später gerade die sicher gebundenen Kinder, die sich immer schneller immer mehr zutrauen. Diese Unternehmungslust erreicht in der Jugend ihren Höhepunkt. Dass Heranwachsende ihrer Eltern überdrüssig werden und fremde Sozialpartner als besonders attraktiv empfinden, erhöht unter anderem auch die Fortpflanzungschancen. Die Suche nach Nervenkitzel ist also ein Selektionsvorteil.

Eine Konfrontation mit dem Fremden ist dabei nicht nur positiv. Sie löst ambivalente Gefühle in uns aus, denn Fremdartiges ist immer auch potenziell gefährlich. Fühlen wir uns jedoch sicher, können wir besonders gut, nämlich spielerisch, mit solchen Aufregern umgehen. Nicht nur wir Menschen, selbst unsere nächsten Verwandten in der Tierwelt erproben deshalb in entspannter Umgebung den Umgang mit möglichen Gefahren – und lernen dabei ebenfalls viel für das künftige Leben und Überleben.

Das Gruseln als Angstlust lässt sich also auf eine uralte natürliche Handlungsbereitschaft zurückführen, die einen Überlebensvorteil bietet. Wir Menschen leben sie nicht nur im Kino oder in der Geisterbahn aus, sondern auch in den verschiedensten Gesellschaftsordnungen und kulturellen Kontexten – oft in Form von sozialen Ritualen wie Fastnacht oder Halloween.

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  • Quellen

Bischof, N.: Psychologie – Ein Grundkurs für Anspruchsvolle. Kohlhammer, Stuttgart 2008

Schneider, M.: Systems Theory of Social Motivation. In: Smelser, N. J., Baltes, P. B. (Hg.): International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Elsevier, Amsterdam 2001, S. 10120–10125

Walschburger, P.: Mensch-Umwelt-Beziehungen und Lebensqualität. Welche Rolle spielen Natur, Kultur und Zivilisation? In: Schmidt, W. G. (Hg.): Die Natur-Kultur-Grenze in Kunst und Wissenschaft – Historische Entwicklung – interdisziplinäre Differenz – aktueller Forschungsstand. Königshausen & Neumann, Würzburg 2014, S. 125–140

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