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Orientierung: Woher wissen Zugvögel, in welche Richtung sie fliegen müssen?

Während manche von uns ohne Navi aufgeschmissen wären, finden Zugvögel schnurstracks den Weg ins Winterquartier und zurück - und das allein mit ihren Sinnesorganen. Wie eigentlich?
Richtungsweisendes Orientierungsproblem

Ob von Europa bis ins südliche Afrika oder von Skandinavien bis ans Mittelmeer – zwischen Brutgebiet und nahrungsreichem Winterquartier finden jährlich rund 50 Milliarden Zugvögel präzise ihren Weg. Meist führt die Route im Herbst geradlinig gen Süden. Aber auch Bögen oder Schleifen, etwa westlich oder östlich an Alpen oder Himalaja vorbei, haben sich bei vielen Arten etabliert.

Woher Zugvögel "ihre" Richtung kennen, dafür gibt es eine scheinbar einfache Erklärung: Es liegt in ihren Genen. Selbst in Gefangenschaft aufgezogene Zugvögel zeigen im Frühjahr und Herbst eine so genannte Zugunruhe. Dabei schlagen sie sitzend mit den Flügeln und hüpfen umher – bevorzugt in Richtung des Brut- beziehungsweise Winterquartiers ihrer frei lebenden Artgenossen. In welche Richtung es eine bestimmte Art zieht, erfassen Forscher mit Orientierungskäfigen. Darin gefangene Vögel hinterlassen durch ihr Flattern Spuren, aus denen ersichtlich wird, wohin sie fliegen würden, wenn sie in Freiheit wären. Im Freiland helfen den Forschern Radar, Sender oder der Wiederfang individuell markierter Tiere. Auch die Länge der Route ist genetisch festgelegt: Die Zugunruhe hält genau so lange an, wie ein Flug zum "vorgesehenen" Ziel dauern würde. Ein perfektes System. Fast.

Gendefekte im Zugprogramm können die Vögel in die Irre führen, wie Studien an verirrten ostasiatischen Drosseln und Laubsängern nahelegen. Brenzlig wird es auch für unerfahrene Zugvögel, die von ihrer Route abkommen, etwa durch starke Winde. Das zeigen groß angelegte Experimente, die zugfreudige Stare oder Dachsammern hunderte Kilometer abseits ihrer Route verfrachten. Jungvögel folgen dann weiter der genetisch programmierten Richtung, ohne den Kurs oder die Flugstrecke zu korrigieren, und verfehlen dadurch ihr Winterquartier. Altvögel hingegen sind in der Lage, ihre Flugrichtung anzupassen, und finden so ihr Ziel.

Zugvögel haben den Kompass im Auge

Eine echte Navigation oder Zielfindung setzt voraus, den eigenen Standpunkt sowie die Richtung des Ziels einordnen zu können – diese Fähigkeit besitzen erfahrene Zugvögel sowie einige nicht ziehende Vögel, zum Beispiel Tauben. Die bloße Fähigkeit, einen bestimmten Kurs während der Fortbewegung beizubehalten, wie es die unerfahrenen Zugvögel tun, bezeichnet man hingegen als Orientierung. Dazu nutzen Zugvögel unter anderem Sonnen-, Sternen- und Magnetkompass.

Bei der Orientierung mittels Sonnenkompass berücksichtigen die Tiere mit Hilfe ihrer inneren Uhr den Tagesgang der Sonne, um so die Himmelsrichtungen korrekt zuzuordnen. Stare ändern etwa die Richtung ihrer Zugunruhe, wenn ein Spiegel einen anderen Einfallswinkel der Sonne vortäuscht. Das belegten Experimente bereits Mitte des letzten Jahrhunderts. Nach heutigen Erkenntnissen orientieren sich Zugvögel außerdem an der Ausrichtung des polarisierten Lichts des Himmels, aus der sich wiederum der Sonnenstand ermitteln lässt.

Den Sternenkompass nutzen vor allem nachts wandernde Arten wie viele Insektenfresser, Enten- und Schnepfenvögel. Das erforschten pfiffige Forscher schon ab Ende der 1950er Jahre in Planetarien. Stephen Emlen von der University of Michigan zeigte etwa, dass Indigofinken keine angeborene Karte mit Sternbildern im Kopf haben. Wie sternenkundige Menschen orientieren sie sich vielmehr an der scheinbaren Rotation des Himmelsgewölbes um den nördlichen beziehungsweise südlichen Himmelspol; auf der Nordhalbkugel dem Polarstern. Wie der Himmel zu interpretieren ist, lernen junge Vögel bereits früh, aber auch in Gefangenschaft aufgewachsene Vögel können es noch lernen.

Der Magnetkompass der Vögel basiert – anders als ein technischer Kompass – auf der Inklination der Magnetfeldlinien. Anhand ihres Neigungswinkels zur Erdoberfläche unterscheiden die Tiere die Richtungen polwärts (die Linien stehen zusehends senkrechter zur Erdoberfläche) und äquatorwärts (die Linien nähern sich einer Parallele zur Erdoberfläche an). Selbst Hühner besitzen diese Fähigkeit offenbar noch. Mittlerweile gehen Forscher davon aus, dass Vögel die Feldlinien mit dem Auge wahrnehmen, sie also regelrecht sehen können. In der Netzhaut von Rotkehlchen und Tauben identifizierten sie so genannte Cryptochrome, die sensitiv auf das Erdmagnetfeld reagieren und während der Zugzeiten verstärkt Signale an eine spezifische Hirnregion weitergeben. Diskutiert wird noch, ob Zugvögel eine Art "magnetische Landkarte" abspeichern, die lokale Veränderungen des Erdmagnetfelds enthält und ihnen dadurch hilft, in bekannten Gebieten besser zu navigieren.

Der Vogel navigiert mit allen Sinnen

Wie ein Vogel die Informationen der Kompasse verrechnet, ist vor allem dann von Bedeutung, wenn sie in unterschiedliche Richtungen weisen, zum Beispiel an Orten mit magnetischen Anomalien. Als wahrscheinlich gilt, dass sie ihren Magnet- und Sternenkompass anhand des Sonnenauf- beziehungsweise -untergangsorts kalibrieren sowie nach dem polarisierten Licht am Himmel. Drosseln etwa fliegen eine ganze Nacht lang in die falsche Richtung, wenn sie kurz vor Sonnenuntergang eingefangen und ihr Magnetfeldsinn experimentell gestört wird. Ihren Kurs korrigieren sie erst in der folgenden Nacht, nachdem sie zwischenzeitlich die Sonne gesehen haben.

Zum Navigieren nutzen erfahrene Zugvögel auch Geländemerkmale wie Flüsse, Gebirge, Städte oder Autobahnen. Durch ihr ausgeprägtes Langzeitgedächtnis finden sie am Zielort Futter-, Rast- und Brutplätze wieder, etwa anhand von Flussläufen, Bäumen oder Büschen. Auch das Duftmuster der Erde könnte dabei eine Rolle spielen. Von den Erfahrungen älterer Zugvögel profitieren die im Verband mitreisenden unerfahrenen Artgenossen. Sogar von menschlichen Zieheltern, die in einem Ultraleichtflugzeug vorwegflogen, lernten ausgewilderte Waldrappe aus dem Zoo ihren Weg ins Winterquartier.

Durch evolutive Prozess können sich das Zugverhalten beziehungsweise die zu Grunde liegenden Gene durchaus anpassen, etwa an veränderte Umweltbedingungen. Bei Arten etwa, in denen einige Individuen im Herbst gen Süden ziehen, andere aber vor Ort überwintern, haben die Daheimgebliebenen bei milden Wintern oft einen Selektionsvorteil: Sie sind vor den Heimkehrern im Brutgebiet, besetzen bessere Brutplätze und produzieren mehr Nachkommen. Bei solchen Teilziehern kann das Zugverhalten innerhalb weniger Generationen verschwinden, wie gezielte Kreuzungsversuche mit Mönchsgrasmücken zeigen. Schon heute führt der Klimawandel dazu, dass europäische Zugvögel im Herbst später losfliegen, im Frühjahr früher zurückkommen und kürzere Strecken ziehen. Peter Berthold, der ehemalige Leiter der Vogelwarte in Radolfzell, geht daher davon aus, dass es in unseren Breiten in 50 bis 100 Jahren überhaupt keinen Vogelzug mehr geben wird.

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