Direkt zum Inhalt

Mythos: Sind Hummeln wirklich zu dick zum Fliegen?

"Die Hummel kann eigentlich nicht fliegen. Aber sie weiß das nicht und fliegt einfach trotzdem!" Das "Hummel-Paradoxon" hält sich seit Jahrzehnten hartnäckig.
Hummel an Akeleiblüte

Der Mythos um die Hummel, die eigentlich nicht fliegen dürfte, es aber irgendwie doch tut, geht auf den französischen Entomologen Antoine Magnan zurück. 1934 verwies er in seinem Buch "Der Flug der Insekten" auf Berechnungen des Mathematiker André Sainte-Laguë. Demnach könne eine Flugzeugtragfläche in der Größe eines Hummelflügels mit Hummelgeschwindigkeit nicht fliegen. Die Aussage stimmt bis heute. Nur haben Hummelflügel und Flugzeugflügel eben nicht viel miteinander gemein, außer eines: wie sie Auftrieb erzeugen.

Eine Hummel ist kein Flugzeug

Auftrieb folgt aus einer ungleichen Umströmung der Flügel, hervorgerufen durch den Bernoulli-Effekt. Der Bioniker Albert Baars von der Hochschule Bremen beschreibt ihn so: "Wenn bei einem Flügel – egal ob bei einem Flugzeug oder einem Insekt – auf der Oberseite ein geringerer Druck herrscht als auf der Unterseite, dann kann sich der Flügel nach oben bewegen. Dazu wird der Winkel zur Anströmung und die Geometrie des Flügels so gewählt, dass sich die Luft oben auf einer stärker gekrümmten Bahn bewegt als unten. Je größer diese Krümmung ausfällt, umso geringer ist der Druck an der Oberseite."

Das kennt auch jeder schnelle Autofahrer: Wenn wir um eine enge, stark gekrümmte Kurve fahren, ziehen uns die Zentrifugalkräfte stark nach außen – in großen, weitläufigen Kurven merken wir die Kräfte kaum. "Genau das passiert mit der umströmenden Luft bei einem Tragflügel auch", so Baars weiter. "Mit wachsender Krümmung möchte sich die Luft zunehmend nach außen bewegen. Dort befindet sich aber schon Luft. Also folgt sie weiter der gekrümmten Bahn – wodurch der Druck sinkt und der Flügel nach oben gesaugt wird."

Die Biegung macht's | Je mehr sich die Luft bewegt, umso weniger Druck übt sie aus. Flugzeugflügel sind deswegen an der Oberseite gekrümmt – dadurch wirkt oben ein geringerer Druck als unten. Das erzeugt Auftrieb.

Das Geheimnis der Hummelflügel

Auch Hummelflügel sind gekrümmt: In ihren Flügeln selbst sitzt sogar ein Gelenk, durch das sie die Krümmung noch weiter verstärken können. Doch die Hummelflügel unterscheidet vor allem eins von Flugzeugflügeln: Sie bewegen sich. Was bei den Insekten nach einfachem Hoch und Runter aussieht, ergibt in Wirklichkeit eine in sich geschlossene Bewegung. Die Hummel schlägt ihre Flügel schräg von hinten nach vorne, wobei die Flügelspitzen immer den vordersten Punkt bilden; danach werden die Flügel gedreht, Ober- und Unterseite getauscht, und die Bewegung wird zurückgeführt. In diesem komplexen Ablauf liegt auch das Geheimnis der Hummel: die Bildung eines Vorderkantenwirbels. Charles Ellington von der University of Cambridge wies diesen Wirbel bei einem Nachtfalter nach, den er 1996 in einem Windtunnel untersuchte.

"Der Vorderkantenwirbel entsteht beim Abschlag", so Baars. "Er verläuft an der Oberseite des Flügels, nahezu parallel zur Vorderkante." Vorderkantenwirbel entstehen bei jeder Abwärtsbewegung neu und erzeugen einen starken Auftrieb: "Die Luft auf der Oberseite des Flügels muss um diesen Wirbel herum und folgt damit wieder einer gekrümmten Bahn. Das ergibt einen niedrigeren Druck – und so einen zusätzlichen Auftrieb", erklärt Baars.

In der Schwebe | Schematische Darstellung der Bewegungen einer schwebenden Hummel. Rot dargestellt ist die Bahn ihrer Flügelspitzen – die übrigens nicht immer so aussehen muss. Während die Helle Erdhummel (Bombus lucorum) eine solch elliptische Bewegung bildet, schlägt die Gartenhummel (Bombus hortorum) "Achten" in die Luft. Die auftriebserzeugende Wirkung des Vorderkantenwirbels ist blau skizziert.

Wirbel, die wir schon längst kennen

"Wenn es um die Erzeugung von hohem Auftrieb geht, sind Ingenieure ganz scharf auf diesen Wirbel", so Baars weiter. "Genutzt wird dieser bei Kleinstflugzeugen mit Schlagflugmodus, aber auch bei großen Flugzeugen mit Delta-Flügeln, wie bei der Concord oder bei Kampfjets. Bei konventionellen Flugzeugen findet man den Wirbel eher nicht." Die Flügelkanten von Personen- und Transportflugzeugen sind – im Gegensatz zu denen von Hummeln und Kampfjets – abgerundet. Vorderkantenwirbel entstehen nur an geometrisch scharfen Kanten, wenn sie in einem bestimmten Winkel zur Luftströmung stehen. Doch sie bringen immer auch Risiken mit sich: Ist der Winkel ungünstig, kann die Strömung abreißen.

Die Hummel aber hat ihre Wirbel fest im Flattergriff. Auch ihre kleineren Hinterflügel geben ihr zusätzlich noch einmal Auftrieb. Gekrümmte Flügel, Schlagbewegungen, Flügeldrehungen um die Längsachse, Vorderkantenwirbel, Hinterflügel – die Hummel wirft so einiges in die Waagschale, um sich in die Luft zu heben.

Über den Wolken

"Grundsätzlich sind diese Phänomene, die bei der Hummel auftauchen, auch bei jedem anderen fliegenden Insekt vorhanden. Die Unterschiede liegen darin, wie ausgeprägt sie sind", so Baars. Die Libelle zum Beispiel ist als Jägerin mit einem langen, schmalen Körperbau und großen Flügeln viel schneller als eine Hummel. Aber den kleinen, dicken Brummer würden solche riesigen Flügel wahrscheinlich nur stören, wenn er in Blüten oder in sein Nest krabbelt. Schlechte Flieger sind sie trotzdem nicht, denn auch in der dünnen Luft in 5600 Meter Höhe fliegen nachweislich noch Hummeln herum. Theoretisch geht es sogar noch höher: In kontrollierbaren Luftdruckkammern entdeckten Wissenschaftler, dass Hummeln sogar bis zu 9000 Meter hoch fliegen können. Problematischer wäre eher die Kälte, die in diesen Höhen herrscht.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.